Bisher war diese Reise Luxus", sagt Emanuel und nimmt einen tiefen Zug an seiner Zigarette. "Jetzt kommt der harte Teil." Wir stehen auf dem Balkon seines Apartments, vor uns das glitzernde Kuala Lumpur, die Petronas Towers glühen groß und stolz im Nachthimmel.
Seit einigen Tagen sind wir nun in der Hauptstadt Malaysias. Wir haben mehr Gin Tonic getrunken, als wir am nächsten Morgen erinnern wollen, wir haben Sky-Bars in atemberaubenden Höhen besucht und auf dem Balkon der Queens Suite im ehemaligen Palast des britischen Gouverneurs ein Fünf-Gänge-Menü verspeist. (Auf dem Klo der Suite haben wir im Sitzen und Stehen gepinkelt und uns gefreut wie Kinder, weil die Queen hier ja absteigen soll, wenn sie im Lande ist.) Kurz: Wir haben Bilderbuchseiten aufgeklappt und gelebt.
Nun soll es in den Dschungel gehen. Survival-Tour. Zwei Tage. Geführt von ehemaligen Spezialkräften der malaysischen Armee.
Maleria und Monsun
Du bist verrückt, denke ich still. Wir sind verweichlichte, käsige, untrainierte Büroärsche. Maden, Maleria, Monsun, das ist nicht unsere Welt. Wir werden verrecken.
Doch dann schaue ich in die Runde, in die Gesichter meiner Freunde, dieser sechs Jungen, in die glänzenden Augen, und ich entsinne mich, warum wir hergekommen sind: sechs Freunde, die es in Deutschland nicht mal schaffen, sich freitags für ein Bier zu verabreden, sind nach Asien zu ihrem Freund gereist. Sechs Freunde, die alle seit Jahren arbeiten wie blöd, sich monatelang nicht melden, haben irgendwie diese zehn Tage in ihrem Kalender geblockt.
Mit Konserven und Machete
Emanuel ist seit März für einen deutschen Versicherer in Kuala Lumpur, für Eingeweihte kurz KL. Er hatte die Idee mit dem Dschungel. "Wir wollen leiden", hatte er dem Veranstalter geschrieben. "Ich hoffe, es wird den ganzen Tag regnen", schrieb der zurück.
Warum nur, frage ich mich, tun wir uns das an? Wollen wir uns noch mal beweisen, bevor wir ganz in unseren Jobs und Drehstühlen versinken, wie hart wir noch sind?
Am nächsten Tag, eine Stunde entfernt von KL am Rande des Urwalds. Jeder packt einen Rucksack, einmal Ersatzkleidung, einige Konserven, eine Decke, Isomatte. Sonst nichts. Bis auf das Wichtigste natürlich: eine Machete. Yeah. Als wir das Gruppenfoto machen und die Machete in der Holzscheide an meiner Trekkinghose baumelt, überlege ich, wie viele von uns sich gleich als Rambo fühlen werden (alle).
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Mohammed Gazali, unser Führer, sieht nicht aus wie Rambo. Aber er war Rambo. Er erzählt uns, wie er geholfen hat, die chinesischen Kommunisten aus Malaysia rauszuwerfen. Wie er wochenlang allein im Dschungel ausgesetzt wurde, bis es einen Einsatzbefehl gab. Und wie er, als der Ostblock zusammenbrach, im Kolumbien gegen die Farc kämpfte und in Gefangenschaft geriet. Keine Spur davon heute, er hat ein schwarzes T-Shirt an, auf dem "Survival is a dying art" steht. Er ist freundlich, erklärt alles.
Keine Malaria, beruhigt er mich, keine Tiere, die mich auffressen. Nur Panther. Und Blutegel, Spinnen und Skorpione natürlich. Okay.
Die Angst vor der Nacht
Als es losgeht und die ersten Blätter und Baumriesen die gleißende Sonne schlucken, überlege ich, ob ich wieder rauskomme. "Etwas Schiss habe ich schon", gestehe ich. "Ich habe nur Schiss vor der Nacht", antwortet Daniel, der beschlossen hat, zwei Tage sein gestreiftes Hemd anzubehalten. (Er sieht dabei aber besser aus als Jan, der ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "I love New York" und blaue Docksides trägt. Nur Emanuel trägt vorbildlich ein kakifarbenes Großwildjägerhemd.)
Wir ziehen unsere Macheten, und schon bald bilden sich an unseren Computerhändchen Schwielen, nach fünf Minuten sind wir komplett durchgeschwitzt. Die ersten Blutegel saugen sich an Beinen und Oberarmen fest. Wir ziehen sie ab oder pressen Tabak und Spucke drauf. Aber immerhin, wir lernen zu überleben: Mohammed und seine beiden Helfer zeigen uns, wie man aus Bambusrohren Wasserbehälter baut. Da ich bereits in der Schule in "Arbeit & Technik" versagt habe, wäre ich hier wohl bereits verschieden - hätte ich nicht vorsorglich im 7-Eleven eine Wasserflasche gekauft.
Feuer machen ohne Streichölzer
Aber dann: Feuer machen! Wieder mit Bambus, das neben Lianen wohl die beste Erfindung des Urwalds ist. Ein Rohr, in der Mitte gespalten, auf dem mit einer anderen Hälfte gerieben wird. In der einen ist ein Loch, in dem fein geraspelter Bambus liegt.
Wir reiben, pressen und rubbeln in Zweierteams, immer bis die Arme lahm sind (nach etwa zehn Sekunden, aber das gibt kleiner zu). Danach wird gewechselt. Irgendwann Rauch, mehr Rauch, es glimmt und glüht, ich höre Tom Hanks auf seiner blöden Insel "Feuer" rufen, und während es qualmt und dampft, Schweiß strömt und Hemden kleben, habe ich plötzlich ein neues Gefühl. Erhaben irgendwie, feierlich. Wir haben Feuer gemacht.
Es geht weiter. Wir müssen einen Berg hoch. Als wir oben ankommen, sieht mancher von uns bereits aus wie ein dehydriertes Häuflein Elend. "Ich war froh, als ich gehört habe, dass ihr alle keucht", sagt Jan. An einem Bach füllen wir unser Wasser auf. Ein Mittagsschlaf täte jetzt ganz gut, denke ich.
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"Jetzt bauen wir Fallen", sagt Mohammed. "Essen holt man sich im Dschungel aus zwei Gründen: Es gibt dir Nahrung und Hoffnung." "Scheiß auf die Hoffnung", denke ich, als wir kurze Zeit später Stöcke mit Lianen zu einem Käfig knoten. Doch ich ahne: Hätten wir nicht unsere Konserven, würde auch ich ein verdammtes Stachelschwein fangen wollen. Dann aber: Regen.
Nein, kein Regen, den wir kennen. Stellen Sie sich einen Wolkenbruch vor, der eine Stunde lang anhält. Nach einer Minute sind wir komplett nass. Dann kommt Gewitter, es grollt, blitzt. "Hockt euch hin", sagt Mohammed . "Und packt die Macheten ein!" Wir knien im Schlamm, warten. Wir haben immer noch kein Lager gebaut.
Lager unter einer Plastikplane
Stunden später, es ist Nacht geworden. Tiefes, blitzschnelles Dunkel, tausend Geräusche, ein Zirpen, Schreien, Summen, Brummen.
Wir sitzen am Feuer, nass, müde, dreckig, essen aus selbst geschnitzten Bambusschalen. Es gibt Fisch, Reis und Palmenherz, selbst gefällt. Leider war die erste Palme im Dickicht hängen geblieben, sodass wir eine zweite umlegen mussten. "Unsere Klimabilanz ist nicht gerade optimal", hatte Jan nur gemeint. Dann haben wir Holz gesammelt und das Lager gebaut, aus Ästen und einer Plastikplane. Ich frage mich, welche Tiere bereits erwägen, dort bei uns zu schlafen.
Emanuel holt eine Flasche Rum raus, wir rauchen billige Zigarren. Wir spüren, welche Grenzen wir hier gerade austesten, auch wenn alles, das Feuer, die Fallen, im Grunde ja nur simuliert ist. Warum machen wir das? "Ich glaube, dass Männer einfach Scheiße bauen wollen", sagt Daniel irgendwann. Und Emanuel meint, als wir am nächsten Abend zurück in der Zivilisation sind: "Ich glaube, manchmal gehen wir ins Büro, weil uns nichts anderes übrig bleibt."
Und ich denke ja, manchmal ist das so, wir machen unseren Job, meistens sogar gut, manche verdienen Geld und einige haben sogar Spaß. Aber unsere Träume sind andere. Wir wollen Kinder sein und Männer zugleich, und deshalb gehen wir raus in die Wildnis.
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