DFB-Pokalfinale Werders Diego will die Krönung

Von Frank Hellmann, Berlin
Nur ein Titel fehlt ihm noch: Ein Sieg mit Werder Bremen im DFB-Pokalfinale am Samstag gegen Bayer Leverkusen (ab 20 Uhr im stern.de-Live-Ticker) wäre für Diego die Krönung. Doch auch so wird der brasilianische Ballzauberer an der Weser unvergessen bleiben. Sein Abschied tut jedem Fußballfan weh.

Wer irgendwann einmal zu viel Wehmut nach einem Spieler wie Diego verspürt, der kann sich ja glücklicherweise beim Internetportal Youtube bedienen. Die Eingabe des vollen Namens Diego Ribas da Cunha genügt, und es werden massenweise aufregende Filmchen mit Kunst- und Kabinettstückchen offeriert. Allein sein 62-Meter-Weitschuss ins verwaiste Tor gegen Alemannia Aachen aus dem April 2007 ist bis heute mehr als 950.000 Mal aufgerufen worden. Dazu gibt es ein Sammelsurium von Pirouetten, Übersteigern, Hackenvorlagen, Volleyschüssen und Schlenzern, komprimiert zu einem Potpourri von 4:20 Minuten Länge, das mit netten Melodien unterlegt ist und ebenfalls schon eine halbe Million Mal angeklickt wurde.

Diegos Fußball ist aber auch eine einzige kunstvolle Komposition. Er besticht durch Kreativität und Inspiration, mit Tricks und Toren, Gewandtheit und Geschmeidigkeit. Sein Spiel besteht aber zugleich auch aus Einsatz und Engagement, Lauf- und Zweikampfstärke. Schließlich kann im athletischen Abnutzungskampf der deutschen Bundesliga niemand mehr bestehen, der bloß den Stehgeiger mimt.

So ist Diego zu einem wahren Virtuosen auf dem Rasen geworden, der alle Klänge beherrscht. Abgesehen vom filigranen französischen Taktgeber Johan Micoud hat noch nie ein Profi bei Werder Bremen derart den Ton angegeben wie der brasilianische Ballzauberer. Am Samstag, beim Pokalfinale gegen Bayer Leverkusen, wird er das letzte Mal den grün-weißen Dress überstreifen. Werder Bremen bestreitet im Berliner Olympiastadion sein 55. Pflichtspiel der Saison - die finale Partie hat Schlüsselcharakter für den Verein und seine Nummer zehn.

"Das wichtigste Spiel in meinem Leben"

"Dieses Spiel ist mein bisher wichtigstes, nicht nur bei Werder, sondern in meinem ganzen Leben", sagt Diego, "Ich will etwas von der Zuneigung zurückgeben. Ich bin glücklich, dass ich diese Chance bekomme."

Die erste Endspielchance war ihm bekanntlich verwehrt worden - am 20. Mai, beim erschreckend limitierten Auftritt des Bremer Ensembles im Uefa-Cup-Finale gegen Schachtjor Donezk, fehlte Diego gesperrt. Bei der Siegerehrung im Sükrü-Saracoglu-Stadion stand er in blauen Jeans, schwarzem Sakko und weißen Turnschuhen traurig daneben - wohl wissend, dass er, und nur er, es gegen die vielen Brasilianer der ukrainischen Überraschungsmannschaft hätte richten können.

Waren nicht den ganzen Endspieltag in Istanbul faszinierende Bilder seiner Europapokaltore über die Videowände der Fanzone an der Kadiköy-Anlegestelle geflimmert? Keine drei Tage später erlebte Diego mit, wie ganz Wolfsburg nach einem 5:1 gegen Werder die Meisterschaft feierte - Diego hatte einmal den Ball ins Tor gezaubert und sein 38. und letztes Bundesligator erzielt, aber wieder schauten die Hanseaten bei der Feierzeremonie arg dumm aus der Wäsche.

Nun steht der Topstar in der deutschen Hauptstadt ein letztes Mal für Werder in der Verantwortung, ehe er für 27 Millionen Euro Ablöse (zuzüglich 4,5 Millionen Euro Provision für seinen beratenden Vater) zu Juventus Turin wechselt. Für die Familie, die auf Diego großen Einfluss hat, war Italien immer ein Traum. Im Stammbaum seiner Eltern Djair Silvério und Cecilia da Cunha finden sich zahlreiche italienische Ahnen. Diego, der aus Ribeirao Preto stammt, einer Stadt 300 Kilometer von Sao Paulo entfernt, hat sogar einen italienischen Pass und freut sich auf den längst organisierten Umzug nach Turin: "Juve ist der beste Klub der Welt." Dass muss er wohl so sagen. Er hat sich für fünf Jahre gebunden und soll fast vier Millionen Euro jährlich verdienen. Netto. So viel hatte er in Bremen nicht mal als Brutto-Verdienst.

"Diego war ein Glücksfall für uns", sagt Werders Vorstandschef Klaus Allofs. Sportlich und finanziell. "Es hat alles zusammengepasst, wir sind froh, dass wir einen so facettenreichen Spieler hier gehabt haben. Die ganze Bundesliga kann darüber froh sein."

Spürnase Allofs sei Dank! Schon als der Genius noch nicht volljährig war, war er den Scouts von der Weser aufgefallen - und Allofs nahm die Fährte auf. Bereits mit 16 hatte der auf dem Fußballinternat des FC Santos ausgebildete und mit elf Jahren von den Eltern entwöhnte Diego bei den Profis debütiert. Gemeinsam mit Robinho gewann Diego die brasilianische Meisterschaft - als Kapitän. Der Wechsel nach Europa 2004 zum FC Porto, der besten Mannschaft Portugals, war nur die logische Konsequenz.

Für sein erstes Bundesligator brauchte er 19 Minuten

Doch plötzlich stockte die Karriere: Das System des Klubs und die Spielweise des Kickers passten einfach nicht zusammen - Diego war Bankdrücker. Dann kam Allofs, und für sechs Millionen wechselte ein Rohdiamant den Besitzer. 19 Minuten dauerte es am 13. August 2006, einem sonnigen Sonntag in Hannover, da hatte Diego in Deutschland sein erstes Tor geschossen. In Pflichtspielen gelangen ihm für Bremen insgesamt 52. Dazu 40 Vorlagen.

Doch diese Zahlen verraten wenig über die Sympathien, die dem nur 1,74 Meter großen Spieler am eher beschaulich-bescheidenen Standort Bremen zuteil wurden. Diego war ein Stück des hanseatischen Stolzes. So wie sich die Stadt hartnäckig die Eigenständigkeit bewahrt hat, behüteten die Fans ihren Spielmacher. Wenn er zum Turteln mit Sarah Connor nach Hamburg fuhr, wenn er mit seinem Aston Martin in eine Polizeikontrolle rauschte und zu viel getrunken hatte oder einem Hobbykick in Oberneuland den Vorzug vor einer Bundesligapartie in Köln gab - hat das jemanden gejuckt? Nicht wirklich. Auch die fehlenden Deutschkenntnisse - gerade erst wieder unüberhörbar bei seiner letzten Pressekonferenz, wo ihm in gewohnter Manier Dolmetscher Roland Martinez half - störten keinen. Zumal sich kaum ein Star so volksnah, verständnisvoll, höflich und hilfsbereit gab. Diegos Fannähe war phänomenal. Musterprofis beenden ihren Job eben nicht gleich nach dem Abpfiff von Training oder Spiel. Wenn die Feierfreudigen in Bremen zur Swutsch-Party in den "Ratskeller" oder Junior-Senior-Party ins "Salomons" strömten, tauchte oft genug auch Diego dort auf, lächelte alle an, tanzte mit. So was kommt an, so was spricht sich rum.

"Ich habe immer alles gegeben"

Die Diskussionen, ob er auf dem Rasen nicht manchmal zu selbstverliebt agierte, zu lange den Ball hielt, sind müßig. Ja, sie zeugen von Neid - wie etwa beim alternden Anführer Torsten Frings, der sich mehr oder minder direkt immer mal wieder über Diegos Spielweise beschwerte. "Es stimmt nicht, dass ich von Deckungsaufgaben befreit bin, ich habe immer alles gegeben", entgegnete Diego zu dieser sinnfreien Debatte. Oft schien er nämlich schlicht zu gut für seine Mitspieler.

Allofs will für die vielen Diego-Millionen viele neue Spieler kaufen. Manch einer, wie Marko Marin aus Mönchengladbach, ist auch aufgefordert, im Weserstadion zu zaubern. "Wir verzichten ungern auf Diego", beteuert Allofs, "aber auch ohne ihn wird bei Werder weiter Fußball gespielt." Wahrscheinlich aber nie wieder so künstlerisch wertvoll.

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