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Deutschland für Entdecker Von England nach Sibirien in zwei Stunden

Kalifornien enttäuscht, das Wetter ist mies, in Brasilien feiert man Strandpartys und England liegt gar nicht auf einer Insel. Erkenntnisse einer zweitägigen Weltreise durch Schleswig-Holstein.
Von Torben Dietrich

Die sibirischen Wälder sind in zwanzig Minuten durchwandert. Wenn man sich auf den überall stehenden Holzbänken einmal ausruht, dauert die Tour eine halbe Stunde. Jedenfalls ist das Grün nicht ganz so endlos, wie der Reisende immer gedacht hat. Am nördlichen Stadtrand von Elmshorn beginnt Sibirien, ein Straßenschild weist den Weg. Familien und Jogger durchstreifen den Wald, der sich über 400 Meter in Ost-West-Richtung erstreckt.

In Zeiten knapper werdender Ressourcen gilt es, zu sparen. Für eine Weltreise heißt das: Kilometer sparen. Und tatsächlich, die Welt rückt enger zusammen. Nur knapp 130 Kilometer trennen Sibirien von England, der nächsten Etappe. Das ist weniger als gedacht, die Entfernungen in Schleswig-Holstein sind angenehm. Innerhalb von zwei Tagen werden Russland, Kalifornien und Brasilien bereist, alles Orte im nördlichsten Bundesland.

In England gibt es keinen Pub

England liegt, und das ist das eigentlich pikante, nicht auf einer Insel. Über einen zwei Kilometer breiten Landstreifen ist das Eiland mit dem europäischen Festland verbunden. Fühlen sich die Engländer trotzdem als Insulaner? "Sicher, wir leben auf einer Insel", sagt André Wilckerling. Der Leiter des "Hotel England" lebt seit seiner Geburt in England und führt hier einen gut laufenden Familienbetrieb. Und tatsächlich, bis 1987 lag England auf der Insel Nordstrand. Dann wurde durch Landgewinnung eine Verbindung zum Festland geschaffen. Noch viel früher hatte es diese Verbindung schon einmal gegeben, doch eine gewaltige Sturmflut riss 1634 große Teile von Nordstrand ins Meer. 1362 verschlang der "Blanke Hans", wie die See hier genannt wird, wenn sie sich zur Sturmflut auftürmt, die Nachbarinsel Rungholt komplett. Einige Romantiker sollen daher schon in der Nähe von England nach Atlantis gesucht haben.

Entgegen eingeschliffener Erwartungen gibt es in England keinen einzigen Pub, wo man etwas über solche Legenden erfahren könnte. Wer etwas trinken will, muss schon ein Stück weiter fahren. Steht man an der Westküste der Insel, fühlt man sich wie am Ende der Welt. Eine grandiose Vorstellung. Irgendwo hinter dem Horizont liegt Amerika. Irgendwo hinter Pellworm.

Als Engländer spricht André Wilckerling selbstverständlich englisch, ebenso wie sein Vater Ewald. Wilckerling erzählt, wie sich eines Tages eine SAT.1-Fernsehcrew im dichten Nebel verirrte und dann vor sich das Ortsschild von England sah. Verzweifelt ob der Fehlorientierung, baten sie Ewald Wilckerling in brüchigem Englisch um Hilfe. Der antwortete - auf Englisch.

Besucher aus dem anderen, dem großen England, verschlägt es eher selten hierher. Ab und zu kommt es vor, dass Post, die eigentlich für jemanden im friesischen England bestimmt ist, ins große England geschickt wird. Dann kommt mit Verzögerung ein Brief an Ewald Wilckerling nach England, auf dem ein ausländischer Stempel prangt mit dem Schriftzug "Missent to Great Britain". Was der Post Ärger bereitet, sorgt für Wilckerlings Umsatz. Sein Hotel profitiert bestens vom Namen seines Heimatortes.

Zweite Station: Russland

Am nächsten Morgen soll es weiter gehen. Die Mutter von Wilckerling fragt nach dem Ziel. "Wir wollen nach Russland", sagen wir, "wissen Sie, wie weit das ist?" Die ältere Dame bleibt fassungslos stehen. "Das kann ich nicht sagen… Auf jeden Fall sehr, sehr weit."

Knapp zwei Stunden später stehen wir auf russischem Boden, nicht weit von Eckernförde. Hier endlich hält die Realität, was der Name verspricht. Ein einsamer Weiler, ansonsten weit und breit nichts zu sehen außer Wald und Feldern. Man atmet die klare Luft und muss sich die wechselvolle russische Geschichte ins Gedächtnis rufen: Die Zarenzeit, die Revolution, die beiden großen Kriege. Irgendwo in den russischen Weiten blieb auch Napoleons Grande Armée stecken.

Der Blick schweift über Russlands einzige Straße, niemand ist zu sehen. In einer zusammen gezimmerten Garage steht ein uraltes schwarzes Auto unter einer dicken Staubschicht, die Reifen platt, die Federn verrostet. Der Weiler könnte einen neuen Anstrich gut vertragen, dennoch wirkt er gastfreundlich. Da, eine Frau bringt gerade ihren Kompost raus. Woher hat Russland seinen Namen? Sie antwortet in einwandfreiem Deutsch, dass sich wohl vor über hundert Jahren ein Tischler aus dem größeren Russland hier niedergelassen habe und am nahen Wald sein Handwerk betrieb. So ganz sicher aber sei sie sich nicht. Dann wünscht sie eine gute Reise.

Am Ortsrand treffen wir einen Landwirt. Bereitwillig erklärt er den Weg nach Kalifornien. Wo wir den Kreml finden können, will uns der russische Bauer aber nicht sagen, verärgert dreht er sich um. Das Verhältnis zur Obrigkeit war hier schon immer ein besonderes.

Brasilien: Caipirinha und Matjesbrötchen

Kalifornien ist etwas enttäuschend, erinnert heute eher an Florida: Viele Rentner, schönes Wetter. Der Kalifornier an sich ist wortkarg, distanziert und etwas bleich. Die Sonne scheint ja auch eher selten. Grund genug also, nach Brasilien aufzubrechen.

Der Weg von Kalifornien nach Brasilien ist nicht so weit, wie der Blick auf den Globus vermuten lässt. Auf dem Landweg ist man in zehn Minuten mit dem Fahrrad da. Auch der Zeitunterschied ist praktisch nicht spürbar. Dennoch liegen Welten dazwischen. In Brasilien, das fast nur aus einem Strand besteht, ist man stolz auf sich. Hier knattert an jeder Ecke eine brasilianische Flagge, hier wird getanzt, gefeiert, gesurft. Eine Band steht auf einer Bühne am Strand, ihre lässige Musik passt zur heißen Nachmittagssonne. Junge und schöne Menschen wiegen sich im Takt südamerikanischer Rhythmen, es gibt Caipirinha, Cola und Matjesbrötchen. Die Strände sind nicht so lebhaft wie erwartet, doch zum Entspannen perfekt. Auf der Suche nach einem Wahrzeichen wird uns der "Campingplatz Hasselkrug" gezeigt. Hinter der Düne, direkt an einem Naturlehrpfad gelegen und offen für Wohnmobile. Dies, so sagen uns die Einheimischen, sei typisch brasilianisch.

Adriana ist eine junge Frau aus dem großen Brasilien, hinter Pellworm. Sie kommt aus der Nähe von Sao Paulo und besucht hier eine Freundin. Gibt es nennenswerte Unterschiede zu ihrer Heimat? Sie lacht, versteht wohl die Frage nicht ganz. Schon klingelt auch ihr Handy. Adriana geht zum Strand, schlendert durchs Wasser und telefoniert angeregt auf Portugiesisch. Mit der brasilianischen Abendsonne endet die Weltreise.

Knapp dreihundert Kilometer mussten für diesen lohnenden Trip zurückgelegt werden. Überall sind die Menschen freundlich und die Landschaft sehenswert, überall kann man mit Euro bezahlen. Wem diese Tour zu aufwändig ist, fährt einfach auf die nordfriesische Halbinsel Eiderstedt. Nicht weit vom bekannten St. Peter-Ording gibt es einen Ort, der auf engstem Raum alles bietet. Sein Name: "Welt", 230 Einwohner.

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