"Hoffentlich regnet es nicht", betet Caitlin Donaldson schon seit Tagen. Die 18-Jährige ist mit Freunden zum Wildfoods Festival verabredet. Das hat Tradition in ihrer Familie und Caitlin will ihren Geburtstag auf einem der größten Feste der Region feiern. Ihre Tante Andrea kommt extra aus Auckland nach Hokitika und will in diesem Jahr endlich das tun, was sie sich in jedem Jahr vornimmt: Den ultimativen Geheimtipp, die Huhu Grubs, ersteigern. Bereits am frühen Morgen kommen die ersten Besucher auf den Cass-Square in der Weld Street - und bleiben bis zum Sonntag, denn richtige Kiwis feiern und tanzen nach dem "wilden Essen" bis in die frühen Morgenstunden.
Westcoast is Wet-Coast
Unweit der längsten Hängebrücke Neuseelands, der Swingbridge über den Fluss Buller George, und den Pancake-Rocks, liegt das sonst so verschlafene Städtchen Hokitika, von den Bewohnern zärtlich "Hoki" genannt. Eingebettet zwischen der Tasmanischen See im Westen und den neuseeländischen Alpen im Osten. Aufgrund der eingeengten "Voralpen"-Lage zeichnet sich das Klima von Hoki durch einen -sogar für neuseeländische Verhältnisse - hohen Jahresniederschlag von 2764 Millimetern aus. Der Regen verteilt sich zudem relativ gleichmäßig auf alle Monate. Weshalb die Westküste von den Einheimischen auch Wet-Coast genannt wird, was die Goldgräber nicht abschreckte, als sie Hokitika 1864 gründeten. Das Städtchen wurde eines der Zentren des Goldrausches, später Hauptstadt der Provinz Westland. Nach dem Gold kam die Verarbeitung von Pounamu, einer Jade-Art, ein wenig Forstwirtschaft und Bergbau. Heute ist der Ort für sein deftiges Festival bekannt.
Wein aus Rosenblättern
Dabei begann alles ganz harmlos: Zur 125-Jahr-Feier hat eine Bewohnerin Hokitikas, Claire Bryant, hausgemachtem Stechginster- und Rosenblatt-Wein aus ihrem Weinkeller an. Das war 1989 und die begeisterten Hokitikaner wollten fortan jedes Jahre die kulinarischen Genüsse der wilden Westküste präsentieren.
Seither lockt das Wildfoods-Festival Tausende Menschen an die Westküste, um am zweiten Samstag im März die Zahl der Einwohner locker zu verfünffachen. Am vergangenen Wochenende feierte das Fest 20-jähriges Jubiläum und nach einem Ansturm von mehr als 20.000 Besuchern in manchen Jahren sind die Veranstalter in den letzten Jahren bestrebt, ein umweltfreundliches Festival zu organisieren. In diesem Jahr wurden nur 15.000 Tickets verkauft.
Im Zeichen des Wildschweins
Das Logo und Eintrittskarte sind in Form eines Wildschweins gestaltet. Bei Andrea, Caitlin und ihren Freunden geht jetzt ein Riss durch das Schwein. Sie sind nach langem Schlangestehen endlich auf dem Gelände. Die akrobatischen Riesen-Köche auf Gehstelzen mit übergroßen Kochmützen sind fester Bestandteil des Festivals, ebenso die Feuerschlucker. Das kulinarische Angebot hingegen wechselt jedes Jahr.
Eine Gruppe, die sich als Familie Feuerstein verkleidet hat, bietet Spare-Ribs an. Das zählt noch zu den gängigen neuseeländischen Gerichten. Genauso wie Grashüpfer, Hai, Schnecken, Grünlippmuscheln und Whitebait, die an den vielen Ständen auf der Speisekarte stehen. Whitebait, ist eine klassische Westküsten-Spezialität: Ein heller, fast transparenter, fingerlanger Fisch aus den nahe gelegenen Flüssen mit auffällig schwarzen Augen, wird gerne im Bündel in einer Art Eierteighülle angebraten und verspeist. Die schmecken "Good as gold" so wie die, die Andreas Großmutter den Gästen früher gerne in die Pfanne gehauen hat. Doch wo sind die Huhu Grubs? Der auffällige Stand mit den Baumstämmen ist noch nicht zu sehen.
Von Possum-Balls bis Cow-Udder
Überwindung brauchen kulinarische Probierwillige schon, wenn es um das Kauen und Schlucken von Possum-Balls geht. Das sind deftige Hackbällchen aus dem Fleisch des Opossums. Diese Beutelratten, die man meist plattgefahren auf dem Straßenasphalt klebend oder am Wegesrand liegen sieht, wurden aus Australien eingeschleppt. Hier auf Neuseeland gelten sie als Schädling, weil sie die Bäume, vor allem den allseits beliebten rot blühenden Pohutakawa, anfressen. Ihren Pelz zu kaufen, gilt ökologisch als gute Tat. Der nächste Stand bietet Cow Udder.
"Her mit den kleinen Kuheuter-Spießchen für einen Dollar", ruft Caitlin und schiebt sich die viereckigen, mundgerechten Häppchen von einem Holzspießchen in den Mund. Für jeden Geschmack ist etwas dabei und jedes Jahr kommen neue Spezialitäten dazu. Am Ende des absolvierten Rundgangs gelangen sie endlich zum kulinarischen Festival-Geheimtipp: den Huhu Grubs.
Wenn Würmer sich winden
"Just delicious" sollen sie angeblich munden. Die "Hoki Hocki Huhu Grubs" das sind fingerdicke Würmer, die mit der Axt frisch aus einem Baumstamm geschlagen und noch windend an den meist Bietenden versteigert werden. Wurm für Wurm. Noch blickt der Gewinner der letzten Versteigerungsrunde - manche zahlen bis zu 20 neuseeländische Dollar für so ein Exemplar (circa acht Euro) - etwas skeptisch auf das sich zwischen seinem Daumen und Zeigefinger windende, hässliche Kleintier. Doch dann steckt er vor laufender Kamera und dem blitzenden Fotoapparat seiner Freunde in den Mund und beginnt mit Kaubewegungen. Dschungelcamp lässt grüßen! Die Entscheidung fällt in diesem Jahr besonders schwer: Neben den lebendigen Würmern gibt es eingelegte Huhus sowie Huhus international in Form von Schoko-Törtchen, Sushi, Glückskeksen und Huhus für Feiglinge.
"Oh my Gawd!", ruft Andrea nachdem Caitlin einen eingelegten Wurm verspeist hat. Und entscheidet sich lieber für einen Wurm am Spieß. Schnell rein damit und dann mit dem nach deutschem Reinheitsgebot gebrauten Bier der Region runterspülen! Noch schlucken. Geschafft. "Schmeckt nach Erdnussbutter", behauptet sie.