Von Weitem sehen die Abdrücke am Strand aus wie das Reifenprofil eines Lastwagens. Aber die Spuren sind natürlichen Ursprungs. Die parallelen Bahnen haben Seelöwen mit ihren Flossen in den Sand gezogen, wenn sie mit ihrem watschelnden Gang aus der Brandung an Land kommen. Hunderte von bis zu einer halben Tonne schweren Tiere leben in dieser Kolonie, pausieren nach mehrtägigen Ausflügen im Southern Ocean in den Dünen, um hier zu faulenzen, sich fortzupflanzen oder den Nachwuchs zu füttern.
Die Seal Bay an der Südküste von Kangaroo Island gehört zu den Hauptattraktionen der 160 Kilometer langen und bis zu 60 Kilometer breiten Insel, die von der Fläche etwas größer ist als Mallorca. Doch statt Massentourismus zählt hier das Interesse an der einzigartigen Flora und Fauna, das Naturerlebnis steht bei den Besuchern im Mittelpunkt.
Zoo ohne Zäune
Bis vor 12.000 Jahren war Kangaroo Island noch mit dem Festland verbunden. Nach dem Anstieg des Meeresspiegels am Ende der letzten Eiszeit blieb die nach Tasmanien und Melville drittgrößte Insel Australiens sich selbst überlassen und von den nach Australien eingeschleppten Füchsen und Kaninchen verschont. Dadurch behielten Tiere wie das Tamar Wallaby, die woanders längst ausgerottet sind, ihren natürlichen Lebensraum.
Bis heute sind auf Kangaroo Island neben Robben und Seelöwen auch Schnabel- oder Ameisenigel, Zwergpinguine, Kakadus und Echsen zu beobachten. Die erst in den 20er Jahren ausgesetzten Koalas haben sich so prächtig vermehrt, dass sie inzwischen sterilisiert werden müssen.
Die hier lebenden Kängurus passten sich der Natur an. Sie sind im Vergleich zu den Festland-Kängurus gedrungener, haben kürzere Beine, einen dickeren Schwanz und kennen aufgrund der langen Isolation keine Scheu vor Menschen. Als der englische Entdecker Matthew Flinders, der 1802 erstmals den australischen Kontinent umsegelte, auf der York-Halbinsel an Land ging, verpflegte sich seine hungrige Mannschaft der "Investigator" mit Frischfleisch: Die zutraulichen Kängurus ließen sich mit einem Knüppel einfach erschlagen. Nach diesem Gemetzel gab Flinders seiner Entdeckung den Namen: Kangaroo Island.
Granitfelsen als natürliche Kunstwerke
Heute wird die Insel auch landwirtschaftlich genutzt. Schafsherden weiden auf gerodeten Flächen zwischen dem dichten Busch und halten die Wiesen so kurz wie die Greens eines Golfplatzes. Wegen der vielen Eukalyptusbäume erweist sich der würzige Honig als Exportschlager. Im Westen der Insel liegen die undurchdringlichen Wälder des Flinders Chase National Park und eine besondere Skulptur der Natur. Hoch über der Küste thronen die Remarkable Rocks, ein Fels-Ensemble aus eisenfestem Granit. Nicht der Künstler Henry Moore schuf die abgerundeten Plastiken, sondern die Erosion modellierte im Laufe der Zeit die 500 Millionen Jahre alten Steine.
Am südwestlichsten Punkt von Kangaroo Island, wo seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein Leuchtturm am Cape du Couedic vor den Klippen warnt, führt ein Steg zu einer Kolonie neuseeländischer Seelöwen hinab. Die Luft riecht würzig nach Salz und Eukalyptus, der Wind lässt die Holzkonstruktion vibrieren. Die eigentliche Sensation aber ist der Admirals Arch, eine zum Meer hin offene Höhle.
Aus der schäumenden Brandung tauchen pelzige Robben auf und kriechen über die glitschigen Felsen an Land. Von der Decke wachsen Stalaktiten, das Meer, das die Einheimischen nur Southern Ocean nennen, kocht und brodelt. Dieser Ort wirkt wie das Tor am Ende der Welt. Hinter dem wogenden Meer und dem Horizont beginnt irgendwann die Antarktis.
Fluch und Segen des Luxus
Das Naturparadies mit seiner einzigartigen Tierwelt, den unberührten Stränden und eigenem Weinanbau schlägt mit der Eröffnung eines Fünf-Sterne-Hotel einen neuen Weg ein. Die Southern Ocean Lodge wagt die Kombination von Naturerlebnis und Luxusunterkunft. Das auf einer Klippe gelegene Resort mit 21 Zimmern ist bei den Einheimischen umstritten. Dort wollte kaum einer anheuern. So mussten die meisten Mitarbeiter der Lodge auf dem australischen Festland rekrutiert werden.
Mit Preisen ab 750 Euro pro Nacht und Person bringt die Southern Ocean Lodge Wohlhabende nach Kangaroo Island. Doch mit der Eröffnung der puristischen Designer-Lodge ist kein Jetset-Rummel ausgebrochen. Auch stehen keine Sonnenliegen am Strand, wie anfangs befürchtet. Die Abgeschiedenheit und die Begegnung mit den natürlichen Elementen bleiben weiterhin die Attraktion. Nach wie vor geht es auf Kangaroo Island gemächlich zu.

Bis heute kommt die Inselhauptstadt ohne eine Verkehrsampel aus. In Kingscote lebt die Hälfte der 4000 Insulaner, darunter drei Polizisten. Auf dem Provinzflughafen landen drei Propellermaschinen am Tag, die in 20 Minuten nach Adelaide fliegen.
Der Zeitungskiosk in der Wartehalle besteht aus einem Stapel "The Australian" auf der Bank mit einem Kaffeebecher daneben, in den man seinen Obolus für die Zeitung wirft. Die Sicherheitskontrolle ist mit einem Blick auf eine Liste mit gefährlichen Gütern erledigt. Haben Sie Waffen oder Sprengstoff dabei? Nein. Das war’s auch schon. Kein Metalldetektor, kein lästiges Abtasten des Körpers. Honiggläser und Flaschen mit Inselwein können im Handgepäck problemlos mitfliegen.
Gut, dass es solche Orte wie Kangaroo Island auf der Welt noch gibt.
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