Es war eine Szene mit Symbolcharakter: Nach dem Halbfinal-Thriller gegen die Türkei - Deutschland hatte soeben den Einzug ins EM-Finale perfekt gemacht - ging Michael Ballack auf seinen Trainer zu. Die beiden umarmten sich lange und führten ein intensives und gestenreiches Gespräch mittendrin im Trubel des Basler St. Jakob-Park. Als Ballack später im TV-Interview auf die Szene angesprochen wurde, stockte der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, er zögerte und rettete sich schließlich in Floskeln. Den Inhalt des Gesprächs, so viel war klar, mochte er nicht preisgeben. Typisch Ballack.
Distanz gehört zur Professionalität
Löws verlängerter Arm auf dem Platz ist bekannt dafür, dass er niemals auch nur irgendwelche Interna aus dem Innenleben einer Mannschaft heraustragen würde. Ballack, der sich gerade in seinem letzten halben Jahr bei Chelsea London spielerisch noch einmal enorm weiterentwickeln konnte und dem das Leben im Ausland inklusive der Erweiterung des eigenen Horizonts sichtlich Freude bereitet, ist Vollprofi. Wie vielleicht kein zweiter deutscher Fußballer verkörpert er höchste Professionalität auf und neben dem Rasenplatz. Dazu gehört auch das Wahren der Distanz zu seinen Quasi-Vorgesetzten. Ein Michael Ballack in inniger Umarmung mit Jürgen Klinsmann? Das wäre wohl undenkbar gewesen.
Umso erstaunlicher also das Bild von Trainer und Kapitän aus Basel nach dem Türkei-Spiel. Aber was heißt schon erstaunlich? Nicht wenige nahmen die Szene zum Anlass, etwas in das Verhältnis der beiden wichtigsten Personen im deutschen Fußball hineinzuinterpretieren. Vor allem in das von beiden geheim gehaltene Zwiegespräch im Anschluss an die Verbrüderung. Von möglichen Spannungen war gar die Rede.
Es gibt kein Konfliktpotenzial
Fakt ist: Es gibt kein Konfliktverhältnis zwischen Joachim Löw und Michael Ballack. Die Umarmung war vielmehr Ausdruck der Erleichterung zweier Mannschaftssportler in einem Moment der höchsten Anspannung. So, wie zwei Bergführer, die sich gegenseitig auf dem Gipfel beglückwünschen, so begegneten sich beide an der Seitenlinie. Wieder war ein Teilstück geschafft. Dass es möglicherweise unterschiedliche Auffassungen und Meinungsverschiedenheiten nach der nicht gerade berauschenden Vorstellung gegen die Türkei gab, verständlich wäre es allemal gewesen. Und wünschenswert noch dazu.
Joachim Löw hat sich immer einen starken Michael Ballack gewünscht. Mit Argusaugen hat sich der Coach die Entwicklung seines wichtigsten Spielers in England bei Chelsea angeschaut. Dass sein bestes Pferd im Stall im Haifischbecken der "Blues" beinahe schon zum elitären Kreis der Führungsspieler gehört, hat der Bundestrainer mit Wohlwollen registriert - auch im Hinblick auf die EM. Auch Ballack wünscht sich einen starken Coach beim DFB. Er hat unter Daum gespielt, unter Hitzfeld und Magath, er kennt die Arbeitsweise von Jose Mourinho und durfte sogar einen Trainer namens Otto Rehhagel zu Lauterer Zeiten kennenlernen. Alles harte Hunde mit klaren Vorstellungen.
Über Löws Taktikumstellung während der EM sagt Ballack: "Er hat bewiesen, dass er ein Trainer ist, der umdenken kann. Das ist gar nicht hoch genug einzuschätzen." Ballack schätzt die Arbeit seines Coaches, auch wenn beide nicht immer einer Meinung sind. "Es hat sich zwischen uns vieles eingespielt. Wir arbeiten seit knapp vier Jahren zusammen. Er hat seine Vorstellungen und kennt meine. Wir unterhalten uns oft, und er fragt mich auch. Wir haben uns immer besser kennengelernt, ich weiß jetzt um die Gedanken des Trainers." Dass ist für Ballack vielleicht sogar das Allerwichtigste.
Unerschütterliches gegenseitiges Vertrauen in die Arbeit des jeweils anderen. Das ist es, was das Verhältnis Löw/Ballack prägt. Wer von beiden der eigentliche starke Mann ist, ist dabei höchst nebensächlich. Beide sind Profis durch und durch. Beide wollen den totalen Erfolg. Sie sind die Bergführer auf dem Weg zum Gipfel, der für beide nur EM-Titel heißen kann. Und wenn es sein muss, dann umarmen sie sich sicherlich auch ein zweites Mal - Zwiegespräch inklusive