Die einen haben gereihert, die anderen gebibbert, in grauer Früh, bei der Überfahrt nach La Digue. Die unter Deck gingen, packte die Seekrankheit. Die an Deck blieben, kriegten voll die Brecher ab. Die See zwischen den 41 Inselchen, welche sich Seychellen nennen, kann verdammt kabbelig sein. Aber schön war es doch. "Wenn wir mit Otto eine Insel zum Dreh anlaufen, ist das immer wie D-Day", schwärmt einer aus der Fernsehcrew. Na ja, so ähnlich. Tatsache ist, der Regisseur Otto W. Retzer ("Klinik unter Palmen", "Das Traumhotel"), Stammkunde im Revier der tropischen Fernsehschmonzette, schickt seine Truppe schon mal auf krasse Trips. Das schweißt zusammen, irgendwie.
An der Ostseite von La Digue stehen jene berühmten Granitfelsen, die das Image der Seychellen geprägt haben. "Bacardi Beach" heißt der Platz, seit dort Werbespots für den Zuckerrohrschnaps gedreht wurden. Das grandiose Ensemble darf in Ottos neuer "Traumhotel"-Folge selbstredend nicht fehlen. Die Crew hat am Strand eine Hütte zusammengenagelt und notdürftig ausstaffiert. Hier haust laut Drehbuch der totgeglaubte Eremit Robert Kaufmann, dargestellt vom TV-Urgestein Horst Janson. Der sonnengegerbte Kultmime wird von seiner Filmtochter Helena alias Claudine Wilde aufgespürt und mit deren Tränen mariniert. Klingt nach Groschenroman, ist es auch, funktioniert aber. "Otto weiß, was so eine Serie braucht", sagt der polyglotte Janson. "Vor allem tolle Landschaften. Die Leute meckern dann an der Story rum, schauen sich das Ganze aber trotzdem gerne an."
Sein Kollege Christian Kohlund, in der Serie ein ambulanter Hotelsanierer, scherzt: "Wir führen hier nicht gerade Kleist auf. Aber mit Otto an die schönsten Plätze der Welt zu fahren, das ist ein Geschenk." Gute Schauspieler in eine weniger gute Serie zu locken - kein Problem, wenn in Luxushotels auf Bali, in Mexiko, Thailand, Indien oder auf Mauritius gedreht wird. Der Blick auf weiße Buchten und regenbewaldete Berge tröstet über den transozeanischen Schwachsinn hinweg, den die Drehbücher von Brigitte Blobel oder Hilly und Krystian Martinek verströmen. Vorsichtshalber verteilt Kohlund Pressemappen, die ihn als Regisseur und Hauptdarsteller einer ambitionierten Theaterproduktion ausweisen. Yes Sir, man kann auch anders! Bei der TV-Serie "Das Traumhotel", von der bislang vier Folgen ausgestrahlt wurden, handelte es sich um einen "Traumschiff"-Nachbau, ähnlich wie "Unter weißen Segeln" (ARD) und "Glückliche Reise" (Pro Sieben). Das Erfolgsrezept hatte der geniale ZDF-Produzent Wolfgang Rademann bereits 1981 kreiert. Man nehme exotische Plätze, nach denen jedes Touriherz giert, und addiere Handlungsstränge, die um Liebe, Leid und schicksalhafte Begegnungen mäandern. Und am Ende, logisch, wird alles gut. Der glatzköpfige Otto, einst Promi-Wirt am Wörthersee sowie Trottel- und Kriminellendarsteller in fünftklassigen Klamotten, hat es mit seinem "Traumschiff"-Generikum bis in die ARD geschafft. Denn auch im Ersten besteht allzeit Bedarf an heiler weiter Welt. Autodidakt Otto, der seine Regiekarriere mit Sexkomödien wie "Dirndljagd am Kilimandscharo" begann, gibt stolzgeschwellt zu: "Manche nennen das "Traumhotel" einen Verschnitt aus "Traumschiff" und "Schwarzwaldklinik". Für mich ein Riesenkompliment!"
Nachtdreh im Resort Sainte Anne. Die Hotelanlage auf einer Privatinsel gegenüber der Seychellen-Hauptstadt Victoria auf der Insel Mahé genießt den Ruf des Noblen. Luftdurchflutete Speiseräume, viel Edelholz, ein Pool, der ins Meer überzugehen scheint, opulente Bungalows, Strände bis zum Abwinken. Ganz feiner Sand! Und Palmen, Palmen, Palmen. Die Palme ist das quintessenzielle Symbol für Urlaubsglück. Dafür legen Gäste aus Deutschland, Frankreich oder Italien klaglos 1000 Euro auf den Tisch - pro Nacht. Sogar die auf einem Hügel gelegene 3500 Euro aufwärts teure Royal Suite findet ihre Kunden. Irgendein Rockstar weilt immer auf den Seychellen. Sainte Anne ist die ideale Location für Ottos Plotten. Sein Auftraggeber, die österreichische Firma Lisa Film, hat mit dem Betreiber einen Deal gemacht. Die ARD bringt das zur Beachcomber-Gruppe gehörende Resort Sainte Anne attraktiv raus. Dafür dürfen Otto und seine Mannen dort einen Monat lang filmen und zum Spartarif wohnen. Die voll zahlenden Gäste sind von den umherwieselnden Filmfuzzis wenig begeistert. Manche mosern, andere drohen gar mit dem Anwalt. Mögen sich Miroslav Nemec als gehörntes Mannsbild und Anja Kruse als Fremdgängerin noch so mühen, beim Pool-Dinner Szenen einer kaputten Ehe rüberzubringen - Star der Veranstaltung ist und bleibt das Hotel. Soll so. Wenn Ottos 1,3 Millionen Euro teures Machwerk an einem dunklen, deprimierenden Januarabend TV-Premiere hat, werden Millionen Couch-Potatoes sehnsüchtig seufzen. Wenn schon Ehekrise, dann in so einem Ambiente! Seltsam freilich: Für die Darsteller selbst, fast alle weit gereiste Profis, ist ihr eigener Traum vom Hotel keineswegs das Traumhotel, in dem sie gerade "Das Traumhotel" drehen. Was weniger damit zu tun hat, dass - scharf besehen - der Service auf Sainte Anne eher mittelprächtig daherkommt, die Nebenkosten aber exorbitant sind. Es ist mehr eine Frage der Einstellung. Kohlund etwa bevorzugt "die kleinen Hotels mit den liebevollen Details".
Für Nemec ist das ideale Hotel eine Mobilie, nämlich ein Boot. Anja Kruse würde privat einen Bungalow an irgendeiner schönen Bucht auf der Hauptinsel vorziehen, "vorausgesetzt es gibt gutes Essen, ein straffes Bett und keine Kakerlaken". Hardy Krüger jr. fand die Flugsafari durch Ostafrika, von der er gerade kommt, viel spannender als das Herumfläzen am Luxusstrand. Ex-"Momo" Radost Bokel, die ein begabtes Zimmermädchen spielt, steigt privat nur dort ab, wo was los ist: "Ein Hotel muss mitten im Leben stehen." Und dem 70-jährigen Janson fällt eine vergleichsweise wohlfeile Unterkunft ein, wenn er nach seinem Traumurlaub gefragt wird: "Ich war mal mit der Familie im Club Aldiana in der Türkei - das war toll!" Außen, Tag. Nemec und Kohlund am Strand. Der eine hat einen Kater vom Saufen. Der andere labert dummes Zeug: "Sie haben Ihre Frau vernachlässigt, machen Sie nicht noch den Fehler ..." Traumfabrikant Otto ruft "Kaht", was "Cut!" bedeuten soll, oder "Äktschn!". Sie drehen die Szene fünfmal, was den Text aber auch nicht gescheiter macht. Otto muntert die Crew mit Sätzen auf wie "Herrschaften, jetzt kommt die schwierigste Szene seit dem Wagenrennen bei "Ben Hur"". So ganz ernst nimmt auch er das Ganze nicht, Schlitzohr, das er ist. Bergfest. Die Fete steigt, als die Hälfte des Films im Kasten ist. Otto hat sie auf die Hauptinsel verlagert, in das Lokal Kaz Kreole südlich vom Flughafen. Alles kommt hier viel billiger als auf Sainte Anne. Saubere Bungalows, sagen die Kellner, kann man in der Umgebung schon für 50 Dollar pro Tag mieten. Die von Granitfelsen gesäumte Bucht wirkt im Sonnenuntergang wie eine von Ottos verfilmten Kitschpostkarten. Die Crew und die Mimen sind happy. Seychellen! Das Paradies! Für lau! Als "klein, aber sehr fein" klassifiziert das Fachblatt "Touristik Report" den Archipel im Norden von Madagaskar. Mit rund 7000 Hotelbetten auf 454 Quadratkilometern ist die ehemals britische Kolonie in der Tat ein touristischer Däumling. Knapp 16 000 Deutsche erfüllten sich voriges Jahr den Traum vom Seychellenurlaub. Doch längst nicht alle steigen in absurd hochpreisigen Häusern ab wie dem Hotel Banyan Tree auf Mahé, dem Resort Lemuria auf Praslin oder dem Frégate Island Private auf Frégate.
An der kilometerlangen Beau-Vallon-Bucht von Nordmahé wohnen auch Gäste von Tui, Neckermann, Meier's Weltreisen und anderen Veranstaltern, und zwar zu bürgerlichen Preisen. Mit ein bisschen Initiative sind außerhalb der Hochsaison immer günstige Gästehäuser oder Bungalows zu ergattern, wie die Blue Lagoon Chalets an der Anse à la Mouche in Mahés Südwesten. Und nicht einmal auf dem hinreißend verpennten Eiland La Digue, das mit dem Grand-Anse-Beach einen der weltbesten Strände besitzt, kriegen Normalverdiener die Krise. Harter Massentourismus vom All-inclusive-Zuschnitt hat nicht einen Brückenkopf auf den Seychellen. Doch auch die Lieblingsidee der Regierung, womöglich nur noch Sieben-Sterne-Touristen zu empfangen, welche per Heli und Speedboot von Insel zu Insel wummern, hat so nicht funktioniert. Zum Glück, denn so kommen mehr Leute in den Genuss, das genuine Seychellen-Flair zu schnuppern. Was das ist? Schwer bestimmbar. Sagen wir, das Ganzentspannt-im-Hier-und-Jetzt-Sein des Mischvölkchens, das Fremden immer freundlich-gelassen, niemals aufdringlich begegnet. 75 000 Menschen, die genug zum Leben haben - auch dank des Tourismus. Ob "Das Traumhotel" für einen kleinen Seychellen-Boom sorgen wird? Möglich. Die Macht des Fernsehens ist verblüffend. Nach der Ausstrahlung der Folge "Verliebt auf Mauritius" registrierte das dortige Beachcomber-Hotel einen Buchungssprung von 40 Prozent. TV sells. Innen, abends. Otto hat für die Abschlussszene mit aufgekrempelten Ärmeln in die Klischeekiste gegriffen. Da ist der (echte) Chor der niedlichen Mohrenkinder mit den roten Haarschleifen, dirigiert von einer weiß gewandeten (falschen) Nonne und abgeknutscht von Opa Horst Janson. Da groovt eine quietschbunte Sing- und Tanzgruppe um den Pool, da ballert ein Feuerwerk am Himmel, dass die Palme wackelt. Und Hardy Krüger jr., im Film wieder mal der Lover vom Dienst, sieht unverschämt gut nach seinem Vater aus. "Natürlich macht der Otto Scheißfilme", sagt ein alter Hase vom Filmteam. "Aber die macht er richtig gut."