Es rollt, so fällt nicht nur die Zwischenbilanz der Deutschen Bahn aus. Seit einer Woche können Fahrgäste mit dem 9-Euro-Ticket bundesweit den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zum Spottpreis nutzen – dennoch ist das ganz große Chaos ausgeblieben, die Verkehrsbranche sieht den ersten Stresstest laut einer stern-Umfrage bestanden. Dennoch: Nicht alles ist glattgelaufen.
Verkehrsverbünde: Alles im Griff
Die Hamburger Hochbahn beobachtete im U-Bahn- und Busbereich "ein höheres Fahrgastaufkommen" – zumindest am Pfingstwochenende und im Vergleich zu vorherigen Wochenenden. Inwieweit das auf das 9-Euro-Ticket zurückzuführen ist, lasse sich noch nicht sagen. Hinweise auf eine Überlastung der Kapazitäten habe es nicht gegeben. "Für die Hochbahn ist die Bilanz aus den geschilderten Gründen sehr positiv", so ein Sprecher zum stern. Die verkauften 9-Euro-Tickets – bisher zählt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) 683.000, neben den rund 680.000 regulären Abo-Tickets – würden auf ein "enormes" Interesse hindeuten. Jedoch sei es noch zu früh, "in welchem Umfang und zu welchen Zeiten daraus auch eine höhere Nutzung von U-Bahn und Bus wird". "In jedem Fall ist es sehr positiv, dass über das 9-Euro-Ticket die Kosten und Finanzierung des ÖPNV und seine Schlüsselrolle für die Erreichung der Klimaziele gesprochen wird", so das Zwischenfazit des HVV.
In überfüllten Zügen: So chaotisch ging es am Wochenende im Regionalexpress zu

Auch im Pfingstverkehr der BVG in Berlin sei die Fahrgastnachfrage "vergleichbar" mit anderen langen Wochenenden bei Sommerwetter gewesen. Lediglich auf zwei klassischen Ausflugslinien sei es am Sonntagnachmittag – "und auch nur dann" – kurzzeitig voll geworden, sagt ein Sprecher zum stern. Am Pfingstmontag habe man die Marke von einer Million verkauften 9-Euro-Tickets geknackt, insgesamt habe man 1.011.011 Tickets (Stand: 6. Juni) verkauft, davon rund 844.000 für den Monat Juni. "Wir freuen uns über die sehr große Resonanz auf die Aktion in allen Vertriebskanälen, die uns zeigt, dass die Menschen in Berlin große Lust auf umweltfreundliche und verlässliche Mobilität mit Bus und Bahn haben", so die BVG.
Die MVG in München stellt eine um etwa zehn Prozent höhere Auslastung aufgrund des 9-Euro-Tickets fest. "Am Pfingstwochenende haben wir damit ziemlich genau die Fahrgastzahlen der 'Vor-Corona-Zeit' erreicht", so ein Sprecher zum stern. Zu Überlastungen im Verkehr oder beim Personal sei es nicht gekommen. "Das von manchen befürchtete 'Chaos' ist bei uns ausgeblieben." Die MVG formuliert die Hoffnung, dass das 9-Euro-Ticket dazu beiträgt, "noch mehr Menschen von den Vorzügen des ÖPNV zu überzeugen, die auch dann mit uns fahren, wenn wieder die normalen Fahrpreise gelten."
Deutsche Bahn: Es rollt
Insgesamt blickt die Deutsche Bahn auf einen "geregelten Pfingstverkehr" zurück, wenngleich das saisonal übliche Fahrgastaufkommen durch das 9-Euro-Ticket "noch leicht verstärkt" worden sei und es "regionale Auslastungsspitzen" gegeben habe, teilt das Unternehmen mit Verweis auf eine Pressemitteilung mit. Mehr als 6,5 Millionen 9-Euro-Tickets seien inzwischen verkauft worden. "Mit 86.000 Zugfahrten ist bei DB Regio über das lange Wochenende alles gerollt, was rollen kann", wird Jörg Sandvoß zitiert, Vorstandsvorsitzender DB Regio, der das 9-Euro-Ticket als "große Chance für die gesamte Branche" bezeichnet. "Natürlich ist es wie erwartet vor allem auf den touristischen Hauptrouten punktuell zu Belastungsspitzen gekommen", so Sandvoß weiter, ohne näher ins Detail zu gehen. Für das zu erwartende steigende Fahrgastaufkommen lasse die DB Regio mehr als 50 zusätzliche Züge rollen, während der Sommermonate wolle die DB Regio "vor allem entlang touristischer Strecken" das Personal in Zügen und Bahnhöfen aufstocken.
Interessenverbände: Gemischte Gefühle
Der Fahrgastverband Pro Bahn, der die Interessen von Fahrgästen des öffentlichen Verkehrs vertritt, übt Kritik. "Einige Hundert Züge waren überfüllt", moniert der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann im stern, "konnten erst nach Teilräumung abfahren und Radfahrer mussten draußen bleiben." Zwar sei das Fahrgastaufkommen zu Pfingsten und bei gutem Wetter grundsätzlich hoch, dennoch habe es auf touristischen Strecken "nochmals mehr" Fahrgäste gegeben, beobachtet der Fahrgastverband. Besonders stark sei der Zuwachs auf langlaufenden und flotten Regionalexpress-Zügen zwischen Großstädten gewesen – wie zum Beispiel Berlin/Magdeburg oder München/Nürnberg – gewesen. Bahnsteige seien zu voll gewesen, insbesondere am Hamburger Hauptbahnhof, aufgrund von Überfüllung hätten Züge nicht abfahren können. Insofern fällt die erste Bilanz des Fahrgastverbandes gemischt aus: "Der ÖV ist wieder im Gespräch, das Angebot ist preiswert", lobt Naumann, moniert aber Überfüllungen und daraus resultierende Unpünktlichkeit.

Eine eher positive Bilanz zieht der Bundesverband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). "Wir haben für das Pfingstwochenende mit sehr vollen Fahrzeugen und Bahnsteigen gerechnet, und das hat sich bestätigt", teilt Verbandspräsident Ingo Wortmann via Pressemitteilung mit. Die Verkehrsunternehmen und die Fahrgäste seien aber sehr gut vorbereitet gewesen. Die Unternehmen hätten die hohe Nachfrage gemeistert. Dennoch waren viele Züge vor allem auf touristischen Strecken überlastet. "Zeitweise mussten zudem an den großen Bahnknoten wie in Köln, Hamburg oder Berlin Bahnsteige wegen des großen Andrangs gesperrt werden", heißt es vom VDV. Räumungen oder Teilräumungen von Fahrzeugen blieben demnach "die absolute Ausnahme". Das deutlich erhöhte Fahrgastaufkommen über Pfingsten mache deutlich, "dass wir dringend die nötigen Investitionen in den Ausbau, in die Modernisierung und für Kapazitätserweiterungen unserer Angebote benötigen".
Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) fordert erneut Investitionen in Busse und Bahnen. Das 9-Euro-Ticket habe die Mitarbeiter an die Belastungsgrenze gebracht, sagt Vizechef Martin Burkert laut einer Pressemitteilung. "Größte Probleme am Wochenende waren wie erwartet überfüllte Züge, die Fahrradmitnahme und die Durchsetzung der Maskenpflicht." Viele Reisende hätten sich jedoch mit den Beschäftigten solidarisch verhalten.