Das Wiedersehen mit Macao nach zehn Jahren ist zwiespältig: Damals wanderten umgerechnet 100 Euro in sechs Minuten aus meiner Tasche in das Säckel eines betagten Casinos. Nicht nur die Spielhölle, auch der chinesische Croupier hatte schon bessere Tage gesehen. Die Uniform leicht zerschlissen, der Blick irgendwie abwesend, legte er den Plastikschieber auf die Jetons und sackte mein sauer verdientes Geld mit einer blitzschnellen Bewegung ein. Was hätte man mit den Penunzen alles Sinnvolles anstellen können.
Stadt im Baurausch
Ich muss gestehen, dass ich kürzlich wieder schwach geworden bin. Wo? In Macao. Die Stadt ist nach einer Dekade kaum wiederzuerkennen. Natürlich gibt es für den Besucher altbewährte Orientierungspunkte wie das historische und portugiesisch geprägte Zentrum, Weltkulturerbe der Unesco, mit dem berühmten Platz Largo do Senado und dem Postkarten-Motiv der Ruine der Kathedrale Sao Paulo. Oder die wohl schönste Barockkirche "Sao Domingos" in der Altstadt. Nicht zu vergessen die "Grüne Lunge", die Insel Coloane, auf der sich die einzigen Strände Macaos befinden und wo man einen Spaziergang durch das gleichnamige Dorf nicht verpassen sollte. Hier zeigt die Stadt noch ihr altes Gesicht.
Doch mittlerweile ragen in der nicht allzu fernen City überall Kräne in die Höhe. Die gesamte Region ist in einen Baurausch verfallen: Das nahe gelegene Perlfluss-Delta um die Sieben-Millionen-Stadt Guangdong (Kanton) gehört zu einer der drei Boomregionen Chinas. Genauso wie das benachbarte Hongkong. Für das kleine Macao, das 1999 nach 450 Jahren portugiesischer Herrschaft den Status einer Sonderverwaltungszone mit weitgehender Autonomie von Peking erhielt, hat deren allgewaltiger "Oberbürgermeister", Chief Executive Ed Ho, eine ganz eigene Vorstellung davon, wie Touristen in die Stadt gelockt werden sollen.
Macao kleckert nicht, es klotzt
Denn von den jährlich 18 Millionen Besuchern sind bislang rund neun Millionen Tagestouristen, die nach wenigen Stunden Stippvisite der Stadt wieder den Rücken kehren. Viele von ihnen kommen aus dem nur 65 Kilometer entfernten Hongkong für den Kurztrip mit der Fähre herüber. In Zukunft sollen straff gemanagte Casino-Betriebe aus den USA die Besucher locken. Führende Las-Vegas-Unternehmen wie MGM, Wynn Resorts und Sands ("Venetian") investieren in den kommenden drei Jahren geschätzte vier Milliarden US-Dollar. Macao kleckert nicht. Es klotzt.
"Die Amerikaner wollen Macao zum Las Vegas Asiens machen", sagt Harald Bruning, ein seit Jahrzehnten dort lebender Deutscher, der die führende englischsprachige Tageszeitung "Macao Post" herausgibt. Allerdings soll kein "altes" Las Vegas kopiert werden, das auf Einarmige Banditen setzt, sondern ein modernes Tagungs- und Kongress-Zentrum mit Entertainment-Qualitäten entstehen. Dutzende von Baukränen dominieren zur Zeit das Stadtbild. Überragt werden die Mega-Kräne nur noch vom Macao Tower, dem mit 338 Metern zehnthöchsten Turm der Welt, der 2001 eröffnet wurde und von dem heute Bungee Jumper todesmutig in den Abgrund fallen.
Glitzerwelt der Casinos
Die neue Glitzerwelt der Casinos, sie hat heute rein gar nichts mehr mit der verrucht-verstaubten Atmosphäre vergangener Jahre gemein. Croupiers in schicken Uniformen geben dem Besucher nicht mehr das Gefühl, irgendwie abgezockt zu werden. Und das animiert sogar einen Casino-Flüchtling, sein Glück zu versuchen. Es klappt, und zumindest 50 Euro bleiben unterm Strich im Portemonnaie.
Die neuen Hotels werden keine kleinen und verspielten Design-Herbergen mit wenigen Räumen sein. Allein das "Venetian" verfügt in der End-Ausbauphase über 4.000 Zimmer. Zudem öffnet 2008 die "City of Dreams", ein Unterwasser-Meeting- und Entertainment-Komplex, hinter dem Hongkongs Milliardär Stanley Ho steckt. Die Investoren sind so überzeugt von der Stadt, die etwa so groß ist wie Stuttgart, das sich die Zahl der Betten bis 2008 von jetzt 11.000 auf mehr als 20.000 nahezu verdoppelt.
Dem Meer Land abtrotzen
In Asien geht vieles ruck zuck: Baugenehmigungen zu bekommen und in die Hände zu spucken ist nicht das Problem. Die Schwierigkeiten liegen oft am Boden. Stadtstaaten oder städtische Sonderverwaltungszonen haben schlicht und einfach oft zu wenig Land: Gleichzeitig wächst der Hunger nach bebaubarem Grund unaufhörlich: Also wird überall dem Meer etwas abgetrotzt. So wuchs die Fläche der Stadt von 16 Quadratkilometern in den 60er Jahren auf heute 28. In den nächsten Jahren sollen weitere 16 Quadratkilometer hinzukommen.
Eine weitere Möglichkeit, begehrtes Neuland zu gewinnen, tut sich in Geheimverhandlungen mit China auf, die seit geraumer Zeit geführt werden. Es geht um die benachbarte und fast unbewohnte Insel "Ilha da montanha", die dreimal größer ist als Macao, und die man von der Volksrepublik langfristig pachten will.
Die Öffnung der Grenze zu China hat außerdem der lokalen Wirtschaft einen unvergleichlichen Boom bei den Unternehmensgründungen beschert. 2005 siedelten sich 3072 neue Firmen an, eine Steigerung zum Vorjahr um 38,7%. Täglich pendeln mehrere Hunderttausend Menschen über den Schlagbaum.
Drehkreuz Macao
Kein Wunder, hat sich doch vor den Toren Macaos in den vergangenen Jahren mit Zuhai eine Megastadt entwickelt. In den 80ern noch ein Dorf, ist die Wohn- und Schlafstadt inzwischen so groß wie München. Daneben setzt die Geschäftswelt der Stadt große Hoffnungen in den Flughafen Macaos, der Mitte der 90er Jahre eröffnet wurde und nun ähnlich wie Köln zu einem Dorado der Preiswert-Airlines ausgebaut wird. Der Airport auf der vorgelagerten Insel Taipa ist heute bereits wichtiges Drehkreuz für Festlands-Chinesen und Taiwanesen, die das jeweils andere Land besuchen wollen. Noch immer gibt es keine direkte Linienflugverbindung zwischen den beiden Staaten. Deshalb wechseln Millionen in Macao den Flieger. Macao sieht sich als Mittler zwischen den Welten. Eine Rolle, die die Stadt seit mehr als 450 Jahren erfolgreich ausfüllt. Nicht nur in der Küche.