Die Generalprobe beim vorletzten Rennen deutet diesmal auf einen anderen Ausgang hin. "Ein Schritt noch zum Titel, ein Schritt noch zu meinem Traum", bilanzierte er mit der Gewissheit von knapp 15 Sekunden Vorsprung auf den Brasilianer Felipe Massa im Ferrari. Im Schnitt war er eine halbe Sekunde pro Runde schneller als die Roten. Das reichte zwar nicht, um den Sack schon ganz zuzumachen, aber es war ein großer Sieg fürs Ego des unter Druck geratenen Favoriten. 94 Punkte hat Hamilton auf dem Konto, 87 Massa – vier Zähler mehr würden dem Briten am 2. November in jedem Fall zum Triumph reichen. BMW-Pilot Robert Kubica kommt nach seinem sechsten Platz auf 75 Punkte und ist damit raus aus dem bisherigen Titel-Trio. Einmal, beim Zwischenstand in Runde 18, war der McLaren-Fahrer in Shanghai rein rechnerisch schon Champion, am Ende tauschten Räikkönen und Massa noch die Plätze. Jetzt gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Von 58 Weltmeistertiteln wurden bisher 24 erst im letzten Rennen vergeben.
Nach all der Aufregung in den letzten Rennen ein wohltuender Sonntagsspaziergang: So sieht es also aus, wenn einer auf Nummer Sicher Champion werden will. Zwischenfallfrei geblieben zu sein, das ist das Spektakuläre an den 56 Runden von Shanghai. Vor allem galt es für den Start, der angesichts der silbernen Überlegenheit auch schon das Ende der Dramatik war. Die Alphatierchen hielten sich am Start zurück, damit das Unternehmen Titelgewinn keinen Schaden nimmt. Aber auch auf die brave Tour war Lewis Hamilton von Kimi Räikkönen und Felipe Massa einfach nicht zu bremsen. Einzig Heikki Kovalainen lieferte sich den langen Bogen über ein Überholduell mit Fernando Alonso, verlor aber den vierten Platz am Ende der Runde wieder.
Räikkönen gibt sich ganz offen
Damit können wir auch gleich in Runde 49 von 56 schwenken: Lewis Hamilton hält bequem Distanz zu den Roten, die er angesichts des Smogs im Rückspiegel kaum noch erkennt. Kimi Räikkönen bremst sich selbst ein, damit Felipe Massa näher kommt. In der Ferrari-Box steht Jean Todt, seit Spielberg 2002 der Meister der auffälligen Stallorder, Pate – und in einem Tarnmanöver ist Massa auch vorbei, damit er statt neun nur noch sieben Zähler Rückstand hat.
Protestieren will McLaren-Mercedes nicht, warum auch? Massa versuchte allen Ernstes auf der Pressekonferenz nach dem Rennen ernsthaft zu antworten, sein Ingenieur murmelte etwas von körnenden Reifen, bis Räikkönen anschließend fast losprustet: "Leute, das ist doch normal. Ich habe getan, was das Team erwartet. Was erwarten Sie denn...?" Die Ego-Formel ist am Ende immer auch Mannschaftssport. Nur darf das Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali nicht so aussprechen und meint doppeldeutig: "Das sind doch zwei intelligente Jungs, die sind doch nicht doof." Hamilton auch nicht: "Ich wusste, dass das passiert. Das ist eben Rennsport..."
Das abgekarterte Spiel beschäftigt Hamilton nicht
Das abgekartete Spiel beschäftigt Lewis Hamilton nicht weiter. "Ich wollte einfach nur alles unter Kontrolle halten, aber das war heute nicht schwierig." Disziplin lautete das Zauberwort, das hatte Teamchef Ron Dennis seinem Schützling schon morgens eingeschärft: "Heute zählt nicht das Gewinnen, es geht darum, ins Ziel zu kommen." Er funkte in der Ehrenrunde ein Einser-Zeugnis ins Cockpit: "Fantastisch, wie diszipliniert das war. Genauso müssen wir nach Brasilien fahren, behalte Dir das!"
Der Stimmenchor der Experten ist wie ein Echo, Papa Anthony Hamilton attestierte ebenfalls einen Null-Fehler-Job: "Das war wohl sein bestes Rennen, und das unter diesem Druck." Mercedes-Sportchef Norbert Haug stimmt problemlos ein: "Das war eine hervorragende Demonstration von Lewis, obwohl alle mit vereinten Kräften versucht haben, ihn aus der Konzentration zu bringen." Für RTL-Grantler Niki Lauda ist das Ganze trotz der Punktlage so gut wie entscheiden: "Eine weltmeisterliche Fahrt." Aber das Psycho-Duell wird neue Fahrt aufnehmen, der geschlagene Massa spricht von Optimismus: "Aber den brauchen wir auch..." Mitgefahren sind diesmal die Deutschen: Bester war Nick Heidfeld im BMW-Sauber mit einem versöhnlichen fünften Platz noch vor seinem Teamkollegen Robert Kubica, auch Timo Glock steuerte als Siebter seinen Toyota in die Punkte, während Sebastian Vettel mit dem neunten Rang vorlieb nehmen musste, Nico Rosberg auf Platz 15 überrundet wurde und Adrian Sutil früh ausschied.