Joachim Löw hat erstmals eingeräumt, dass er als Bundestrainer zu spät zurückgetreten sei. Er hätte schon nach der missratenen Weltmeisterschaft 2018 in Russland Platz für einen Nachfolger machen müssen. "In dem Moment müsste man normalerweise den Weg frei machen, gerade wenn man auch so lange Trainer war wie ich. Und einem neuen Trainer die Möglichkeit zu geben, neue Impulse zu geben", sagte Löw, 63, im Podcast "Spielmacher – Der EM Talk von Sebastian Hellmann und 360Media", der an diesem Donnerstag veröffentlicht werden soll.
Die WM in Russland, zu der Deutschland als Titelverteidiger antrat, war für die deutsche Nationalelf eine Blamage. Löw scheiterte mit der Mannschaft nach der Vorrunde in einer Gruppe mit Schweden, Mexiko und Südkorea als Tabellenletzter. Das WM-Quartier in Watutinki, ein ehemaliges Sanatorium, dass zu einer Wellness-Oase umgebaut worden war, versprühte 40 Kilometer vor den Toren Moskaus den spröden Charme eines sozialistischen Landjugendheims. Watutinki wurde zum Synonym des Scheiterns.
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Joachim Löw wollte die WM 2018 bei der EM "wiedergutmachen"
Dennoch habe Löw sich nach der WM nicht dazu durchgerungen, den Job als Bundestrainer abzugeben. Russland sei ein Turnier gewesen, in dem sie in allen Bereichen schlecht gewesen seien und die Erwartungen nicht erfüllt hätten. Doch er und Manager Oliver Bierhoff wollten "dieses Schiff nochmals zum Laufen bringen", sagte Löw. "Das wollten wir beim nächsten Turnier wiedergutmachen." Bei der EM 2021 scheiterte Deutschland erneut früh, diesmal im Achtelfinale an England. Löw bekräftigte aus heutiger Perspektive: "Im Nachhinein wäre es für mich wahrscheinlich auch besser oder richtig gewesen, 2018 zu sagen: Ok, es müssen wieder neue Kräfte ran."
Auch über Zeit nach dem WM-Triumph von 2014 in Brasilien sprach Löw. Er habe Selbstzweifel bekommen. Er habe "irgendwie eine gewisse Leere gefühlt in mir, weil ich auf ein Ziel so lange hingearbeitet und es erreicht hatte". Er habe sich gefragt, was ihn nun nach dem Titelgewinn noch antreibe, noch motiviere und wie er die Mannschaft weiter verbessern könne. Das sei schwer zu beantworten gewesen. "Das hat in mir so ein bisschen auch in der Zeit zumindest gewisse Selbstzweifel ausgelöst. Die hatte ich vorher in acht Jahren nie."
Für die Ernennung seines Nach-Nachfolgers Julian Nagelsmann fand Löw lobende Worte. Der sei eine "sehr gute Wahl" und er kenne dessen Denkweise. "Ihm muss man jetzt keine großen Ratschläge geben", sagte Löw. Trotz seines jungen Alters verfüge Nagelsmann über große Kompetenz: "Und das ist schon mal unheimlich wichtig für eine Mannschaft und für Spieler, dass ein Trainer auch in der Lage ist, auch Lösungen einer Mannschaft zu geben. Da wird er sicher den Hebel ansetzen. Und das ist genau das richtige jetzt in dem Moment", betonte Löw.
Quelle: DPA