1998 gewann Frankreich die Weltmeisterschaft, zweifellos der Höhepunkt der französischen Fußball-Geschichte. Seitdem hat die Nationalmannschaft geradezu verbissen an ihren Helden festgehalten, bis auf die WM 2002 auch immer mit Erfolg. Nur irgendwann ist die Zeit auch für goldene Generationen abgelaufen und Trainer Raymond Domenech hat es versäumt, mit den vielen jungen Talenten (die Frankreich wieder hat) eine neue Mannschaft aufzubauen und ein neues System zu etablieren. Die Ablösung von Domenech schien schon 2006 beschlossene Sache, nur durch die überraschende Finalteilnahme von Berlin konnte Frankreichs Coach seine Ablösung noch abwenden.
Nach dem Debakel ruft Frankreichs Öffentlichkeit immer lauter einen Namen: Zinedine Zidane. "Zizou" soll die Sehnsucht der Fans nach einem Neuanfang stillen, den Wunsch nach schönem und erfolgreichem Fußball, für den der 35-jährige Weltstar steht wie kaum ein anderer. Immer noch produzieren die Jugendinternate massenhaft neue Talente, Spieler wie der 20-jährige Torjäger Karim Benzema lassen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Noch schlimmer als das Vorrundenaus bei der Euro sind die größtenteils schwachen und uninspirierten Vorstellungen der Domenech-Ära - trotz solch brillanter Spieler wie Franck Ribery oder Thierry Henry.
Schock durch Ribery
Der Anfang vom Ende kam für Frankreich mit der schlimmen Verletzung von Ribery schon in Minute neun. Der Ideengeber im französischen Spiel krümmte sich unter Schmerzen nach einem Foul, das er selber an Gianluca Zambrotta begangen hatte und wurde zunächst mit Verdacht auf Schien- und Wadenbeinbruch und einer Knieverletzung in ein Züricher Krankenhaus gebracht. Jetzt gab es die Entwarnung: Ribery zog sich eine schwere Stauchung des Knöchels zu und wird den Bayern voraussichtlich zum Start der Saison wieder zur Verfügung stehen. Mit dem Ausscheiden von Ribery war den Franzosen sichtbar das Herz heraus gerissen worden. Für ihn kam mit Samir Nasri von Olympique Marseille ein 20-Jähriger, der auch wegen seiner algerischen Herkunft als der "Erbe Zidans" gilt, ein brillanter junger Offensivspieler.
16 Minuten stand Nasri auf dem Platz, als Domenech nach der Roten Karte gegen Eric Abidal dem Spiel ein entscheidendes Signal gab, und zwar ein falsches: Er nahm den jungen Hoffnungsträger und Ballverteiler heraus und wechselte dafür mit dem eher grobschlächtigen Jean-Alain Boumsong einen zusätzlichen Verteidiger ein. In der Folgezeit hingen Frankreichs Stürmer doch ziemlich in der Luft, die Impulse aus dem Mittelfeld fehlten. Demoralisiert, in Unterzahl und im Rückstand fehlte trotz der starken Einzelspieler die Moral, dieses Spiel noch zu drehen. Irgendwie war dieses Ende trotz der Vizeweltmeisterschaft ein Symbol der Ära Domenech. Nun gilt es, um Ribery, Nasri, Benzema und Toulalan eine neue Mannschaft für die kommende Weltmeisterschaft aufzubauen.
Umbruch wird kommen
Nach dem EM-Aus begann auch sofort der folgerichtige Zerfall dieser Mannschaft. Claude Makelele, über viele Jahre unverzichtbarer defensiver Mittelfeldspieler von Chelsea, erklärte als erster Spieler seinen Rücktritt und wird in der Qualifikation für die WM 2010 nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch der zweite Rücktritt kam nicht überraschend, Lilian Thuram, mittlerweile 36, mit 142 Einsätzen Rekordnationalspieler der "Les Bleus" und Weltmeister von 1998, beendet mit der Niederlage gegen Italien seine internationale Karriere - auf der Bank, denn Domenech hatte den Innenverteidiger im dritten Gruppenspiel vom Spielfeld verbannt. Spekulationen gibt es auch über Torhüter Gregory Coupet, Bayern-Verteidiger Willy Sagnol, Kapitän Patrick Vieira und sogar über den langjährigen Superstar Henry. Nach einem völlig unbefriedigendem Jahr in Barcelona und einer schwachen EM wird über eine Rückkehr zu Arsenal ebenso gemutmaßt wie über einen Wechsel in die USA, die Zukunft von Henry auch im Nationaltrikot ist vollkommen offen. Der Umbruch macht den Weg frei für einen Neuanfang mit frischem, offensivem Fußball, wie ihn die "Equipe Tricolore" in der Vergangenheit zeigte und mit dem sie Welt- und Europameister wurde. Die Qualifikation für die WM 2010 beginnt für die Franzosen am 6. September wieder in Österreich - zweifellos ein wegweisender Tag für die Zukunft dieser Mannschaft.