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1. Bundesliga Relegationsendspiel Berlin gegen Düsseldorf - Ein Drama in zwei Akten

Günter Netzer verkündete unlängst, dass es ein Wunder wäre, wenn die Hertha erstklassig bliebe. Betrachtet man die Zahlen zum Relegationsduell, dann scheint ein Sieg der Berliner nicht so wunderlich. Wären wir also Günter Netzer, dann gäb’ es einen, der die Geister schürt' und selbst die Steine Berlins zum Aufstand würd empören!

Günter Netzer verkündete unlängst: "Es wäre ein mittelgroßes Wunder, wenn die Hertha erstklassig bliebe." Fußballfans! Herthaner! Düsseldorfer! Hört mich an! Kritisieren will ich Hertha, nicht sie preisen. Was Mannschaften Übles spielen, das überlebt sie, das Gute wird mit ihnen oft begraben.

So sei es auch mit Hertha! Der edle Netzer hat euch gesagt, dass es ein Wunder wäre, wenn Hertha erstklassig bliebe. Und Netzer ist ein ehrenwerter Mann. Doch die Statistik zeigt, dass die Erstligisten das Relegationsduell gewinnen. Es bedarf also in aller Regel keines Wunders, damit die Hertha erstklassig bleibt.

In Punkto Erfahrung liegt die Hertha klar vorne, aber Netzer sagt, dass es ein Wunder wäre. Auch was die Qualität der einzelnen Spieler angeht, sprechen die Zahlen für die Berliner, doch Netzer sagt… Ich will, was Netzer sagt, nicht widerlegen. Ich spreche hier von dem nur, was ich weiß.

Die Geschichte der Relegation

Es gab in der Bundesligageschichte zwei Phasen, in denen Zweitligisten mit Erstligisten um Auf- und Abstieg kämpften. Von 1982 bis 1981 gewann sieben Mal der Erstligist und drei Mal der Zweitligist. In der zweiten Phase von 2009 bis heute gewann zwei Mal der Erstligist, ein Mal der Zweitligist. Es steht also 9:4 für die Bundesligaclubs. Statistisch gesehen ist das Spiel gegen Hertha BSC ein schwieriges Unterfangen für Fortuna Düsseldorf.

Die Qualität der Kader

Auch die sonstigen Zahlen sprechen gegen die Düsseldorfer. Fortunas Kader hat einen Wert von 22,1 Millionen Euro (Quelle: Transfermarkt). Der Kader von Hertha BSC ist 55,85 Millionen Euro wert, also mehr als das Doppelte. Der teuerste Spieler der Fortuna ist Maximilian Beister (3 Millionen Euro), der allerdings dem HSV gehört und nach der Saison nach Hamburg zurückkehren wird. Der Zweitteuerste Spieler ist Assani Lukimya (2 Millionen Euro), der am Ende der Saison eigentlich zum 1. FC Köln wechseln wollte, nach dem Abstieg der Kölner seine Situation neu überdenken muss.

Bei Hertha ist die Qualitätsdichte des Kaders wesentlich höher. Raffael (7,5 Millionen Euro), Adrian Ramos (6,5 Millionen Euro) und Pierre-Michel Lasogga (5 Millionen Euro) sind nur die Spitze des monetären Eisberges. Auch in Sachen Erfahrung liegen die Berliner klar vorne. Fortunas Kader hat gerade mal 357 Bundesligaspiele an Erfahrung aufzubieten, allein Levan Kobiashvili hat 336 Bundesligaspiele auf dem Buckel, der gesamte Hertha-Kader sogar 1668 Bundesligaspiele absolviert.

Der Äpfel mit Birnen-Vergleich

Das Urteil Netzers scheint also auf der Leistung der Mannschaften in dieser Saison zu beruhen. War das Messen des Erst- mit dem Zweitligist bis hierhin schon waghalsig, wird es nun komplett zum Vergleich von Äpfel mit Birnen, aber immerhin ist beides Obst. Hertha schoss in dieser Spielzeit 38 Tore und bekam 64 Gegentore. Düsseldorf brachte die fast die exakt spiegelverkehrte Leistung und schoss 64 Tore bei 35 Gegentreffern.

Fortunas beste Torschützen sind Sascha Rösler (13 Tore) und Maximilian Beister (11 Treffer) – bei Hertha durfte Pierre-Michel Lasogga acht Mal jubeln, Raffael und Ramos erzielten je sechs Treffer. Rösler (8 Vorlagen) und Beister (7 Vorlagen) sind auch die besten Assist-Geber bei der Fortuna. Bei Hertha hängt vieles an Raffael (9 Vorlagen), danach sind Nikita Rukavytsya und Ramos mit vier Vorlagen schon das Beste, was Herthas Kader an Assist-Gebern zu bieten hat.

Landeshauptstadt vs. Bundeshauptstadt

"Ich habe schon vor Jahren gesagt, Düsseldorf ist ein schlafender Riese und werde jetzt bestätigt“, führte Netzer noch an. Die Fußballeuphorie ist in die Landeshauptstadt von Nordrheinwestfalen (588.735 Einwohner) zurückgekehrt. Aber wenn Düsseldorf ein schlafender Riese ist, was ist dann die Bundeshauptstadt (3.499.879 Einwohner) – ein betäubter Gigant?

Vielleicht liegt der Erfolg aber auch nicht in tristen Zahlen begründet, sondern in den menschlichen Faktoren. Auch hier hat das Relegationsduell viel zu bieten. Im Mittelpunkt stehen dabei Michael Preetz, Assani Lukimya und Otto Rehhagel.

Preetz ist Düsseldorfer, Lukimya Berliner

Für Michael Preetz ist es ein ganz besonderes Spiel. Der gebürtige Düsseldorfer begann seine Karriere bei der Fortuna. Preetz war Balljunge im alten Rheinstadion und debütierte mit 19 Jahren für Düsseldorf in der Bundesliga. "Das ist schon eine kuriose Situation für mich. Aber das passt irgendwie zu dieser Saison“, sagte Preetz zu seiner brisanten Rückkehr. 20 Tore in 88 Spielen schoss er für Fortuna bis 1990, ehe er über Saarbrücken, Duisburg und Wattenscheid zu Hertha BSC wechselte und Rekordtorschütze der Berliner wurde.

Auch für Assani Lukimya ist es ein besonderes Spiel. Der gebürtige Kongolese spielte von 2004 bis 2007 drei Jahre für Hertha BSC, in der U19 und der zweiten Mannschaft. "Berlin ist meine Heimat, deshalb ist es für mich schon ein ganz besonderes Spiel. Aber darauf nehme ich keine Rücksicht, obwohl meine ganze Familie Hertha-Fan ist. Ich will unbedingt mit Fortuna aufsteigen“, so der Verteidiger der Fortuna im Express.

Bei Hertha wurde sein Talent nicht erkannt, Lukimya musste sich über Rostock und Carl Zeiss Jena wieder hochkämpfen, ehe ihn die Fortuna 2010/11 unter Vertrag nahm. Er blickt aber nicht im Zorn zurück auf seine Berliner Tage, für "Lucky“, wie er in Düsseldorf genannt wird, war es "eine schöne Zeit. (…) Ich karte nicht nach.“

Von Torhagel zu Rehakles und zurück?

Auch für Otto Rehhagel ist Düsseldorf nicht irgendeine Stadt und die Fortuna nicht irgendein Verein. Als Trainer der Fortuna (1979-1980) kam er als Retter in der Not, die Fortuna lag abstiegsbedroht auf Platz 16. "Er kam als Feuerwehrmann, als der Sprücheklopfer, als der Trainer, der eine Mannschaft retten kann, aber nicht lange bleibt. Er hatte zwar schon einige Vereine hinter sich, aber noch nicht die Erfahrung. Dennoch war er in der Lage, die Mannschaft gut einzustellen, das Wesentliche zu erkennen", so Klaus Allofs (zitiert nach Kuntze, S.90) später dazu.

Rehhagel rettete die Fortuna vor dem Abstieg und gewann den DFB-Pokal. Doch nach etwas mehr als einem Jahr musste Rehhagel nach einer 0:3-Niederlage gegen Kaiserslautern und einem Abrutschen auf den 16. Platz wieder gehen. Im Düsseldorfer Rheinstadion hat der spätere "König Otto" auch die schlimmste Pleite seiner Karriere erlebt.

Am letzten Spieltag der Saison 1977/1978 war Rehhagel BVB-Trainer und musste, da der Bökelberg umgebaut wurde, in Düsseldorf gegen Gladbach antreten. Rehhagel ging mit dem BVB 0:12 unter. Die höchste Pleite der Bundesligageschichte bis heute, die dem Trainer für kurze Zeit den Namen "Otto Torhagel“ einbrachte.

Was folgte, war eine beispiellos erfolgreiche Trainer-Karriere. Rehhagel wurde mit Werder Bremen zwei Mal deutscher Meister (1988, 1993) gewann 1991 und 1994 den DFB-Pokal sowie 1992 den Europapokal der Pokalsieger. Mit Kaiserslautern stieg er 1997 in die Bundesliga auf und gewann mit dem Aufsteiger sensationell die Meisterschaft. 2001 wurde er griechischer Nationaltrainer und 2004 Europameister.

Bis vor dieser chaotischen Saison der Hertha und Ottos fast gescheitertem Einsatz als Retter war Rehhagel also "König Otto“ oder "Rehakles“, heute wird er vielerorts als altmodisch verspottet.

Noch gestern hätt umsonst dem Worte Rehhagels
Die Welt sich widersetzt; nun liegt er da,
Und der Geringste neigt sich nicht vor ihm.

Doch der edle Netzer hat euch gesagt,
dass es ein Wunder wäre, wenn Hertha erstklassig bliebe;
und Netzer ist ein ehrenwerter Mann.
Aber wär ich Netzer
Und Netzer ich, dann gäb es einen,
Der eure Geister schürt' und jeder Wunde
Des Rehhagel eine Zunge lieh, die selbst
Die Steine Berlins zum Aufstand würd empören!

Michel Massing 

sportal.de sportal

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