Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.
"45 Minuten!" ruft der Hüne mit der ernsten Mine. Er trägt Smoking und Fliege und hält eine Hand an den Knopf in seinem Ohr. Der Mann steht nicht etwa am Set der Dreharbeiten zu "James Bond“, sondern in der Lobby des Sheraton Hotels in London. Er führt uns zu einem älteren Herrn in Paradeuniform, der am Eingang wartet. Dort rollen die Hotelangestellten gerade einen roten Teppich aus. "Wenn Ihre Majestät aus dem Auto steigt, stehen Sie bitte bereit", erklärt er. "Sie stehen hier und Sie hier. Nein, genau hier." Er zeigt mit dem Finger auf einen imaginären Punkt auf dem roten Teppich. "Sonst blockieren Sie die Queen."
Die surreale Szene hat eine Vorgeschichte: Als die Londoner Foreign Press Association (FPA), der Verband für ausländische Journalisten in London, vor einem Jahr einen neuen Präsidenten suchte, sagte ich in einem Anflug von Leichtsinn zu. Was tat so ein Präsident schon groß? Einmal im Monat ein Meeting des Vorstands leiten, ab und zu Gäste bei Pressebriefings begrüßen, einmal im Jahr eine Rede halten. Alles harmlos. So jedenfalls wurde es mir beschrieben.
Dann kam der Herbst und mit ihm die Vorbereitungen für den glanzvollen Höhepunkt des Jahres – die festliche Verleihung der Journalistenpreise der FPA Ende November. Ein hoher royaler Ehrengast habe zugesagt, erzählte Deborah atemlos: "Die Queen!" Kurz erwog ich das Konzept der Wiederauferstehung von den Toten. Dann dämmerte es mir: Ah, die neue Queen. Camilla.
"Die Königin kommt!"
Über Camilla wissen wir Londoner Journalisten weit mehr, als uns guttut. Im Jahr der Krönung von König Charles kam man nicht umhin, die lange und kontroverse Liebesgeschichte der beiden erneut auszugraben. Für uns waren es Monate voll mit Besuchen auf Balmoral oder Windsor Castle, mit Berichten von der Krönung und Interviews darüber, was für einen Monarchen Charles wohl abgeben würde.
Irgendwann kommt so ziemlich jeder Londoner Journalist einmal in Sichtweite der königlichen Familie – sei es auf Presseterminen oder Gartenpartys. Dass man allerdings eines Tages selbst ein paar Stunden lang Teil dieses royalen Zirkus werden würde, das stand nicht in der Jobbeschreibung eines Korrespondenten.
Die Queen erscheint bekanntlich nicht allein. Ihre Vorhut, die "Royal Rota", trifft schon zwei Stunden vor der erwarteten Ankunft Ihrer Majestät ein. Diese "königlichen Korrespondenten" (ja, das ist tatsächlich ein Beruf) ausgewählter britischer TV-Sender und Tageszeitungen folgen den Royals bei offiziellen Terminen auf Schritt und Tritt und berichten ehrfurchtsvoll über jedes kleinste Detail dieser Auftritte.
Der Sicherheitsmann im Smoking ist an jenem Abend im Sheraton Hotel noch nicht fertig mit mir. "Kommen Sie mit!", sagt er und eilt in den Saal mit der Bar, wo hohe Gäste und nominierte Journalisten in feiner Abendrobe in Grüppchen stehen und Smalltalk halten, ein Glas Champagner in der Hand. "Wenn die Queen hier die Preisträger und die Jury begrüßen soll, müssen die anderen Leute den Saal geräumt haben." Ich starre in den Raum, auf die vielen, vielen Gäste, die alle wegen der Queen hier sind. Niemand wird diesen Saal freiwillig verlassen, soviel ist sicher. "Okay", sage ich.
Den Knicks zuhause vor dem Spiegel geübt
Eine halbe Stunde später ist der Saal mindestens doppelt so voll und die Queen gleich da. "Zehn Minuten", sagt der Mann mit dem Knopf im Ohr und starrt mich an. Ich zucke als Antwort verzweifelt mit den Schultern. Inzwischen ist auch das Presseteam vom Palast eingetroffen. "Gehen Sie zum Eingang", sagt der Mann in Uniform. "In zwei Minuten ist sie da", sagt sein Kollege, der mich immer mehr an James Bond erinnert.
Kurz darauf wird es ganz ruhig auf der vierspurigen Straße vor dem Hotel, wo normalerweise der Verkehr tost. Auf das Blaulicht der Polizei-Motorräder folgt der königliche Tross. Camilla steigt aus, sie trägt ein langes smaragdgrünes Samtkleid, die Farbe leuchtet im Blitzgewitter der vielen Kameras kurz auf. "Your Majesty", sage ich, den Knicks unzählige Male zuhause vor dem Spiegel geprobt. Man will schließlich nicht enden wie die Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss, die seit ihrer Audienz bei König Charles samt unbeholfenem Knicks als Meme durchs Internet geistert, einen Kopfball kickend.
Queen Camilla, die Introvertierte
Wir laufen auf die Wand von TV-Kameras und Fotografen zu in Richtung Saal, ich etwas hinter der Queen. Der Raum wirkt noch voller als zuvor, die Gäste fotografieren mit ihren Handys. Meine Kollegin Deborah, die Direktorin der FPA, stellt Preisträger und Nominierte vor, Camilla schüttelt geduldig Hände. "How do you do?", sagt Camilla und "Congratulations", ohne die leiseste Ahnung zu haben, mit wem sie redet. Die Menschentraube um sie wird dichter. Hinter der Queen sehe ich die alarmierten Gesichter der Frau vom Palast und des Mannes in Uniform. Deborah schlägt eine Schneise durchs Gewühl, ich halte als Nachhut Camilla den Rücken frei. "Wenn Sie Gruppenfotos wollen, müssen Sie schnell einen separaten Raum dafür finden", sagt jemand aus dem Palast-Trupp.
Die Hotelleitung zaubert tatsächlich ein Zimmer herbei. Endlich hat die Queen Gelegenheit, in Ruhe mit den nominierten Journalisten zu reden und zur Erleichterung aller für offizielle Fotos zu posieren.

"So, jetzt versuchen wir, nicht die Treppe runterzufallen", sagt Camilla auf dem Weg zum großen Ballsaal im Untergeschoss. Das Gemurmel verstummt, als die Queen mit uns den Saal betritt. Die Gäste erheben sich von ihren Stühlen. Eine gefühlte Ewigkeit später sitzen wir auf unseren Plätzen, Camilla links von mir. Auf dem Tisch vor uns liegen unsere Reden, oben auf der Bühne steht das Rednerpult mit den Telepromptern, für deren Test keine Zeit mehr blieb. Meine Rede kommt vor Camillas, meine Nerven liegen blank. "Sie sind sicher gut darin, Reden zu halten", sagt sie plötzlich. "Ganz und gar nicht", antworte ich, dankbar für die Ablenkung. "Ich mache das zum ersten Mal, und mir liegt das überhaupt nicht."
"Mir auch nicht", sagt die Queen. Wir müssen kurz lachen über unsere unerwarteten Geständnisse: Zwei Introvertierte in Rollen, die zu spielen wir nie vorhatten. Dann werde ich auf die Bühne gerufen. "Good luck", wünscht Camilla.