Bis zum Mittwochnachmittag hatte Marco Russ nur eines im Sinn. Den Bundesliga-Verbleib mit Eintracht Frankfurt, die beiden Relegationsspiele gegen den 1. FC Nürnberg. Russ ist ein kantiger, robuster Verteidiger, er spielt mit einer kurzen Unterbrechung seit genau 20 Jahren für seinen Verein. Wenn man nach Gründen sucht, warum die Eintracht nicht schon vorzeitig aus der Fußball-Bundesliga abgestiegen ist, dann landet man bei der Arbeit von Trainer Niko Kovac, zwei wichtigen Toren von Stefan Aigner - und dem Einsatz von Marco Russ. Er hat dieses Team in den vergangenen Wochen angetrieben. Auf dem Platz und neben dem Platz.
Tumor fiel bei Dopingprobe auf
Seit Mittwochnachmittag weiß der 30-Jährige: Sein vermeintlich härtester Kampf steht ihm noch bevor. Bei Russ wurde eine schwere Tumorerkrankung festgestellt. Aufgefallen ist die nur, weil er am 30. April nach dem Derbysieg bei Darmstadt 98 eine Doping-Probe abgeben musste. Deren Untersuchung ergab einen "einen auffällig erhöhten Wert des Wachstumshormons HCG" in seinem Körper, teilte die Eintracht mit.
"Ich habe in 30 Jahren Bundesliga viel erlebt. Ein so schlimmes Ereignis vor einem solch wichtigen Spiel aber noch nie", sagte Vorstandschef Heribert Bruchhagen dem "hr-sport".
Zahlreiche Bundesliga-Clubs twitterten ihre Genesungswünsche an den Frankfurter Verteidiger. Viele Eintracht-Fans aber fragten sich neben aller Betroffenheit auch: Wie kann man sich mit einem Tumor im Körper noch so in jeden Ball und jeden Zweikampf werfen, wie Russ das in den vergangenen Spielen getan hat? Und vor allem: Wie muss man sich fühlen, wenn man gerade die bislang schlimmste Nachricht seines Lebens erhalten hat und auf einmal steht die Staatsanwaltschaft vor der Tür? Die Ermittler hatten genauso wie der Verein die Nachricht von der Doping-Probe erhalten, aber sie schlossen daraus: Der Mann ist gedopt, und nicht erkrankt.
Frankfurt brauchte einen, der mehr spricht
Gemessen an all dem, habe Russ "sehr gefasst" reagiert, berichtete Bruchhagen. Der Abwehrspieler war schon immer das, was Fans und Journalisten gern einen "Kämpfer" oder "Anführer" nennen. Über die vergangenen Wochen bei der Eintracht hat ihr Torwart Lukas Hradecky in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" gesagt: "Die Mannschaft hat einen gebraucht, der mehr spricht in der Kabine. Marco Russ füllt diese Rolle aus."
Sechs Trainer hat der gebürtige Hanauer bei der Eintracht bislang gehabt. Ob nun Friedhelm Funkel, Armin Veh oder Niko Kovac: Jeder von ihnen hat schnell erkannt, dass Russ weder der schnellste noch der filigranste ist. Aber jeder von ihnen stellte ihn immer auf.
2011 wechselte Russ nach dem bislang letzten Abstieg "seines" Vereins zum VfL Wolfsburg. Aber schon anderthalb Jahre später war er wieder zurück. Ende April, als die Eintracht gerade Vorletzter war, verkündete er, nie mehr gehen zu wollen, egal was sportlich passiert. "Wenn sie mir ein neues Angebot machen, unterschreibe ich sofort."
Marco Russ prägte Eintracht Frankfurt
Russ soll bereits in der kommenden Woche operiert werden. Vorher will er aber mindestens beim ersten von zwei Relegationsspielen gegen den 1. FC Nürnberg sogar mitspielen. Er habe Trainer Niko Kovac im Laufe des Mittwochabend mitgeteilt, "dass er sich zum Spiel bereit fühlt", sagte Präsident Bruchhagen. Nach Angaben des Vereins gaben auch die behandelnden Ärzte ihr Einverständnis dazu.
Seine Profi-Karriere begann 2004 in der 2. Liga. Die Eintracht baute damals eine neue Mannschaft auf, deren Gesicht über gleich mehrere Jahre vor allem vier Spieler prägten: Alexander Meier, Patrick Ochs, Benjamin Köhler und eben Russ. Bei Köhler wurde 2015 ein bösartiger Tumor im Lymphsystem seines Bauchs festgestellt. Trotzdem feierte er 14 Monate später ein Comeback. Darauf hofft auch Marco Russ.