In der Reisebranche gehört der Oktober zu den starken Monaten. Bahn, Busse und Flugzeuge gelten als gut ausgelastet. Denn im Gegensatz zu den Sommermonaten, in denen der Geschäftsreiseverkehr stark abnimmt, sind im Herbst wegen der Schulferien in fast allen Bundesländern zusätzliche Urlauber und durch Messen und Meetings besonders viele Geschäftsleute unterwegs. Da trifft ein Streik eine Menge Reisender.
Anders als bei früheren Arbeitskämpfen von Flugbegleitern, Bahnpersonal und Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes sind wir Reisende mit einer neuen Qualität von Streiks konfrontiert. Kündigte früher eine Bahngewerkschaft einen Ausstand an, konnte man bei längeren innerdeutschen Reisen schon im Vorfeld auf einen Flug ausweichen.
Jetzt müssen wir bei unseren Reisebuchungen den möglichen Ausfall von zwei wichtigen Verkehrsträgern mit einkalkulieren. Schlimmer noch: Weder auf die Bahn noch auf die Lufthansa ist Verlass. Zwar wiederholen die Gewerkschafterbosse gebetsmühlenartig, dass sie ihre Aktionen abstimmen und nicht an denselben Tagen streiken wollen. Doch für die Reiseplanung hilft das wenig.
Die Taktik ändert sich wöchentlich
Bei der Lufthansa streiken mal die Piloten der Langstreckenflugzeuge, mal die der Tochterfirma Germanwings, mal die der Frachtmaschinen. Ebenso bei der Bahn: Mal stehen die Züge morgens, mal ab nachmittags, mal regional oder bundesweit still. Zwar werden die Ausstände vorher angekündigt, das Fatale dabei ist die Tatsache: Für die Piloten und Lokführer dauert der Streik nur die real angekündigten Stunden von 14 Uhr bis 4 Uhr morgens - nicht aber für uns Reisende.
Denn schon einen halben Tag vorher müssen wir mit Zugausfällen und Verspätungen rechnen. Viele ICEs fahren erst gar nichts los, damit sie für den nächsten Tag am Ausgangsort wieder bereitstehen und nicht irgendwo auf einem Kleinstadtbahnhof zum Zeitpunkt des Streikbeginns festhängen. Ebenso rollt bei der Lufthansa schon am Tag vor dem Arbeitskampf die eine oder andere Langstreckenmaschine nicht mehr zur Startbahn, damit die Flugzeuge nicht anderswo rumstehen, wenn der Flugbetrieb wieder aufgenommen wird.
Trösten können wir uns nur mit zwei Tatsachen. Erstens ist der Fernbus im Gegensatz zu früher eine attraktive Alternative geworden: Das Angebot hat sich seit der Öffnung des Marktes nahezu verdoppelt.
Ein Streik legt Deutschland nicht mehr lahm
Zweitens zeigen die Streiks ein andere Wirkung. Längst wird Deutschland nicht mehr lahmgelegt: Das große Chaos an Flughäfen und Bahnhöfen, wie es die Medien gerne heraufbeschwören, bleibt aus. Dank sozialer Netzwerke wie Twitter und Facebook werden vom Streik Betroffene extrem schnell informiert, sie reagieren flexibel und disponieren per Smartphone um. Firmen wie ADAC Postbus, Flixbus und Mein Fernbus sind die lachenden Dritten.
Auch gelingt es der Lufthansa zunehmend, auf Piloten im Management zurückzugreifen, die vom Schreibtisch spontan ins Cockpit umsteigen. So konnte beim Pilotenstreik am 30. September die Hälfte der bestreikten Flüge doch noch durchgeführt werden. Die erhoffte Störwirkung der Gewerkschaftler wurde abgedämpft, der Schaden für die Passagiere begrenzt.
Es geht um Machtinteressen
Und noch ein Phänomen gibt es zu beobachten. In der Bevölkerung schwindet der Rückhalt für die Streiks. Die automatische Solidarität bleibt aus, weil sich nicht die gesamte Belegschaft eines Großbetriebes auf einen Arbeitskampf eingelassen hat, sondern nur eine Minderheit: In beiden Fällen treten kleine Spartengewerkschaften für die Rechte gut gestellter Berufsgruppen ein.
Zwar heißt es in den Pressemitteilungen ihrer Interessensvertretungen wie der Vereinigung Cockpit und der Lokführergewerkschaft GDL, dass es sich angeblich nur um Gehaltsverbesserungen und Arbeitszeiten dreht. Doch in Wahrheit geht es bei den Piloten darum, wer bei der Lufthansa das Sagen hat, wenn neue Tochtergesellschaften unter dem Arbeitstitel "Wings" gegründet werden. Auch beim Tarifstreit der Lokführer wird es "immer offensichtlicher, dass es der Gewerkschaft GDL vorwiegend um die Ausweitung ihres Machtbereichs geht und nicht um tarifliche Forderungen", sagt der Pressesprecher vom Verbraucherverband Pro Bahn. Für diese Machtspiele haben Reisende kein Verständnis.
Wer diese Tage eine Reise plant, bleibt verunsichert. Er muss mit weiteren Unannehmlichkeiten rechnen. Die Arbeitskämpfe werden noch wochenlang dauern, denn die Fronten bei den Tarifparteien sind extrem verhärtet. Doch viele Passagiere werden umsteigen und nach positiven Erfahrungen dauerhaft bei der Konkurrenz bleiben. Darüber freuen sich die neuen Fernbus-Gesellschaften und die Airlines der Golfstaaten. Fluggesellschaften wie Emirates, Etihad und Qatar Airways kennen kein Streikrecht.