Auf den ersten Blick lacht über Leverkusen derzeit nicht die Sonne. Die Saisoneröffnung wurde von Regengüssen gestört, der Superstar hat den Club verlassen, der Stammkeeper ist verletzt und ein neuer Trikotsponsor nicht in Sicht. Doch die Transfers, die Vorbereitung und der neue Trainer geben Anlass zur Hoffnung.
Robin Dutt ist ein akribischer Arbeiter, ein Mann mit klaren Vorstellungen und Zielsetzungen. Der neue Trainer von Bayer Leverkusen ist kein Lautsprecher, kein Entertainer, sondern ein Mann, der vorsichtig, aber bestimmt formuliert. "Wenn wir keinen internationalen Platz holen, dann wäre das enttäuschend. Europa League ist gut, Champions League sehr gut und Meisterschaft überragend", erklärte Dutt in der Frankfurter Rundschau zu seinen Saisonzielen.
"Für die Mannschaft ist das Ziel, ihre bestmögliche Leistung zu erbringen, und damit ist der erste Tabellenplatz möglich. Deswegen sollten wir den auch anstreben, ich finde es nicht unrealistisch zu sagen: Wir wollen einen Platz besser sein als letzte Saison", so Dutt weiter. Dazu führt er seine Spieler im Training an die Grenzen. "Das Training von Robin Dutt ist intensiver als das vergangene", erklärte Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser im Express.
Dutt macht vieles anders als Vorgänger Jupp Heynckes, verfügt über eine eigene Handschrift und geht mit gutem Beispiel voran. Er ist stets der Erste auf dem Trainingsplatz, erklärt und zeigt jede Übung persönlich. Kurz, aber prägnant erläutert der aus Freiburg gekommene Trainer den Spielern seine Vorstellungen von Laufwegen und Abläufen auf dem Spielfeld, kritisiert scharf, aber immer sachlich. Auf ein festes System, eine starre Taktik will er sich nicht festlegen lassen. Sein Ziel: Möglichst mehrere Systeme zu einem verbinden, um auf jede Spielsituation die richtige Antwort parat zu haben.
Gute Sommer-Zeiten
Die Handschrift des neuen Trainers ist bereits zu spüren. Der variable Gonzalo Castro, den die Trainer der letzten Jahre immer wieder von Position zu Position geschoben hatten, hat unter Dutt endlich einen festen Platz gefunden - im zentralen Mittelfeld. "Ich sehe ihn im Zentrum, weil er ein Spieler ist, der technisch beschlagen ist und gegen den Druck des Gegners eine spielerische Lösung hat. Wenn er unter Druck gerät, verliert er nicht gleich die Nerven", lobte Dutt laut rp-online.
Auch Hanno Balitsch, der zweite Flexible im Team, hat jetzt eine feste Rolle. Er ersetzte in den Vorbereitungsspielen den verletzten Konkurrenten Daniel Schwaab hinten rechts und machte seine Sache hervorragend. Überhaupt zeigte die Mannschaft gegen Ende der Vorbereitung viel Spielfreude und sehr gutes Passspiel. "Jetzt geht es noch an die Feinheiten bis zum Start", erklärte Dutt laut op-online nach dem überzeugenden 4:1-Sieg über Genk.
Mental blüht auch Michael Ballack gerade wieder auf. Nach dem Ende der Diskussionen um seine Nationalmannschaftszukunft kann sich der Oldie befreit auf seine wohl letzten Profisaison vorbereiten und zeigte mit einigen Testspieltoren eine gute Frühform. "Er ist ein Musterprofi, vorbildlich", lobte Dutt laut welt.de. Ballack spielt in den Vorstellungen des Coaches eine zentrale Rolle und Völler ist sich sicher: "Er wird versuchen, es noch einmal allen zu zeigen. Davon bin ich ganz fest überzeugt."
Auch auf dem Transfermarkt hat Bayer Erfolge vorzuweisen. Mit Innenverteidiger Ömer Toprak (22) und Stürmer Andre Schürrle (20) kamen zwei junge, aber trotzdem schon bundesligaerfahrene Toptalente. "Ömer bringt alles mit, was ein Innenverteidiger braucht. Er ist schnell, beidfüßig und spielintelligent", stellte Dutt dem Spieler, den er schon in Freiburg betreute, laut Kölner Stadtanzeiger ein exzellentes Zeugnis aus.
"Das ist ein Spieler, der mitspielt. Er hat Fußball von der Pike auf gelernt, ist taktisch geschult", lobte Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser den Ex-Mainzer Schürrle, der am liebsten auf Linksaußen spielen würde und seine Klasse dort in den Testspielen schon bewies.
Zudem sorgten die Nachwuchskräfte Samed Yesil und Okan Aydin bei der U17-WM in Mexiko mit starken Auftritten für Furore und könnten auch in Dutts Planungen schon eine Rolle spielen: "Wenn ich sehe, dass sie besser sind als andere, werden sie eine Chance erhalten", so der Coach im Express. Als dritter U17-Akteur könnte Nico Perrey eine Rolle spielen. Der Innenverteidiger, den man kurzfristig aus Bielefeld holte, hatte alle WM-Spiele absolviert und war ebenfalls Garant für den dritten Platz.
Schlechte Sommer-Zeiten
Soweit, so schön. Wäre da nicht die Aufregung um blanke Bayer-Brüste. Nach dem vorzeitigen Rückzug des mittlerweile ohnehin insolventen Ex-Sponsors Teldafax steht Bayer derzeit ohne Trikotsponsor da. Mit riesigen Anzeigen in deutschen Tageszeitungen versuchten die Verantwortlichen einen Ersatz zu finden, der das drohende Etatloch von jährlich 6,5 Millionen Euro decken könnte.
Doch die Suche scheint sich schwierig zu gestalten. Bisher konnte noch kein Abschluss vermeldet werden. "Rund 50 Firmen waren interessiert. Wir sondieren. Noch können wir keinen Abschluss vermelden", erklärte Bayers Kommunikationschef Meinolf Sprink letzte Woche im Express. Mittlerweile heißt es aus Leverkusen, dass man notfalls auch ohne Sponsor und mit dem Schriftzug "Werkself" in die neue Saison gehen will, falls kein Interessent die geforderte Summe aufbringen will.
Zu den finanziellen Sorgen kommen sportliche hinzu. Mit Sami Hyypiä verließ ein erfahrener Mann und eine große Identifikationsfigur das Team. "Sami Hyypiä wird fehlen, da gibt es nichts zu deuteln", erklärte Simon Rolfes im kicker. "Auf dem Rasen hat jeder von ihm profitiert, der neben ihm spielte." Ein noch größerer Verlust dürfte aber der Abgang von Mittelfeld-Allrounder Arturo Vidal sein.
Der Wechsel spülte zwar Geld in die Kassen, verursachte aber sportlich trotz des großen Angebots an Mittelfeldspielern im Kader für einen Qualitätsverlust. Mit seiner Aggressivität, spielerischen Raffinesse und seinen Toren war der Chilene in der abgelaufenen Saison immerhin der Garant für Platz zwei. Hinzu kommt der Ausfall von René Adler nach seiner Knieverletzung. "Ein schwerer Schlag", kommentierte Rudi Völler laut faz.net.
Wer darf sich nicht verletzen?
Dabei war Adler der einzige Spieler, dem Dutt zum Vorbereitungsbeginn eine Stammplatzgarantie geben wollte. Doch ausgerechnet er fällt nun zumindest bis September aus. Der Trainer übte sich bei express.de in Zweckoptimismus und erklärte. "Ich werde Fabian Giefer und David Yelldell in Ruhe beobachten. Bei beiden Torhütern habe ich keine Befürchtungen, dass sie es nicht packen könnten."
Wenn Giefer in der Vergangenheit für Adler aushelfen musste, hinterließ er durchweg einen guten Eindruck und selbstbewusst ist der 21-Jährige auch. "Es ist mein Ziel, bei Bayer langfristig die Nummer 1 zu werden. Ich traue mir auch die Champions League zu. Das ist doch Geilste, was es gibt", erklärte er laut faz.net. Die Tendenz scheint aber für Yelldell zu sprechen. "David hat letzte Saison gespielt, die Erfahrung spricht für ihn. Giefer hat Perspektivpotenzial", erklärte Dutt laut bild.de nach dem Testspielsieg gegen Genk.
Ob Giefer oder der vom MSV Duisburg geholte Yelldell in Zukunft das Tor hüten werden, wird Dutt erst kurzfristig festlegen. Das Thema Emiliano Viviano ist nach der schweren Knieverletzung des Inter-Keepers endgültig vom Tisch, ein Nachkauf auf der Torhüterposition - sollte Adler doch länger ausfallen - ist zudem nicht ausgeschlossen.
Frage an den Fachmann
sportal.de fragte Leverkusen-Fachmann Stefan vom bayer04blog.de: Bayer geht mit gerade einmal 20 Feldspielern im Kader in die Saison? Ein Risiko im Hinblick auf die Dreifachbelastung mit Meisterschaft, Pokal und Champions League?
Stefan: "20 Feldspieler sind zwar wahrlich nicht viel, aber wenn man sich die Liste mal genau anschaut, erkennt man, dass wir unseren Kader nicht mit Jugendspielern auffüllen, die eh keine Einsatzchance haben. Danny da Costa ist da die einzige Ausnahme und der soll langsam an das Team herangeführt werden (macht im Sommer 2012 sein Abitur). Wenn bei dir Eren Derdiyok, Tranquillo Barnetta, Sidney Sam und Lars Bender auf der Bank sitzen, kannst du fast ohne Qualitätsverlust einwechseln. Das findet man eigentlich bei keiner anderen deutschen Mannschaft. Der Kader ist zwar nicht sehr breit, aber dafür auf konstant hohem Niveau. Eine sehr gute Grundlage für das Rotationsprinzip, das man bei Dreifachbelastung gezwungenermaßen anwenden muss."
Prognose
Die verregnete Saisoneröffnung wird sicherlich kein schlechtes Omen werden. Die Bayer-Mannschaft ist gut gerüstet für die neue Saison. Auch den Vidal-Abgang wird man dank des personell stark besetzten Mittelfelds verkraften können. Zudem hat man sich nicht nur mit Schürrle hervorragend verstärkt. Insgesamt ist die Dutt-Truppe zwar jung, die meisten Spieler können aber trotzdem bereits auf die Erfahrung von mindestens 100 Bundesliga-Spielen zurückschauen. Die zusätzliche Belastung mit der Champions League könnte im Falle von Verletzungen angesichts des nicht allzu breiten Kaders zwar für ein paar Probleme sorgen, doch am Ende dürfte Platz drei dabei herausspringen.
Malte Asmus