Erster Auftritt im Supercup Kane doch nicht wahr sein! Harry und die Leipziger Spaßbremsen

  • von Patrick Strasser
Harry Kane begrüßt die Bayern-Fans in der Allianz Arena
Harry Kane begrüßt die Bayern-Fans in der Allianz Arena. Der neue Superstar nahm am Tag seiner Verpflichtung zunächst auf der Bank Platz – und kam ins Spiel, als es praktisch schon verloren war.
© Daniel Löb / DPA
Es hätte so schön sein können für Harry Kane und den FC Bayern München: Der Neuzugang gewinnt an seinem ersten Arbeitstag seinen ersten Titel. Nur RB Leipzig hatte etwas dagegen – und verpasste dem Rekordmeister im Stimmungshoch einen gewaltigen Dämpfer.

Die Bayern hatten sich wirklich Mühe gegeben, geradezu rührend sämtliche Register gezogen, damit er, Harry Kane, sich bei seinem ersten Auftritt an seinem neuen Arbeitsplatz wohlfühlt. Der so ersehnte Wunschmittelstürmer, sollte bei seinem Debüt im Bayern-Trikot gegen RB Leipzig auf einem Teppich der Zuneigung durch die Allianz Arena schweben und – damit es richtig kitschig wird – natürlich gleich seinen ersten Treffer erzielen und mit dem Supercup die erste Trophäe der neuen Saison in die Höhe recken. Die Euphoriewelle für Kane sollte der gesamten Mannschaft einen Schub geben. So das Drehbuch in rosarot.

Doch erstens kam es anders und zweitens als alle Bayern dachten – alles verpuffte. Das deutliche 0:3 gegen den Pokalsieger bedeutete einen saftigen Stimmungsdämpfer. Die am Freitag beginnenden Bundesliga-Spielzeit hat noch gar nicht richtig angefangen, schon wurde den Bayern erstmal der Stecker gezogen. Kane doch nicht wahr sein!

Der Supercup gerät zur Nebensache

Man sagt ja: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Die Energie dieses Zaubers konnte man im Stadion tatsächlich spüren. Allein das Erscheinen von Neuankömmling Kane, dem Rekordtransfer der Bundesliga-Historie, geriet zum Happening. Für 100 Millionen Euro plus Bonuszahlungen im zweistelligen Millionenbereich verpflichtete der Abo-Meister den Superstar der Tottenham Hotspur und stattetete ihn mit einem Vertrag bis 2027 aus.

Eine Saison hatte man nach dem Abgang von Mittelstürmer Robert Lewandowski zum FC Barcelona versucht, ohne echten Neuner auszukommen. Als den Verantwortlichen dämmerte, dass dies ein Fehler war, heftete man sich an Kanes Fersen. Ein wochenlanges Gezerre und Geschacher um Millionen und Abermillionen samt eines irrwitzig-komplexen Vertragswerks folgte und beschäftigte die Medien nahezu rund um die Uhr. So mancher Fußballfan war bereits genervt. Am Freitagabend kam Kane, der vermeintliche Heilsbringer, im Privatjet eingeflogen. Nach dem Medizin-Check, der bis spät in die Nacht dauerte, unterschrieb Kane seinen Vertrag bis 2027 und absolvierte am Samstagvormittag ein erstes Schnuppertraining mit den neuen Kollegen.

Als Kane um 20.10 Uhr aus den Katakomben zum Warmmachen auf den Rasen lief, brandete der erste Jubelsturm der Heim-Fans los. Aus den Lautsprechern dröhnte der Scorpions-Hit "Rock you like a hurricane" - nun ja, Humor ist, wenn man trotzdem rockt. Kane winkte kurz ins Publikum, ehe er sich mit den Ersatzspielern warmlief. Danach legte die Stadionregie noch "Sweet Caroline" auf. Zu diesem Klassiker waren die Briten um ihren Captain Kane bei der EM 2021 bis ins Finale von London gestürmt, unterlagen jedoch im Elfmeterschießen gegen Italien.

Die Frage aller Fragen im Laufe des zur Nebensache geratenen Duells um den Supercup lautete: Wann würde Trainer Thomas Tuchel Bayerns so herbeigesehnte neue Nummer neun bringen? "Wir werden ihm ein paar Minuten geben. Ich glaube, dass es auch für Harry ein wenig viel war", sagte Tuchel vor Anpfiff. Kane sei in der Nacht zum Spieltag erst "weit, weit nach Mitternacht ins Bett gekommen". Also wollte man dem neuen Superstar mit einem Einsatz von Beginn an nicht "überstrapazieren", so Tuchel. Man habe sich eine Einwechslung aber "fest" vorgenommen. Denn: "Er möchte spielen. Wir möchten, dass er spielt." Bei solch einem festlichen Anlass vor der versammelten Bayern-Familie lässt man doch das beste Porzellan nicht im Schrank.

Bereits kurz nach der Pause hatte sich der 30-Jährige ein zweites Mal warmmachen dürfen. Als Kane von der Bayern-Bank hinüberschritt zum dafür vorgesehenen Bereich vor der Südkurve, wurde er mit stehenden Ovationen und "Ha-rry! Ha-rry!"-Rufen begrüßt. Erneut winkte er fleißig, wirkte aufgrund all der Euphorie leicht verlegen, beinahe schüchtern. Wie bereits zuvor von der Ersatzbank aus konnte er beobachten, was den Bayern fehlt: Einer wie er. Ein Neuner, ein Torjäger.

Mathys Tel, der 18-jährige Franzose, stets bemüht, doch immer noch mit dem Label Sturm-Talent versehen, machte viele Meter – aber keine Tore. Die 16. Minute: Tel, perfekt bedient von Serge Gnabry, schießt völlig frei RB-Torwart Janis Blaswich an – aus Mittelstürmer-Position, aus der perfekten Kane-Position. Ein Muss-Tor. Dann die 24. Minute: Wieder Tel, wieder nach Vorlage von Gnabry, wieder aus Mittelstürmer-Position, mittig aus rund neun Metern, diesmal verzogen. Ein Kann-Tor.

Das Grummeln der Bayern-Fans in der Arena nahm von Minute zu Minute zu – nicht nur wegen des zwischenzeitlichen Spielstands von 0:2, sondern weil die Bayern in frappierender Offenheit all ihre Schwächen und Baustellen offenlegten. Die ersten 45 Minuten waren eine Vorführung der Leipziger in Sachen Klarheit und Effizienz – 0:2 zur Pause, beide Treffer erzielte Dani Olmo unter staunender Beobachtung der Münchner Abwehr. Von den Tribünen gab es Pfiffe. Diesen Abend konnte den Bayern nur noch Kane retten. Ab der 50. Minute wurden die Rufe nach ihm immer lauter, immer fordernder. In der 60. Minute durfte der unglückliche Tel noch eine letzte Chance verballern.

Um 22.08 Uhr kam er dann rein, nur 26 Stunden nach der Landung in München. Wird man sich an diese 64. Minute erinnern, weil sie den Beginn einer neuen Ära markiert? Eher nicht. Aber: Solch eine Begeisterung, solch einen Jubel-Orkan hatte die Allianz Arena in ihren 18 Jahren seit der Eröffnung 2005 selten erlebt – vielleicht noch beim Debüt von Arjen Robben im August 2009, als er in Franck Ribéry sofort einen kongenialen Partner gefunden zu haben schien.

Tuchel hatte via TV dem Neuankömmling noch warme Worte mit auf den Weg gegeben. "Das ist ein großes Statement. Wir haben den Kapitän der englischen Nationalmannschaft aus der Premier League geholt. Er hat das gewisse Etwas und wird es hoffentlich unter Beweis stellen", schwärmte der ehemalige Chelsea-Coach und fügte stolz hinzu: "Größer als die Erleichterung ist noch die Freude. Das ist eine sensationelle Nachricht für uns als Verein und für die Bundesliga. Das ist eine Top-Verstärkung für uns."

Harry Kane kommt ins Spiel als es schon verloren ist

Blöd nur, dass ein müder und noch etwas verloren dreinblickender Kane ins kalte Wasser eines Spiels springen musste, das längst verloren war. Kanes Premiere in Bayerns neuen Kleidern, dem frisch auf den Markt geworfenen Champions-League-Trikot, ging nach hinten los. Weil der zuvor eingewechselte Noussair Mazraoui einen Handelfmeter verursachte, stand es nach Olmos drittem Treffer des Abends 0:3 – nur fünf Minuten nach Kanes Einwechslung. Auf den emotionalen Höhepunkt folgte aus Münchner Sicht der atmosphärische Tiefpunkt.

"Ich hoffe, dass ich eine Rolle spielen kann", hatte Englands Teamkapitän vor der Partie in einem Video auf der Bayern-Homepage gesagt, im Endeffekt hatte er jedoch keine einzige Torchance und lediglich drei Ballkontakte. Kane spielte zwei Pässe, von denen einer ankam, lief 2,83 Kilometer – allerdings meist neben der Musik. Die Halbfeldflanken auf den kopfballstarken Mittelstürmer wirkten ebenso fantasie- wie hilflos. Höflich applaudierte er den Teamkollegen, wenn die Bälle wenigstens grob in seine Richtung flogen. Man lernt sich ja gerade erst kennen. Dass Kane noch nicht ins Bayern-Spiel eingebunden sein konnte, war nach der einzigen gemeinsamen Trainingseinheit am Samstagvormittag jedoch klar.

Nach Schlusspfiff trottete Kane mit auf der Ehrenrunde von Teilen der Mannschaft, die eher zu einer Art Entschuldigungsrunde wurde. Kein Lächeln huschte über seine Lippen. Tuchel entschuldigt sich sogar bei ihm, sagte: "Es tut mir einfach leid. Der denkt wahrscheinlich, wir hätten vier Wochen nicht trainiert. Es ist ein sehr bitterer Abend für ihn." Ob Kane denn noch ein Aufbauprogramm in Sachen Physis brauche, wurde Tuchel später gefragt. Gerade zu entrüstet antwortete dieser: "Es gibt keinen Aufbau. Er trainiert und spielt." Mit Blick auf kommenden Freitag und Kanes restliche Vertragslaufzeit schob Tuchel nach: "Er wird in Bremen beginnen. Er spielt jedes Spiel."

Wäre ja gelacht, wenn es nicht bald flutscht.

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