Deutschland - Portugal Die ewige Turniermannschaft

Von Klaus Bellstedt, Basel
Mit dem stärksten Auftritt seit dem WM-Viertelfinale gegen Argentinien hat sich die deutsche Nationalmannschaft bei der EM völlig überraschend zurückgemeldet. Der Sieg über Topfavorit Portugal ist vor allem ein Sieg des Trainers. Der verpasste seinem Team eine neue Taktik. Plötzlich ist wieder alles möglich.

Der Star ist der Trainer. Dieses Gefühl wurde einem schon gut eine halbe Stunde vor dem Anpfiff im Basler St. Jakob-Park vermittelt. Warum? Weil das ganze Stadion, inklusive Medienvertreter und hier insbesondere die Fotografen, sich die Köpfe nach Joachim Löw verdrehten. Soviel Brimborium um einen auf die Tribüne verbannten Trainer hat es wohl noch nie bei einem EM- oder WM-Turnier gegeben. Völlig bizarr: Selbst beim Abspielen der Nationalhymnen waren die Objektive in der Mehrzahl auf Löw gerichtet - und nicht auf die beiden Teams.

Ein Star-Trainer ist Joachim Löw noch nicht, aber mit seiner überraschenden Aufstellung hat er zumindest schon mal bewiesen, dass er noch lange nicht handlungsunfähig ist. Zu lange an bestimmten Spielern -wie beispielsweise an Gomez - festzuhalten, das hatte ihm manch einer nach den drei Gruppenspielern bei dieser EM bereits vorgeworfen. Gegen Portugal krempelte er die deutsche Mannschaft um, er gab ihr aber vor allem durch eine Systemumstellung ein neues Gesicht. Mit nur einer Spitze und einer Doppel-Sechs als Absicherung, seit vier Jahren hatte eine DFB-Auswahl so nicht mehr gespielt. Ein kühnes Experiment des Bundestrainers, aber ausgerechnet in einem EM-Viertelfinale gegen Portugal?

Portugal zu verspielt

Löws Schachzug, er sollte voll aufgehen. Das offensive Dreierkorsett Schweinsteiger und Podolski auf den Flügeln, sowie Klose vorne allein im Angriff wirbelte in der ersten halben Stunde die portugiesische Hintermannschaft ein ums andere Mal gehörig durcheinander, zwei blitzsaubere Tore durch eben Schweinsteiger und Klose bedeuteten eine plötzliche Hauruck-Führung. Im Stadion rieb man sich verwundert die Augen. Die deutsche Mannschaft fing bei dieser EM plötzlich an, Fußball zu spielen. Hoch oben auf der Ehrentribüne zeichneten sich erste Schweißspuren auf Joachim Löws Hemd ab. Der Mann fieberte in sicherer Entfernung zur Trainerbank noch ein kleines bisschen mehr mit, als sonst unten in der Coaching-Zone. Wenn es das Märchen vom stets so besonnenen Jogi Löw jemals gegeben haben sollte, seit Basel ist es endgültig vorbei.

Und Portugal? Natürlich waren sie ballsicherer, natürlich ließen sie die Kugel (wie immer) toll laufen, aber sonst? Bis zum Strafraum sah das alles zum Zungeschnalzen aus, hinter der Kreidelinie starben Ronaldo und Co. dann allerdings in Schönheit. Bis zur 40. Minute. Blitzartig eingeleitet von Deco über die Stationen Simao und Ronaldo gelangte der Ball zu Nuno Gomes, der ins verwaiste Tor zum Anschluss traf. Wegen des Zeitpunkts so kurz vor der Halbzeit ein psychologisch emminent wichtiger Treffer. Sekunden vor dem Pfiff des oft nachlässig leitenden Referees Fröjdfeldt aus Schweden dann sogar fast noch der Ausgleich vom auf links durchgebrochenen Cristiano Ronaldo - es sollte sich ein packendes EM-Viertelfinale entwickeln.

Ballack der Leader

Die deutschen Spieler kamen mit fast schon wild entschlossenen Minen zurück durch den Spielertunnel in den engen St. Jakob-Park. Jeder Zuschauer im selbstverständlich ausverkauften Basler EM-Stadion konnte das genau erkennen. Irgendwie passend, dass zum Wiederanpfiff leichter Regen einsetzte. Beißen, kratzen, wühlen, das war das Motto, das Co-Trainer Hansi Flick für die zweiten 45 Minuten anscheinend ausgegeben hatte. Aber komischerweise war der rustikale Stil gar nicht nötig. Auch weil der Kapitän nach exakt einer Stunde zuschlug und Deutschland lediglich die ersten 15 Minuten nach dem Wechsel Kritisches zu überstehen hatte.

Wie wichtig Michael Ballack für dieses Team ist, bewies der Chelsea-Star nun also schon zum zweiten Mal bei diesem Turnier. Der Leader ist auch deshalb der Kopf dieser Truppe, weil er der Mann für die wichtigen Tore ist. Das 1:0 gegen Österreich, jetzt das wichtige dritte Tor gegen Portugal. Keine Frage: Der "Capitano" ist in diesem Turnier voll angekommen. Dass es am Ende doch noch einmal spannend wurde, hatte sich das DFB-Team mal wieder selbst zuzuschreiben. Ein Fehler Mertesackers begünstigte den erneuten Anschlusstreffer, der jedoch aus Sicht der Portugiesen zu spät fiel. Oben in der VIP-Box sah man Joachim Löw völlig umsonst hektisch an der Zigarette ziehen.

Großer Jubel nach dem Ende

Und dann brachen alle Dämme. Nach dem Schlusspfiff gelang in Basel etwas, was vorher in den Spielen in Klagenfurt und Wien nicht wirklich gelang: der Schulterschluss mit den eigenen Fans. Fast schon ein bisschen zu übertrieben feierte die Mannschaft nach dem gleichsam überzeugenden wie überraschenden Sieg über Portugal den Einzug ins Halbfinale - mit einem Lukas Podolski als Einpeitscher und Vortänzer. Der Funke ist auch deshalb endgültig übergesprungen, weil sich diese Mannschaft erstmals richtig zerrissen hat, jeder war für den anderen da. Auch für die weitere Stimmung im eigenen Land ein wichtiges Signal, dass da aus Basel ausgesandt wurde.

Nach der dritten Ehrenrunde und vielen Küssen für die Ehefrauen und Freundinnen sammelte sich der ganze Tross des DFB schließlich unten vor der Trainerbank. Team, Betreuer und Funktionäre blickten gemeinsam nach oben. Sie applaudierten dem eigentlichen Gewinner dieses Abends zu: Joachim Löw. Der verneigte sich artig und genoss den größten Triumph seiner bisherigen Nationaltrainerkarriere. Löw hat viel riskiert, er hätte mit dieser Taktik richtig auf die Nase fallen können. Aber die deutsche Nationalmannschaft hat ihn, den Verbannten, nicht im Stich gelassen. Wie sagte Sebastian Schweinsteiger, neben Podolski und Ballack der Matchwinner, nach der Partie auf der Pressekonferenz so schön: "Wir haben gezeigt, wie man die deutschen Tugenden einsetzt." Urplötzlich scheint bei dieser EM, die für Deutschland so mühsam begann, wieder alles möglich. Und wer weiß? Vielleicht wird Joachim Löw ja dann doch noch zum Star. Seine Mannschaft war es an diesem Abend.

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