Der Stadionsprecher rief es nach dem Schlusspfiff ins weite Rund der Münchner Allianz Arena: "Da kann man nicht meckern." Er hätte genauso gut sagen können: "Das war nicht verkehrt." Oder auf gut bayerisch: "Passt scho." Der 1:0-Heimsieg des FC Bayern München im Halbfinalhinspiel der Champions League gegen Olympique Lyon war ein erster Schritt nach Madrid, in Richtung Finale. Kein kleiner, ein sehr wichtiger, aber auch kein riesiger. Denn es war mehr drin für die ambitionierten Münchner gegen biedere und harmlose Franzosen. Dass der FC Bayern diesen Schritt überhaupt tat, lag in erster Linie an dem seit Wochen in Traumform aufspielenden Arjen Robben. Wieder einmal sorgte der Holländer für den entscheidenden Treffer. Und wieder ließ "Rob" den zweiten Teil des Münchner Starduos "Rib und Rob" vergessen, Franck Ribery. War "Rob" die schillernde Figur des Spiels, blieb für "Rib" nur die tragische Rolle übrig.
"Zu lange auf dem Fuß des Gegners"
Es war keine gute Woche für den französischen Superstar. Erst hatte seine Mannschaft in der Bundesliga Hannover 96 an die Wand gespielt, ohne dass er selber großartig glänzen konnte. Dann waren üble Gerüchte und klebrige Meldungen aus seiner französischen Heimat nach München gewabert. Ribery soll Kontakt zu einer minderjährigen Prostituierten gehabt haben. Der verheiratete Familienvater wurde von der Polizei verhört, ließ seine Anwältin Erklärungen formulieren, musste sich vor der Presse wegducken. Keine optimale Vorbereitung für das große Duell gegen seine Landsleute aus Lyon. Dementsprechend waren am Mittwochabend von Anfang an alle Augen auf Ribery gerichtet. Wie gefestigt ist der kleine Ballkünstler? Welche Antwort würde er auf dem Platz finden?
Den ersten Ball verstolpert er noch. Doch dann scheint Ribery den Ballast abgeschüttelt zu haben. Immer wieder setzt er Nadelstiche gegen Lyons Abwehrbollwerk. Schlägt seine Hacken, dribbelt in den Strafraum, bringt seine Mitspieler in gute Schusspositionen und kommt sogar selber zum Abschluss. Ribery dirigiert und agiert. Zusammen mit dem guten Badstuber-Ersatz Contento macht er in der ersten halben Stunde des Spiels über die linke Seite mächtig Dampf. Da ist von seinem Gegenpart auf der rechten Seite, Arjen Robben, noch nicht viel zu sehen.
Dann die 37. Minute: Nach einem Doppelpass mit Bastian Schweinsteiger im Mittelfeld verspringt Ribery der Ball. Er setzt nach, kommt aber gegen Lisandro zu spät und tritt dem Argentinier voll auf den Knöchel. Während sich Lisandro vor Schmerz am Boden krümmt, zückt Schiedsrichter Roberto Rosetti die rote Karte und hält sie einem völlig verdutzt dreinschauenden Ribery vor die Nase. Auch die umstehenden Spieler von Lyon scheinen zunächst nicht ganz glauben zu können, was da eben passiert ist. Ja, es war ein Foul, ein zu bestrafendes dazu. Aber eine rote Karte in einem bis dahin fairen Spiel? Bayerns Trainer Louis van Gaal wird später aussprechen, was wohl viele denken: "Franck stand zu lange auf dem Fuß des Gegners. Aber es war nicht mit voller Kraft. Ich denke, es war eine gelbe Karte." Seinem Spieler wird das nicht helfen. Ribery wird zumindest beim Rückspiel in Lyon zuschauen müssen.
Winkelzug mit Timoschtschuck
Ein entscheidendes Auswärtsspiel ohne Frank Ribery. Vor einigen Monaten hätte das in München für ebenso schlechte Laune gesorgt wie die Aussicht auf ein Oktoberfest ohne Weißbier. Doch während das Oktoberfest weit mehr als nur gefüllte Maßkrüge zu bieten hat, ist der FC Bayern mittlerweile weit mehr als eine Ribery-One-Man-Show.
Die rote Karte steckt das Team ohne Schock-Starre weg. Dafür sorgt Trainer van Gaal mit einem taktischen Winkelzug. Er bringt zur Halbzeit den defensiven Antoli Timoschtschuk für den offensiven Ivica Olic. Der oft kritisierte Ukrainer gibt dem dezimierten Mittelfeld der Bayern zusätzliche Stabilität. Gleichzeitig beordert der listige van Gaal den exzellent aufgelegten Bastian Schweinsteiger phasenweise in den Sturm, wo dieser für viel Gefahr sorgt.
Und dann ist da ja noch dieser Arjen Robben. Der schwingt sich nach dem Platzverweis für Ribery zum Mann des Spieles auf. Der 26-Jährige ist kaum mehr zu bremsen, wird zum Antreiber einer wild entschlossenen Mannschaft. Ähnlich wie Ribery und Contento in Halbzeit eins wirbelt Robben mit seinen kongenialen Partner Lahm in Halbzeit zwei über die rechte Seite. Kurz nach der Pause schlägt Robben eine feine Flanke auf "Mittelstürmer" Schweinsteiger, der seinen Kopfball nur knapp neben das Tor setzt. In der 54. Minute bekommt Robben unverhofft noch mehr Platz für seine Tempodribblings, da Lyons Defensivstratege Jérémy Toulalan nach einem Foul mit Gelb-Rot des Feldes verwiesen wird. Und Robben nutzt den Freiraum. In der 61. Minute verfehlt er aus halblinker Position. Ein letzter Warnschuss für Lyon, denn nun hat Robben sein Visier richtig eingestellt. Der Beweis: In der 69 Minute zischt sein 25-Meter-Hammer unhaltbar für den französischen Torwart Hugo Loris ins linke untere Eck. "In der Pause haben wir gesagt, das 0:0 ist ein gutes Ergebnis", sagte Robben nach der Partie. "Aber nach der Roten Karte gegen Lyon war es wieder ein ganz anderes Spiel."
"Mit dieser Moral kann das Team Berge versetzen"
Ein Spiel, in dem Lyon den Münchnern nie wirklich gefährlich wurde. Nur ein einziges Mal musste Bayern-Torwart Hans-Jörg Butt nach einem Weitschuss des Schweden Kim Källström sein Können aufbieten. Ansonsten beschränkten sich die Franzosen auf die Defensive, kamen in der zweiten Halbzeit kaum mehr über die Mittellinie. Mehr ließen die Bayern einfach nicht zu. Kompliment deshalb vom Gästetrainer: "Bayern war stark, gerade in der Balleroberung", sagte Claude Puel. "Wir musste viel laufen und haben viele Fehler in der Aufbauarbeit gemacht. Es wird schwer im Rückspiel. Wir haben das eminent wichtige Auswärtstor nicht geschossen."
Dieser Umstand, der Puel die Sorgenfalten auf die Stirn trieb, sorgte bei den Bayern-Verantwortlichen dagegen für großen Optimismus. Trainer van Gaal: "Wir haben ein gutes Resultat, ich bin sehr zufrieden. Normalerweise machen wir immer ein Tor. Und mit einem Tor wird es sehr schwierig für Lyon, dann müssen sie schon drei machen."
Diese höhere europäische Fußball-Mathematik, wonach auswärts erzielte Tore doppelt zählen, ist Uli Hoeneß natürlich bekannt. So verwundert es auch nicht, wenn sich Bayerns Präsident nach dem Spiel rundherum zufrieden zeigte: "Wenn die Mannschaft mit so einer Moral auftritt, kann sie Berge versetzen", sagte Hoeneß. "Man kann stolz sein auf diese Mannschaft. Was sie da seit Wochen leistet, ist überragend." Das hatte sicher auch der Stadionsprecher gemeint als er sagte: "Da kann man nicht meckern."