Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Schön, aber vergänglich. Und eine Rede ist eine Rede ist eine Rede. Kann gut sein, aufwühlend, mitreißend, ist aber genauso schnell wieder vergessen - von ein paar ganz wenigen Ausnahmen abgesehen.
Frank-Walter Steinmeier hat am Sonntag auf dem SPD-Parteitag eine gute Rede gehalten, für seine Verhältnisse sogar eine sehr gute. Er hat die Genossen im Saal mitgerissen. Das ja. Das war auch nötig, damit die Sozialdemokraten nach ihrer Vernichtung bei der Europawahl nicht schon demoralisiert aufgegeben hätten, bevor der Wahlkampf richtig beginnt. Sie sind nicht aus dem Berliner "Estrel" gekrochen, sondern gegangen. Sogar wieder halbwegs aufrecht. Mehr kann man von einer Steinmeier-Rede wirklich nicht verlangen.
Vertrauensentzug, allumfassend
Das war's dann aber auch schon. An der Lage der SPD in diesem Wahljahr hat diese Rede allerdings nicht das geringste geändert. Und diese Lage ist mit dem Wort desaströs eher zurückhaltend beschrieben. Bei 21 Prozent liegt die Partei in der jüngsten stern-Umfrage, Steinmeier will nur jeder fünfte Befragte zum Kanzler, und, der verheerendste Wert von allen, ganze sechs Prozent der Deutschen trauen den Sozialdemokraten noch zu, mit den Problemen des Landes am besten fertig zu werden. So allumfassend hat noch nie eine Partei das Vertrauen der Wählerschaft entzogen bekommen, nicht die CDU nach den Enthüllungen über Helmut Kohleones schwarze Kassen. Nicht einmal die FDP nach dem Wendemanöver 1982.
Im Fußballstadion würden in einer solchen Situation die Sprechchöre angestimmt: Ihr könnt' nach Hause fahren.
Alles zum Zustand der SPD
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Das Sensorium, der Guttenberg
Natürlich sind die miserablen Umfragedaten auch eine Reaktion auf die Europawahl. Nach solchen Wahlen bekommen die Geschlagenen immer noch mal eins auf die Mütze. Das ist nicht schön. Es ist auch nicht gerecht. Es ist aber nicht zu ändern. Andererseits ist die Europawahl nicht, wie sich die SPD-Spitze jetzt froh redet, die Ursache für ihren momentanen Absturz. Sie ist nur ein weiterer Anlass. Die Ursache liegt viel tiefer: Die Sozialdemokraten haben den Draht zu den Menschen verloren, sie spüren nicht mehr, was in der Gesellschaft los ist. Ihr Sensorium ist defekt. Das ist die schlimmste Diagnose, die man einer Partei stellen kann.
Da macht die SPD zum ersten Mal seit Agenda-Zeiten ursozialdemokratische Politik, verteilt Milliarden für die Konjunktur, verhindert mit der Kurzarbeiterregelung Massenentlassungen, kämpft um Arbeitsplätze - und rechnet mit dem Dank der Wähler. Stattdessen muss sie perplex erkennen, dass ihr der Einsatz für Opel, Karstadt und andere nicht gedankt wird, ganz im Gegenteil. Stattdessen jubelt das Publikum dem Baron aus Bayern zu, der sagt, dass sich die Milliardäre erst mal selbst helfen sollen bevor der Staat ihnen beispringt. Ein klassischer SPD-Satz. Nur hat ihn aus der SPD niemand gesagt.
Die SPD geopfert
Die Fehler sind gemacht, und sie sind nicht zu beheben, schon gar nicht durch eine noch so gute Rede. Die Fehler reichen weit zurück. Der größte war objektiv nicht mal zu vermeiden: Die SPD unter Schröder hat eine Politik gemacht, die an den Herzen der SPD-Anhängerschaft vorbei ging. Aber nur wer mit dem Herzen dabei ist, kann Entscheidungen glaubwürdig verteidigen und um Stimmen werben. Und wo wir schon bei der Glaubwürdigkeit sind: Was soll man von einem Kanzlerkandidaten halten, der eine "neue Zeit" ausruft und die schlechten Chancen für Schüler bejammert - nach elf Jahren an der Regierung? Irgendwas muss da gründlich schief gelaufen sein.
Erst das Land, dann die Partei - das war Schröders Kanzler-Credo. Vielleicht muss man irgendwann einmal feststellen: Schröder hat, im Verein mit Steinmeier und Müntefering, die SPD dem Land geopfert.
Das ist die Situation der SPD im Juni 2009. Trostlos. Aber nicht völlig aussichtslos. So schlecht, wie sie jetzt dasteht, kann es nur aufwärts gehen. Die Frage ist allerdings: Wie weit? Die SPD sollte sich nichts vormachen. Sie hat zwar einen Kandidaten. Sie kämpft bei der Bundestagswahl aber nicht mehr ums Kanzleramt. Sie kämpft um viel mehr: Sie kämpft ums Überleben als Volkspartei.