Diego im Interview "Das Aus in der Vorrunde wäre eine Schande"

Am Abend (ab 20.45 Uhr im Liveticker) geht es in der Champions League zwischen Juventus Turin und dem FC Bayern ums Überleben. Im stern.de-Interview spricht Juves Star Diego über die Brisanz dieses "Endspiels", Telefonate mit Mesut Özil und seinen Beinahe-Wechsel zu den Bayern.

Diego, die Fußball-Fans in Deutschland erinnern sich gerne an Sie. Manche vermissen Sie sogar. Es gibt nicht so viele Genies in der Bundesliga. Vermissen Sie auch Deutschland?
Natürlich vermisse ich Deutschland und vor allem Bremen. Ich habe nur positive Erinnerungen an die Bundesliga. Bei Werder habe ich bis jetzt die schönsten Momente meiner Karriere erlebt. Ich denke oft daran zurück.

Welche Momente sind das?
Ach, es gab so viele Ereignisse, die mich berührt haben. Zwei Augenblicke werde ich aber nie vergessen: Mein Tor aus der eigenen Hälfte gegen Aachen und der Gewinn des DFB-Pokals im Mai dieses Jahres. Es war mir wichtig, mich von den Fans mit einem Titel zu verabschieden. Gott sei Dank ist das gelungen. Ich hoffe, dass Werder in dieser Saison wieder einen Titel holen wird. Das Zeug dazu, Meister zu werden, haben sie.

Mesut Özil ist nach ihrem Weggang in Bremen sofort in ihre Fußstapfen getreten. Er ist mittlerweile der Hoffnungsträger der Deutschen im Hinblick auf die WM 2010. Haben Sie ihn schon angerufen und versucht, ihn nach Turin zu locken?
Mesut ist ein guter Freund von mir. Er weiß was er tut - und tun muss. Aber um auf ihre Frage zurückzukommen: Nein, ich habe es noch nicht versucht, auch wenn wir regelmäßig telefonieren. Mir ist völlig klar, dass alle großen Clubs in Europa seinen Namen längst ganz oben auf dem Zettel stehen haben. Insofern wird es eh schwer, ihn über die Alpen zu Juve zu locken.

Kommen wir zum "Endspiel" gegen die Bayern. Am Dienstagabend geht es für Juventus Turin gegen Bayern München um das Weiterkommen in der Champions League. Für die Bayern ist es das wichtigste Spiel der Saison. Ist es das auch für Juventus?
Natürlich. Das Spiel hat für uns Endspielcharakter. Auch wenn wir nicht gewinnen müssen - wie die Bayern. Es ist unsere Pflicht, weiterzukommen. Und ich bin auch selbstbewusst genug, sagen zu können, dass wir es schaffen werden. Die Bayern sind immer stark, aber wir spielen zuhause. Das ist ein Vorteil. Die Champions League ist der wichtigste Club-Wettbewerb auf der Welt. Ein Ausscheiden in der Vorrunde wäre für uns eine Schande. Soweit wird es auch nicht kommen, weil wir bis zur letzten Sekunde kämpfen werden. Das Ergebnis ist mir egal, Hauptsache wir gewinnen.

In der italienischen Serie A hat Juve ähnliche Probleme wie die Bayern in der Bundesliga. Zuletzt konnten sie zwar Spitzenreiter Inter Mailand besiegen, aber trotzdem fehlt der "alten Dame" etwas. Was genau?
Wir spielen einen guten Fußball, aber es fehlt die Regelmäßigkeit, die Gleichmäßigkeit. Immer haben wir ein paar Ausreißer nach unten drin. Aber je länger wir mit diesem Team zusammenspielen, desto besser wird es. Der Sieg gegen Inter war ein erstes Ausrufezeichen von uns.

Sie haben ihren Wechsel also noch nicht bereut? Immerhin wären Sie ja beinahe bei den Bayern gelandet...
Nein, niemals. Ich habe als Kind davon geträumt, für Juve zu spielen. Jetzt ist der Traum wahr geworden. Was gibt es schöneres? An die Bayern denke ich nicht, auch wenn der Club einen guten Ruf in Europa genießt und sicher auch gut aufgestellt ist.

Zu Beginn der Saison waren Sie verletzt. Dann lief es eine Zeit lang rund. Zuletzt gab es wieder Meldungen von kleineren Problemen bei ihnen. Wie ist Ihr körperlicher Zustand vor dem Match gegen die Bayern?
Ich bin bei 100 Prozent. Die muskulären Probleme habe ich komplett überwunden. Ich bin bereit, Juventus ins Achtelfinale der Champions League zu führen.

Juventus Turin ist trotz Del Piero, Camoranesi, Iaquinta und ihnen vor allem bekannt für eine stabile Defensive. Sowieso: Der italienische Calcio steht nicht gerade für fußballerische Offensivfeuerwerke. Mussten Sie ihren Stil sehr umstellen?
Wir sind in Italien unter den Defensiven immer noch die Offensiven. Insofern musste ich meinen Stil auch nicht groß umstellen. Bei Werder habe ich auch nach hinten mitgearbeitet. Ok, so oft auch nicht (lacht). Es ist doch so: In der Bundesliga habe ich mehr Tore erzielt, weil ich eben auch fast alle Freiheiten hatte. Drei, vier, fünf Tore, das war die Regel in Bremen. In Italien fallen weniger Tore. Man kann es vielleicht so ausdrücken: Bei Juventus organisiere ich mehr das Mittelfeld und bereite die Tore so vor. Das macht auch Spaß.

Münchens Trainer Louis van Gaal wird immer wieder dafür kritisiert, dass er das System zu oft wechselt. Ihr Coach, Ciro Ferrara, macht das auch gerne. Thomas Schaaf in Bremen hält lieber an einer Grundausrichtung fest, auch wenn er dabei variabel spielen lässt. Wie sehr tangieren Sie diese ständigen taktischen Wechsel?
Taktik hin oder her: Ich bin nun mal ein Spielertyp, der vor allem im kreativen Bereich seine Stärken hat. Das wissen die Trainer ja auch. Und sie wären schön blöd, wenn sie mich in einer Mittelfeldraute beispielweise auf die Sechserposition stellen würden. Ich habe keine Probleme mit Systemwechseln, bleibt doch meine Rolle auf dem Feld eigentlich immer dieselbe.

Brasilien, Portugal, Deutschland und jetzt Italien. Sie haben schon viel erlebt in ihrer jungen Fußballerkarriere. Worin unterscheiden sich diese Länder, in ihrer Art Fußball zu spielen?

Es gibt die großen Unterschiede zwischen Brasilien und Europa. In Brasilien pflegt man das spielerische Element. Insofern würde Werder übrigens gut dort mithalten können… Juventus natürlich auch (lacht). In Europa geht es härter zur Sache. Die Kondition spielt eine viel größere Rolle, selbst in Portugal. Disziplin, Ordnung auf dem Platz und Ausdauer. Darauf wird in den europäischen Ligen, die ich kenne, mehr Wert gelegt, als in Brasilien.

Die WM in Südafrika steht vor der Tür. Die "Selecao" ist gerade auf ihrer Position zum Beispiel mit Kaka stark besetzt. Haben sie Angst um ihre WM-Nominierung?
Die Selecao ist herausragend besetzt. Trotzdem ist es mein Ziel, in Südafrika dabei zu sein. Was denn sonst? Ich will dieser Mannschaft helfen. Und ich kann dieser Mannschaft helfen. Es wird ein langer Weg zum Titelgewinn. Das ist unser Ziel. Auf dem Weg dorthin hoffe ich, noch gebraucht zu werden.

Diego Ribas da Cunha

Diego wurde als 12-Jähriger von Spähern des brasilianischen Clubs FC Santos entdeckt und durchlief alle Jugendabteilungen bis hin zur Profimannschaft. Von dort wagte er 2004 den Schritt nach Europa. Er wechselte zum FC Porto, saß aber in zwei Jahren meist auf der Bank. Dann holte ihn Werder-Manager Klaus Allofs an die Weser, wo Diego schließlich der Durchbruch gelang. In der vergangenen Saison gewann er mit Bremen den DFB-Pokal und führte die Mannschaft in das Uefa-Cup-Finale, in dem er wegen einer Gelbsperre nicht auflaufen durfte. 2007 war er Deutschlands Fußballer des Jahres. Im Sommer wechselte der neunfache Nationalspieler nach drei Jahren in der Bundesliga zu Juventus Turin.

Klaus Bellstedt und Felix Haas

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