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Reiseziel Hamburg Städtetourismus und Corona: So wirkt sich ein Jahr Pandemie auf Hamburg aus – eine Datenanalyse

Die große Leere gegen 13 Uhr im Lockdown: Der Hamburger Rathausmarkt ist eigentlich um die Mittagszeit ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen.
Die große Leere gegen 13 Uhr im Lockdown: Der Hamburger Rathausmarkt ist eigentlich um die Mittagszeit ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Touristen.
© Markus Scholz / Picture Alliance
Wie stark sind Flugverkehr und Besucherzahlen eingebrochen? Wie verlaufen die Suchanfragen bei Google für Hotels und Musicals? Und wie hat sich der Wasserverbrauch der Hamburger in den Lockdowns verschoben? Antworten geben die dynamischen Grafiken der Datenanalysen.
Von Severin Pehlke, Justus Weber, Johannes Koch

Es ist Ende März 2020, als in der Touristenmetropole Hamburg das passiert, was zuvor niemand für möglich gehalten hätte: Hotels, Ferienwohnungen, Geschäfte und Restaurants müssen schließen. Keine Musicals. Keine Konzerte. Ein unsichtbares Virus hält das Tor zur Welt geschlossen. Der pandemische Ausnahmezustand wird zur neuen Normalität.

Über Jahrzehnte waren die Übernachtungszahlen in der Hansestadt stetig gestiegen – hatten sich verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht. Am Ende des Jahres steht ein historischer Einbruch: So wenige Touristen kamen seit fast 20 Jahren nicht mehr nach Hamburg. Die Tourismusbranche leidet. "Wir reden an dieser Stelle über Existenzen", sagt Sascha Albertsen von Hamburg Tourismus. "Die Reisebranche ist ein Wirtschaftszweig, in dem in Hamburg rund 90.000 Menschen arbeiten."

Wer kam im Pandemie-Jahr 2020 nach Hamburg?

Bereits ab Anfang Februar, über einen Monat vor Beginn des ersten Lockdowns am 22. März, sind die Ankunftszahlen im freien Fall. Egal ob Städtehopping, Wochenendtrip oder Tagestourismus: Die Pandemie macht Gästen aus dem In- und Ausland einen Besuch an der Elbe unmöglich.  Erst die schrittweisen Lockerungen im Mai und der Rückgang der Infektionszahlen zum Sommerbeginn locken die Touristen zurück in die Hansestadt. 

Besonders Hamburgs nördlichen Nachbarn ist ihre Sehnsucht anzumerken: Ab Juni explodieren die Ankunftszahlen aus dem nahegelegenen Dänemark. Auch Schweizer und Niederländer lassen sich weniger von ihrem Hamburg-Besuch abhalten als andere Europäer. Es zeigt sich: In der Pandemie bleiben viele Touristen lieber in der Nachbarschaft – vor Flugreisen oder Kreuzfahrten schrecken sie zurück.

Kreuzfahrtbranche liegt monatelang auf dem Trockenen

Der drastische Besuchereinbruch macht sich deshalb auch auf der Elbe bemerkbar. "In der Saison 2019 wurden noch 210 Kreuzfahrtschiffe mit 815.000 Passagieren an den Hamburger Terminals abgefertigt. Für 2020 waren ebenso viele Anläufe erwartet”, sagt Simone Maraschi, Geschäftsführer von Cruise Gate Hamburg. Stattdessen konnten nur 83 Kreuzfahrtschiffe anlegen. Als Betreiber der Hamburger Kreuzfahrtterminals in Steinwerder, Altona und Baakenhöft ist das Unternehmen unter anderem für die Vergabe von Liegeplätzen verantwortlich.

Nach der Rekordsaison 2018 mit 900.000 Passagieren war auch 2019 ein sehr erfolgreiches Jahr für die Kreuzfahrtbranche. Doch mit Ausbruch der Pandemie kommt der Schock: Anfang März werden alle geplanten Anläufe von Kreuzfahrtschiffen in Hamburg seitens der Reedereien storniert. Ende Juli gelingt dem Hamburger Hafen laut Maraschi zwar als einer der ersten Häfen weltweit ein “verantwortungsvoller und kontrollierter Neustart der Kreuzfahrt”. Doch für die Jahresbilanz ist das nur ein kleiner Trost,

"Die Pandemie hat den Luftverkehr fest im Würgegriff"

Aber nicht nur zur See, auch in der Luft wird der Reiseverkehr hart von der Corona-Pandemie getroffen. Die Reisebeschränkungen sorgen zeitweise für einen fast kompletten Stillstand des Hamburg Airport. Mit 4,56 Millionen Passagieren erreicht die Verkehrsbilanz 2020 gerade einmal das Niveau der 1980er Jahre. Anfang des Jahres noch waren die Erwartungen am Flughafen auf leichtes Wachstum ausgerichtet gewesen – dann kam Corona. Allein in den Monaten April und Mai sanken die Passagierzahlen auf nur noch 1 Prozent des Vorjahres.

Flughafen Hamburg, Mitte April 2020: Die gesamten Abflüge von zwei Tagen passen auf eineinhalb Bildschirme.
Flughafen Hamburg, Mitte April 2020: Die gesamten Abflüge von zwei Tagen passen auf eineinhalb Bildschirme.
© Till Bartels / stern.de

"Die Corona-Pandemie hat den Luftverkehr fest im Würgegriff", sagt Michael Eggenschwiler, Vorsitzender der Geschäftsführung am Hamburg Airport. Tests und Impfungen geben dem 62-Jährigen jedoch Hoffnung: "Eine Sommerreise mit dem Flugzeug wird 2021 wieder möglich sein. Wir rechnen zurzeit für das Gesamtjahr 2021 mit rund 48 Prozent des Passagieraufkommens von 2019. Aber das ist nur eine vorsichtige Annahme.”

Der touristische Verkehr spiele dabei eine entscheidende Rolle. Es sei laut Eggenschwiler davon auszugehen, dass sich der Bereich der privaten Reisen schneller erholen werde als der Geschäftsreiseverkehr.

Gastgewerbe: Schlimmstes Geschäftsjahr der Nachkriegsgeschichte

Dass Kreuzfahrtterminals und Flughafen während der Pandemie kaum noch internationale Gäste in die Stadt spülen, macht sich auch im Gastgewerbe bemerkbar. Am Nutzerverhalten auf Google lässt sich der Einbruch während der Lockdown-Phasen deutlich ablesen: Jeweils ab März und Oktober gehen die Suchanfragen von “Hotel Hamburg” oder “Restaurant Hamburg” weltweit drastisch zurück.

Hotels, Restaurants, Bars und Kneipen – die ausbleibenden Touristenmassen führen in allen Bereichen des Hamburger Gastgewerbes zu massiven Umsatzeinbußen. Nach einem zunächst vielversprechenden Start ins Jahr 2020 kommt im März der Absturz. Laut Statistikamt Nord verzeichnet die Hotellerie und Schankwirtschaft während des ersten Lockdowns einen Umsatzeinbruch von fast 100 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ähnlich ergeht es Vermietern von Ferienwohnungen und Ferienhäusern.

Auch die Hamburger Gastronomie hat mit dem eingeschlafenen Gesellschaftsleben der Stadt zu kämpfen. Tummelten sich sonst zahllose Einheimische und Touristen in einem der rund 4.000 Gastronomiebetriebe in Hamburg, ist der Umsatz im Gastgewerbe im Pandemiejahr um über 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. Schon im ersten Quartal 2020 sanken die Umsätze im Gastgewerbe um 16 Prozent.

Arthur Richelmann ist einer der betroffenen Gastronomen. Seit über 30 Jahren betreibt er sein französisches Gourmet-Restaurant "Williamine" in der Nähe des Hamburger Schanzenviertels. Vom Liefer-Hype hält er nicht viel: "Ich wurde bereits mehrfach von solchen Lieferdiensten kontaktiert, aber ich habe jegliche Kooperationen immer abgelehnt", sagt Richelmann, "in meinem Restaurant zählt die persönliche Begegnung." Der Lockdown zwingt den ehemaligen Schauspieler dennoch zur Improvisation: "Für fünf Euro können sich meine Gäste die Gerichte abholen und zu Hause warm machen. Damit verdiene ich natürlich kein Geld. Aber die Leute sind glücklich und ich habe eine Beschäftigung – das ist auch ganz gut."

"Die Soforthilfen für Selbstständige sind letztendlich ein Tropfen auf den heißen Stein", findet der Gastronom. Gerade das ausgebliebene Weihnachtsgeschäft können die staatlichen Hilfen nicht kompensieren. "Es ist aber natürlich angenehm, dass ich nicht so hohe Kosten stemmen muss. Ich koche, serviere und unterhalte meine Gäste selbst", so Richelmann, "andere Gastronomen haben sehr hohe Personalkosten."

Und eben diese Kosten zwingen einige Hamburger Betriebe dazu, ihre Mitarbeiter zu entlassen. Am stärksten betroffen: Bars und Kneipen. Im April gehen die Beschäftigungszahlen hier im Vergleich zum Vorjahr um über 50 Prozent zurück. Laut Statistikamt Nord sank im gesamten Gastgewerbe die Beschäftigung im Jahr 2020 um ungefähr 9 Prozent.

Kulturszene im Winterschlaf

Nicht nur Hotels und Gastronomie sind betroffen, ein Großteil des sonst umtriebigen gesellschaftlichen Lebens der Hafenmetropole steht momentan still. Welchen Einfluss die coronabedingten Einschränkungen auf die Kulturszene hat, zeigt sich beispielsweise an den Besucherzahlen einiger Hamburger Museen. Sei es die Hamburger Kunsthalle oder das Miniatur Wunderland – im Jahr 2020 bleiben in den meisten Kulturinstitutionen die Säle leer und die Besucherzahlen erreichen weniger als 50 Prozent des Vorjahres.

Um die Umsatzeinbußen einzudämmen, wurden verschiedene Strategien entwickelt. Beispielsweise Raumvermietungen oder Erhöhungen der Eintrittspreise. Eine Preisanpassung hätte bei derartigen Besucherrückgängen jedoch keinen besonderen Einfluss auf die Endabrechnung, erklärt Stephan Fichtner vom Hamburger Planetarium.

Die Verantwortlichen versuchen, die meisten Kulturangebote, von Ausstellungen bis Bühnenaufführungen, zumindest digital zur Verfügung zu stellen. Durch das virtuelle Programm bleibt der Regelbetrieb auch in unsicheren Zeiten ansatzweise plan- und durchführbar. Von virtuellen Rundgängen über Livestreams bis hin zu Podcasts ist die Bandbreite digitaler Kulturangebote im letzten Jahr enorm gewachsen und wird die Möglichkeiten, Kultur zu erleben, auch über die Pandemie hinaus erweitern.

Noch drastischer trifft diese Entwicklung die Hamburger Clubszene. Auf Anfrage bestätigt Jan Nickel, Kommunikationsleiter des Hamburger Clubkombinats, Umsatzeinbußen von über 90 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019. Keine andere Branche leide so massiv an den Bedingungen der Corona-Pandemie, schätzt das Clubkombinat.

Demonstration der Wirte und Barbetreiber von St. Pauli im Mai 2020: Pastor Sieghard Wilm, Olivia Jones und Pfarrer Karl Schultz bei einer Mahnwache zum Erhalt der Kiez-Kultur.
Demonstration der Wirte und Barbetreiber von St. Pauli im Mai 2020: Pastor Sieghard Wilm, Olivia Jones und Pfarrer Karl Schultz bei einer Mahnwache zum Erhalt der Kiez-Kultur.
© Picture Alliance

In Hamburg erkennt der Senat die Förderfähigkeit von Musikclubs an und spannt seit April einen Club-Rettungsschirm, der aktuell die Fixkosten von knapp 50 Hamburger Clubs deckt. 2020 wurde der Etat der Hamburger Behörde für Kultur und Medien um 25 Millionen Euro erhöht. Rund 1,5 Millionen Euro werden der Hamburger Clubszene zur Verfügung gestellt.

Diese Erhöhung im Rahmen des Corona-Schutzschirmes soll die Auswirkungen der Pandemie auf die Kultureinrichtungen abfedern. Man könne durch die Aufstockung Künstlerinnen und Künstler in diesen besonders anspruchsvollen Zeiten unterstützen, erläutert Dr. Carsten Brosda (SPD), Hamburger Senator für Kultur und Medien. "Wir brauchen ihre Perspektiven jetzt ganz besonders."

Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten kann Hamburg bisher auf einen recht moderaten Verlauf der Corona-Inzidenzen blicken. Dennoch ist die Folge: weniger Tourismus, wenig Kultur und ein stark eingeschränkter gesellschaftlicher Alltag. Eine Stadt hält den Atem an: Wie haben die Hamburger auf die neue Situation reagiert und was hat sich in der sonst so lebendigen Stadt verändert?

Die Pandemie und der Hamburger Alltag

Die Besuchermassen in Hamburger Hotels und Ferienwohnung blieben in diesem Jahr aus, der Wasserverbrauch stieg dennoch im Vergleich zum Vorjahr an: um mehr als zwei Millionen Kubikmeter. Dabei sank im ersten Lockdown der Verbrauch im Hamburger Zentrum, während er rundherum stieg.

Und noch etwas ist aus den Verbrauchsdaten der Stadt abzulesen: Die Morgenroutine der Hamburger verschob sich im Lockdown. Wurde an einem normalen Mittwoch vorher bereits durch Duschen und Morgentoilette um 7:45 die Verbrauchsspitze des Tages erreicht, war es im ersten Lockdown ca. 10 Uhr. Wurden die Hamburger etwa zu Langschläfern?

Nach dem Aufstehen zieht es viele Hamburger wohl nicht nur an den Schreibtisch, sondern auch in die Abstellkammer. Ausmisten ist angesagt. Das lassen zumindest die Müllmengen der Hamburger Wertstoffhöfe vermuten. In manchen Monaten liegen die Abfälle hier mehr als 100 Tonnen über dem Vorjahresniveau.

Online-Handel und Liefer-Hype sorgen für mehr Müll

Die Auswirkungen des Lockdowns und der damit einhergehende Boom im Onlinehandel machten sich vor allem zum Ende des Jahres in den Müllmengen deutlich bemerkbar. Die Stadtreinigung Hamburg schätzt allein beim Papiermüll in Haushalten (ohne öffentliche Müllcontainer) eine Zunahme von rund 800 Tonnen.

Zu den Müllmengen in Parks und an Straßen gibt es zwar keine genauen Daten. Eins steht laut einem Sprecher der Hamburger Stadtreinigung aber fest: "Durch Corona und den Lockdown hat sich die Müllmenge erhöht, was natürlich auch einen zusätzlichen Aufwand bedeutet. Mit dem neuerlichen Lockdown im November haben wir die Leerungsfrequenzen unserer öffentlichen Papierkörbe erhöht." Offenbar kommen die Reinigungskräfte dennoch nicht gegen die Flut von Coffee-to-Go-Bechern und Pizzakartons an: Die Mülleimer an der Alster oder in Planten un Blomen quellen regelmäßig über.

Überquellender Mülleimer an der Alster
Überquellender Mülleimer an der Alster
© Severin Pehlke

Kein Wunder, dass besonders diese Orte betroffen sind: Im Jahr 2020 haben sich die Hamburger zu leidenschaftlichen Spaziergängern entwickelt. Dies zeigen Mobilfunkdaten von Google, mit denen sich Bewegungsmuster nachvollziehen lassen. Der Internetgigant verwendet diese Daten zum Beispiel, um Stoßzeiten in Restaurants oder die Verkehrslage anzuzeigen. In Bezug auf die Pandemie lassen sich die Daten nutzen, um Veränderungen im Mobilitätsverhalten darzustellen.

Auf den ersten Blick ersichtlich: Verglichen zur Zeit vor der Pandemie gingen die Hamburger 2020 deutlich häufiger in Parks und Grünanlagen. Geschäfte und Arbeitsplätze wurden dagegen weniger aufgesucht – besonders während der Lockdown-Zeiten im Frühling und Winter.

Aber nicht nur die Hamburger zog es ins städtische Grün. Auch die Tierwelt eroberte die Stadt in Teilen zurück, heißt es vom Hamburger Tierschutzverein. Es wurden knapp 10 Prozent mehr Wildtiere in Tierheimen abgegeben als noch im Jahr 2019. "Durch die Lockdowns und die damit verbundene Ruhe vor allem im Frühjahr haben mehr Wildtiere die Stadt erobert", erklärt Sven Fraaß vom Tierschutzverein Hamburg, "und sind  dann auch teilweise verunglückt". Doch da auch die Hamburger vermehrt spazieren gingen und in der Natur waren, konnten die verletzten Tiere schneller entdeckt und in entsprechenden Unterbringungen abgeliefert werden.

Eine positive Seite des Lockdowns: Es fällt schwer in einer Pandemie, auch die guten Seiten aufzuzeigen und doch gibt es sie. Zum Beispiel im Straßenverkehr. Im April verletzen sich rund 250 Menschen weniger bei Unfällen als im Vorjahresmonat. Außerdem bewegten sich die Hamburger umweltfreundlicher durch die Stadt: Der Radverkehr nahm im Jahresverlauf um 33 Prozent zu.

Auch wenn es ihm schwer fällt, selbst Sascha Albertsen von Hamburg Tourismus kann der Pandemie wenigstens in einigen Bereichen etwas Positives abgewinnen. "Wir glauben schon, dass der Restart die Chance bietet, dass wir Hamburg wieder stark positionieren können. Und dass wir auch in einigen Bereichen Chancen nutzen können, die uns zu einer neuen Stärke führen".

Vor allem im Bereich der Digitalisierung könne der Tourismus in Hamburg aus der Krise lernen, so Albertsen. Die Krise sei eine Chance, da ist sich der Touristiker sicher. Ein Lichtblick nach einem Jahr, in dem das Hamburger Tor zur Welt geschlossen blieb.

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