Kroatien - Deutschland Führungslos und fehlgeleitet

Von Klaus Bellstedt, Klagenfurt
Nach dem Sieg gegen schwache Polen wurde das DFB-Team auf den europäischen Fußballthron gehoben. Es folgte die brutale Bruchlandung gegen Kroatien mit einem Totalausfall namens Michael Ballack. Was kann diese Mannschaft wirklich? Das große Zittern hat begonnen.

Irgendwie hatte man das Unglück, das an diesem kühlen Abend in Klagenfurt auf die deutsche Mannschaft hereinbrechen sollte, schon vorher ahnen können. Vielleicht lag es ja an der feindlichen Stimmung im Stadion, die den Löw-Jüngern entgegenschlug. Die kroatischen Fans verwandelten das Wörthersee-Stadion bereits eine Stunde vor Spielbeginn in einen rot-weiß-blau karierten Sangestempel. Ganz wenig hatten die deutschen Schlachtenbummler dem nur entgegenzusetzen.

Einen Tick zu stürmisch?

Den Spielern von Trainer Joachim Löw, der dieses Mal gleich von Beginn mit aufgekrempelten Hemdsärmeln unten in der Coaching-Zone unterwegs war, machte das zunächst aber nur wenig aus. Die Marschroute, den Gegner - wie auch im ersten Gruppenspiel gegen die Polen - sofort unter Druck zu setzen, sie wurde von Beginn an umgesetzt.

Es schien fast so, als würde für Löws Verhältnisse die Mannschaft einen Tick zu stürmisch zu Werke gehen: Der Coach der DFB-Auswahl versuchte in den Anfangsminuten mit beschwichtigenden Handbewegungen immer wieder beruhigend einzuwirken.

Aus beruhigenden Handbewegungen wurden allerdings alsbald zwei geballte Fäuste. Löw sah, wie sich sein Team im Mittelfeld, trotz des überragenden Modric-Kettenhundes Torsten Frings, mehr und mehr den Schneid abkaufen ließ. Der Treffer zum 0:1 durch Srna (23.) war da nur die logische Konsequenz.

Ordnende Hand wurde vermisst

Und wie schon phasenweise gegen Polen wurde in dieser schwierigen Phase für die deutsche Nationalmannschaft nach etwa 30 Minuten die ordnende Hand ihres Kapitäns Michael Ballack schmerzlich vermisst. Ballack lieferte seltsame 90 Minuten ab. Man könnte auch sagen, er war ein Totalausfall. Kaum ein Pass in die Spitze kam an, dazu immer wieder diese überflüssigen Fouls, die man vom Chelsea-Spieler kennt, wenn er schlecht drauf ist.

Wenn dann auch noch mit Lukas Podolski der zweite und letzte Kreative aus dem Mittelfeld untertaucht, hat es jeder Angriff dieser Welt schwer, Glanzlichter zu setzen. Löws vielgelobte Taktik aus dem Polen-Spiel, mit Podolski links hinter den Spitzen, ging dieses Mal jedenfalls gründlich daneben.

Aber das war längst nicht alles. Auch die Defensive ließ sich ein ums andere Mal von den überfallartigen Angriffen der Kroaten übertölpeln. Immer wieder war es der quirlige HSVer Olic, der Metzelder, Mertesacker und Co. vor unlösbare Aufgaben stellte. Normalform erreichte im deutschen Abwehrverbund einzig Jens Lehmann, der beispielweise in der 30. Minute den Schuss des freistehenden Kranjcar glänzend parierte.

Löw fand keine Worte

Völlig unerklärlich, warum sich das deutsche Team auch nach dem Rückstand weiter zurückzog und einigelte. Wie ein angeschlagener Boxer gingen die Spieler unter dem ohrenbetäubenden Getöse der kroatischen Fans in die Kabine.

Schwere Beine? Beeindruckt von der aufgepeitschten Kulisse? Falsche Taktik? Vermutlich von allem ein bisschen. Löw fand hinterher keine erklärenden Worte für die miese Vorstellung seines Teams. Vielleicht wollte er sie aber auch einfach nicht preisgeben. "Geben sie mir ein bisschen Zeit, bis morgen. Bis dahin haben wir die Fehler analysiert." Fakt war: Der Trainer musste zur Pause reagieren. Und er reagierte. Einer der WM-Helden sollte es richten: David Odonkor. Eine Einwechslung, die sich schon vor der Halbzeit angedeutet hatte. Co-Trainer Hansi Flick nahm den Sevilla-Profi auf der Bank, noch als die Kugel rollte, wie einen Schuljungen ins Gebet und gab letzte taktische Anweisungen. Der total indisponierte Jansen musste weichen, Fritz nahm seinen Platz rechts hinten in der Kette ein.

Und was änderte sich? Nichts! Joachim Löw, an der Seitenlinie jetzt wild Kaugummi kauend, musste mit ansehen, wie seine Schützlinge, allen voran Kapitän Michael Ballack, weiter Angsthasenfußball praktizierten. Phasenweise wie ein Derwisch brüllte der eigentlich ja sonst so besonnene Fußball-Lehrer auf die Spieler ein. So aufgeregt hatte man Löw wahrscheinlich noch nie in seiner Amtszeit als Bundestrainer gesehen.

Aber die Aufregung war absolut berechtigt. Das grauenhafte deutsche Spiel setzte sich nahtlos fort. Auch wenn der zweite kroatische Treffer sicher durch Lukas Podolskis unglückliches Eingreifen begünstigt wurde, das 0:2 aus der 62. Minute, es war verdient.

Das Team hatte nichts mehr zuzusetzen

Ebenfalls bedenklich: Trotz der Einwechslung von Schweinsteiger hatte das Team an diesem Abend im ausverkauften Wörthersee-Stadion wenig bis gar nichts zuzusetzen. Im Gegenteil: Die Ordnung ging weiter verloren. Wo war bloß das in der Vorbereitung und im ersten Spiel gegen Polen so behutsam aufgebaute und mühsam erarbeitete Selbstvertrauen hin?

Für den für Schweinsteiger ausgewechselten Gomez rückte übrigens Lukas Podolski an die Seite von Miroslav Klose in den Angriff. Ob man den Doppeltorschützen aus dem Polen-Spiel bei diesem EM-Turnier jemals wieder im Mittelfeld sehen wird, darf bezweifelt werden. Zumal dem Bayern-Stürmer immerhin noch der Anschlusstreffer (79.) gelang und er sich damit mit Nachdruck für den Platz neben Klose bewarb. Es war allerdings auch nicht schwer, es besser als Mario Gomez zu machen.

"Deutschland, Deutschland, auf Wiedersehen", skandierten die beseelten kroatischen Fans in der dreiminütigen Nachspielzeit, in der zu allem Überfluss Bastian Schweinsteiger für eine saudumme Aktion noch die Rote Karte abholte.

Und auch Joachim Löw mochte an diesem rabenschwarzen Abend für den deutschen Fußball nichts mehr gelingen. Sekunden vor dem schmerzhaften Abpfiff vom guten Schiedsrichter Frank de Bleeckere wollte Löw das ins Seitenaus trudelnde Spielgerät elegant mit dem Fuß aufnehmen und schnell David Odonkor für den Einwurf in die Hände spielen. Der Ball versprang ihm. Wahrscheinlich auch, weil Löw schon an das letzte Gruppenspiel am Montag gegen Österreich gedacht hat. Das könnte jetzt wider Erwarten zu einem echten Zitterspiel werden. Wer hätte das gedacht?

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