Es dauert nicht lange. Vier Minuten. Dann gestehen die Fernsehjournalisten Thomas Michel und Christian Thiels, dass auch sie sich an der Kanzlerin die Zähne ausgebissen haben. Eine Sprecherstimme textet aus dem Off: "Merkel lässt sich nicht so gerne beim Regieren zuschauen. Sie kontrolliert und dosiert Einblicke in ihre Arbeit sehr genau. Im Zweifelsfall hält sie Journalisten lieber auf Distanz". So auch die beiden SWR-Autoren. Mit ihrer Dokumentation "Die Kanzlerin - Angela Merkel" (Donnerstagabend, 21.45 Uhr, das Erste) ist Michel und Thiels misslungen, was auch vielen Journalisten zuvor misslungen ist: die Frau hinter der Kanzlerin zu erkennen und intellektuell zu durchdringen.
Dennoch arbeitet sich der Film mit größter Mühe an diesem Vorhaben ab. Auf einer Pressekonferenz Ende August sagte Thiels, dass der Film verstehen helfen solle, "wie die Kanzlerin tickt". Es scheint eine Art Wettbewerb unter Fernsehjournalisten geworden zu sein: Wer kommt der Kanzlerin am nächsten? Wer knackt die Auster? Wie weit die Autoren hinter ihrem Anspruch zurück bleiben, zeigt schon ein flüchtiger Blick auf das Material. Oft sind Bilder zu sehen, die erkennbar bei öffentlichen Terminen gedreht wurden. Szenen vom Merkel-Flug in die USA zum Beispiel zeigte auch die ZDF-Doku über die Kanzlerin.
Sätze ohne Kraft
Anders als bei der Steinmeier-Dokumentation, die das Erste in der vergangenen Woche zeigte, sind fast überhaupt keine privaten Filmaufnahmen zu sehen. Aus ihrer vorpolitischen Phase gibt es zudem nur wenige aussagekräftige Zitate von Zeitzeugen: Am sehenswertesten sind noch die Aussagen darüber, ob Angela Merkel in der Schule eine Streberin war oder nicht. Und das Privatleben der Kanzlerin bleibt gänzlich außen vor - weil sie Einblicke eben schlicht nicht zulässt. Da verbuchen es die beiden Journalisten schon als Erfolg, dass sie "erstmals" Joachim Sauer für ein Mini-Statement über seine Frau gewinnen konnten. Fragt der Reporter: Sind Sie stolz auf Ihre Frau? Antwort: "Ja, kann man schon sein - auf ihre beruflichen Erfolge."
Enttäuschend, dass der Film in Anbetracht dessen nicht die einzig logische Wendung nimmt und eine kritische Auseinandersetzung mit Merkel wagt, die sich ja nicht nur auf die politische Arbeit von vier Jahren Regierung beschränken muss. Viele mögliche Motive sind in der Dokumentation schon angelegt. Man hätte sie einfach herausarbeiten müssen. Merkels Verhältnis zu Medien etwa. Nach den wilden Schröder-Jahren verfolgen Kanzleramt und CDU-Zentrale eine sehr restriktive Medienpolitik.
Würstchen-Journalismus
Oder Angela Merkels Sprache. Da wird in dem Film davon geredet, dass Merkel Dinge sage, die vor zehn Jahren in ihrer Partei noch unter "Sozialismusverdacht" gestanden hätten. Dann kommt dieser Satz: "Es gibt doch niemanden, der mit seinem Auto fahren kann, wenn er nicht beim TÜV war. Aber bei den Finanzmärkten ging alles. Die haben es um die Welt geschickt und wussten nachher nicht mal mehr, was es war. So was kann nicht richtig sein, und das muss sich ändern, ein für alle mal." Die Autoren gehen mit diesem Zitat der Merkel-Rhetorik auf den Leim. Sie redet Signalsätze, die Stimmungen auslösen, ohne dass sie konkrete Ankündigungen folgen lassen würde. Ein Umstand, der im politischen Berlin schon lange bekannt ist.
Man hat bei der Merkel-Berichterstattung in diesem Wahlkampf das Gefühl, dass viele Journalisten lustvoll am langen Arm der Kanzlerin verhungern, statt sich zu wehren. Das ist Würstchen-Journalismus. Die ARD-Doku fällt nicht in diese Kategorie, weil sie abseits der vergeblichen Liebesmühe um Nähe zur CDU-Vorsitzenden noch einige interessante Experten aufbietet. Stark ist etwa der Aussage des "Spiegel"-Journalisten Dirk Kurbjuweit, der sagt, Merkel sei zu Wendezeiten nicht in eine Partei eingetreten und hätte sich angepasst, sondern umgekehrt: Die Partei hätte sich ihr angepasst. Auch die Archivbilder aus ihrer politischen Anfangszeit lassen tief blicken. Was hat die Macht in dieser Frau bewegt und angerichtet? Wo ist der fröhliche brandenburgische Dialekt abgeblieben, den sie 1990 offenbar noch hatte? Hier ist der Film am stärksten. Er ist Merkel, endlich und ausnahmsweise: nah.