Drei Stunden Fahrtzeit sind es von der Hauptstadt in die Drei-Kaiser-Bäder: Bansin, Heringsdorf, Ahlbeck. Wilhelminische Wohlfühlorte der Reichen aus der einstigen Reichshauptstadt. Die Badewanne Berlins hieß es einst. Damals, per Bahn, ging es etwas schneller an den Badestrand von Usedom. Feinster Sand mit 60 Metern Breite und heute 45 Kilometern Länge von Swinemünde bis Penemünde, rund eine Marathonlänge. Eine Traumdestination.
Hier bauten einst Leute wie Bankier Oppenheim, Mediziner Werner Körte oder Verleger Carl Robert Lessing ihre Villen. Auch Thomas Mann war später zu Besuch. Geist und Geld prominierten einträchtig, doch nach zwei Weltkriegen wurde das großbürgerliche Idyll verstaatlicht. In vier Jahrzehnten als Verschickungsort des DDR-Gewerkschaftbundes FDGB wurde die Insel abgewirtschaftet. Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall hat das Eiland wieder seinen besonderen Charme zurückgewonnen.
Vom Arbeiter- und Bauernstaat spürt man in den Badeorten längst nichts mehr; unter den Gästen stellen Berliner mit einem Drittel wieder den größten Anteil. Seit die Grenze zum östlichen Nachbarn verschwand, kommen zunehmend polnische Urlauber in die drei Kaiserbäder. Aber international wurde die Insel noch nicht entdeckt, obwohl sie mit 8,5 Kilometern die längste Promenade Europas bietet.
Viel Wald, einige Adler, keine Villen
Und das riesige Hinterland wird touristisch oft übersehen. Mit 25 Quadratkilometern besitzt Usedom den höchsten Waldbestand unter den deutschen Inseln. Vor allem im sogenannte Achterland, niederdeutsch für Hinterland. Da also, wo keine Villen stehen, aber Seeadler am Himmel über der Achtersee, einem Mündungsarm des Peenestroms. Das zweite Gesicht der Insel entdeckt man auf einer Insel-Safari. Der gebürtige Ostdeutsche Uwe Fiedler führt Besucher zu Wasser, Land und in kaum zugängliche Regionen, darunter auch in Bio-Sphären, die sonst für die Öffentlichkeit gesperrt sind. Gehobener Individualtourismus mit von Muttern hausgemachter Marmelade beim Picknick oder über Lagerfeuer gegrilltem frischem Fisch.
Auf die Idee mit der Safari im grünen Hinterland der Ostseeinsel kam Uwe Fiedler 1999. Es dauerte sieben Jahre, bis er schwarze Zahlen schrieb. "Die Leute denken halt erst mal, sie können alles leicht auf eigene Faust entdecken." Und natürlich gibt es ausgeschilderte Wege, etwa entlang der Lyonel-Feininger-Strecke, dem deutsch-amerikanischen Bauhausmeister, der auf Usedom viele seiner Motive entdeckte. Aber mit Familie Fiedler macht es mehr Spaß. Zumal Uwe Fiedler und seine beiden Söhne Gunnar (31) und Hagen (31) keine vorgefertigten Touren abklappern. Sie stellen sich auf die Wünsche der Gäste ein.
Wandertour auf die Sechstausender
Am kleinen Hafen von Krummin beginnt die Tour auf einer Motoryacht. Eine zweite Gruppe segelt im Kutter. An einem stillen Strand auf der anderen Seite wartet bereist ein kleines Buffet. Anschließend besteigen wir den Kückelsberg. "Das ist einer der vier Sechstausender der Insel", sagt Gunnar Fiedler als wir wieder im Landrover sitzen. Der Kückelsberg ist mit 5900 Millimetern über Meeresspiegel drittgrößter Berg der Insel, deren höchste Erhebung bei 70 Metern liegt. Auf der Fahrt über die Waldwege sitzen die meisten Touristen auf dem Dach des Geländewagens. Zwischenstopps legen wir bei einer alten Windmühle, die Feinninger einst malte, ein, an Dorfhäusern oder alten Datschen am See. Die Fiedlers wissen zu allen eine Geschichte zu erzählen. Rehe huschen über Usedoms Felder.
Grenzenlos abgehoben
Der Wagen hält plötzlich vor einem Flughafen. Einem sehr kleinen allerdings. Es ist eher eine größere Rasenfläche, auf der Ultra-Leichtflieger abheben - mit der Reisegruppe an Bord. Ein kleines Extra auf der Safari-Tour, das gesondert honoriert werden muss. Mit dem 70-jährigen Piloten Jürgen Jordan nimmt man für zwanzig Minuten die Luftperspektive ein. Es dauert nicht lange, und wir stehen über den drei Kaiserbädern. Dann taucht die ehemalige Grenze auf - von hier oben nur eine Schneise im Wald. Theoretisch könnten wir jetzt direkt zurück nach Berlin fliegen, rund eine Stunde bräuchte Jürgen Jordan. Aber auf der Insel gibt es noch einiges zu tun: Seeluft atmen, Seemöwen statt Seeadler sehen und einfach am Strand entlang bummeln.
Zum Beispiel zu Fischer Hans-Joachim, der in seiner kleinen Baracke von Heringsdorf vor allen Villen am Strand seine Netzte flickt. Obwohl auch er meist neue Netze in China bestellt - ist billiger. In seiner Holzbude liegt ein Haufen Zeugs das dem Broterwerb auf See dient, dazwischen Instantkaffee und ein Aschenbecher. Unten am Strand liegt sein aus Eiche gebauter Kutter; der 77-Jährige betreibt heute vor allem Stellnetzfischerei. Zwischen all den Urlaubern zieht er seine "Seschwalbe" per Trecker in die Ostsee. Und Fischer, gibt's Grund zum Jammern nach zwanzig Jahren Wende? Die Zigarre des Fischers glimmt im Mundwinkel auf. "Hering kam dieses Jahr in Schwärmen wie lange nicht mehr, aber ich krieg halt nichts fürs Kilo." Spricht‘s und schwingt sich auf Rad, ab ins Achterland.
Weitere Infos | |
Fremdenverkehrsamt: Usedom Tourismus, Tel. | 038378/477110, Buchungshotline: Tel. 01805/583783 (14 Cent/Minute), www.usedom.de und www.auf-nach-mv.de |
Insel-Safari: Usedom anders sehen und erleben, www.insel-safari.de | |
Unterkunft: Hotel Germania, Strandpromenade 25, 17429 Seebad Bansin. Barbara und Günther Jörg sind die einzigen Hoteliers der Kaiserbäder, die heute ein damals von der eigenen Familie erbautes Haus bewirtschaften. Hier wurde Barbara Jörg 1944 geboren. Am 10. Februar 1954 wurde es während der "Aktion Rose" verstaatlicht. Nach der Wende entschloss sich das Ehepaar, die nach der Wende rückübertragene Villa zu übernehmen. Heute ist das Haus komplett saniert, www.germania-bansin.de |