Bayern-Debakel Wirbelsturm im Buddha-Land

Von Klaus Bellstedt, München
Das 2:5-Desaster der Bayern gegen den Erzrivalen Werder Bremen hat historische Ausmaße. Im eigenen Stadion musste der deutsche Rekordmeister eine ähnliche Demütigung zuletzt vor über 30 Jahren hinnehmen. Dem FCB mangelte es an der richtigen Einstellung. Jürgen Klinsmann droht jetzt Gegenwind.

"Es gibt so Tage, an denen bricht man sich beim Nasebohren den Finger" - Franz Beckenbauers Analyse nach dem gleichsam verheerenden wie überraschenden 2:5 seiner Bayern gegen Werder Bremen traf den Nagel voll auf den Kopf. Was das Team von Jürgen Klinsmann im ewigen Nord-Süd-Klassiker gegen den Dauerrivalen aus dem hohen Norden auch anstellte, es ging daneben. Dass sich das fußballerische Drama um den deutschen Rekordmeister ausgerechnet am Tag des Oktoberfeststarts und dann auch noch im eigenen Wohnzimmer abspielte - es passte irgendwie zu diesem grau-herbstlichen Nachmittag in der Allianz Arena.

Wie schnell sich die Zeiten doch ändern: Da wähnten sich die Bayern drei Tage zuvor und nach einem mühsamen, aber durchaus verdienten 1:0-Auswärtserfolg in der Champions League bei Steaua Bukarest etwas voreilig fast schon wieder in der europäischen Spitze. Von der schienen die Werderaner ihrerseits nach der 0:0-Blamage im gleichen Wettbewerb gegen die Zyprioten von Famagusta so weit entfernt zu sein wie die Erde von der Sonne. Und dann das. Es war eine Vorführung, eine historische sogar. 1976 kassierten die Bayern sogar sieben Gegentreffer im eigenen Stadion, damals hieß der Gegner Schalke 04. Danach kassierte man an der Isar niemals mehr Niederlagen ähnlichen Ausmaßes. Bis eben zu jenem Wiesn-Auftakt-Samstag des 20. Septembers 2008.

Die Bremer hatten verstanden

Und so fragten sich 62.000 Bayern-Fans und immerhin 7.000 Bremer-Anhänger in der ausverkauften Arena, was bitteschön innerhalb von wenigen Tagen mit ihren Teams passiert ist. Manch einer rieb sich verwundert die Augen ob der vertauschten Rollen. Dabei liegt die Lösung ziemlich nah. Womit wir bei einer wichtigen Grundvoraussetzung, wenn nicht sogar DER wichtigsten Grundvoraussetzung für erfolgreiches Fußballspielen angelangt wären: die richtige Einstellung.

Frank Baumann, seit zehn Jahren bei Werder und in seiner Funktion als Mannschaftskapitän ein absoluter Souverän, hatte nach der Nullnummer gegen die Nobodies aus Zypern diese richtige Einstellung seinen Mitspielern öffentlich abgesprochen. An der Weser wirkten seine Worte wie ein Donnerschlag. Baumann hatte sich für seine Brandrede genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht. Drei Tage vor dem Bayern-Spiel müssen sich die Diegos, Rosenbergs und Pizarros regelrecht geohrfeigt gefühlt haben. In jedem Fall hatte der sonst so besonnene und kluge Franke sein Team erreicht. Sie hatten verstanden. Und sie lieferten.

Ehrliche Worte von Klinsmann

Von Beginn an höchst engagiert, hellwach und aggressiv ging die Mannschaft von Thomas Schaaf gegen die Bayern zu Werke. Wie am Schnürchen gezogen spielten die beiden kleinen Mittelfeldstrategen Diego und Özil immer wieder ihre Pässe in die Spitze, wo sie mit Rosenberg und Pizarro zwei dankbare Abnehmer fanden. Das zuletzt so gescholtene Sturm-Duo markierte immerhin drei der fünf Bremer Tore. Innenverteidiger-Turm Naldo und der eben schon erwähnte Özil mit einem Sonntagsschuss am Samstagnachmittag komplettierten die glorreiche grün-weiße Scheibenschießer-Bande. Aber auch technisch weniger versierte Spieler wie beispielweise Vranjes, Boenisch und selbst der in die Stammelf zurückgekehrte Prödl konnten voll überzeugen - weil sie die richtige Einstellung an den Tag legten.

Jene richtige Einstellung, die den Bayern in dieser Partie seltsamerweise völlig abging. Jürgen Klinsmann, dessen gewagtes Projekt bis zum Match gegen Werder erste Früchte zu tragen schien, mochte an der Einstellung seiner Spieler aber nicht groß herummäkeln. In seinem leicht steril wirkenden Statement fand der Coach vor allem lobende, ja fast schon ehrfurchtsvolle Worte für den Gegner. Kein Statement war Klinsmann über die brüchige Abwehrdreierkette, seinen unsicheren Torwart oder die schwache Flügelzange Lahm-Lell zu entlocken. Dabei wäre dies durchaus angebracht gewesen. Und dann, ganz plötzlich, fiel doch noch ein bemerkenswerter Satz: "Die Bremer waren heißer. Sie waren uns diesbezüglich voraus." Aha, also doch. Tim Borowski, der Ex-Bremer und Doppeltorschütze vom Samstag traute sich - wohl auch wegen seiner beiden Treffer nach der Einwechslung - noch ein bisschen mehr aus dem Schneckenhaus: "Wenn man so wie wir auf den Platz geht, dann kann nichts dabei rauskommen." Deutliche Worte. Ungewohnte Worte.

Kaiser rät zur Frustbewältigung auf der Wiesn

Anders als Baumann bei Werder steht Borowski bei seinem neuen Arbeitgeber noch ganz unten in der Hierarchie. Und dennoch: Vielleicht werden sie sich im Wellness-, Fitness-, Buddha-Paradies der Bayern noch einmal an den Satz des blonden Schlackses erinnern. Ernst nehmen sollten sie seine Worte in jedem Fall. Schließlich weiß der Mann, wovon er spricht. Borowski hat neun Jahre für Werder gespielt und dabei so manche Partie für die Grün-Weißen bestritten, in der seine alte Mannschaft vom fehlenden Einstellungs-Bazillus befallen war. Ganz dumm gelaufen wäre es allerdings für die Bayern, wenn Borowski den zeitweilig auftretenden Werder-Virus von der Weser direkt mit an die Isar gebracht hätte. Das wäre dann vermutlich wieder ein Fall für Franz Beckenbauer. Der hat eigentlich immer ein Rezept parat. Übrigens auch nach der Pleite gegen Werder. Die könne Klinsmann doch am besten beim Runterspülen zweier Maß auf der gerade eröffneten Wiesn vergessen machen, riet der Kaiser seinem gequält dreinblickenden Trainer. Ganz so einfach wird es wohl doch nicht werden.

stern.de goes TV. Programmhinweis für alle Fußballfans. Redakteur Klaus Bellstedt analysiert am Sonntag ab 11 Uhr im DSF im "Doppelpass" bei Moderator Jörg Wontorra zusammen mit Udo Lattek, Sebatian Hellmann (Premiere), Oliver Müller (Welt) und Werder Boss Jürgen L. Born den Spieltag.

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