Die Meinungen, inwiefern der Rausschmiss von Müller-Hummels-Boateng aus dem Nationalteam die Bayern nun beflügelt oder schadet, sind zumindest gegen Liverpool obsolet. Thomas Müller ist leider gesperrt – leider, da er als Pressing-Chef und torgefährlicher Schnittstellenspieler den Engländern richtig hätte wehtun können – und Boateng wird wohl erst mal auf der Bank Platz nehmen müssen. Kein Mensch rechnet nach dem Ausfall von Kimmich wirklich mit einer nie getesteten Dreierkette. Bleibt nur Mats Hummels übrig, der jedoch - trotz früher Kopfprobleme - in seiner besten Phase beim FC Bayern momentan sehr stabil wirkt. Für die Kovac-Truppe kommt es vor allem auf zwei Sachen an: Balance und Biss.
Die Lehren aus dem Hinspiel
Apropos Biss. Im Hinspiel bissen sich die Liverpooler die Zähne an der defensiven Disziplin und der Ruhe der bayerischen Hintermannschaft aus. Jeder Zweikampf wurde so bissig angegangen, als wäre es der letzte und nach Ballgewinn wurde seriös und geduldig gespielt. Selbst Thiago versucht keinen schnellen Direktpass quer durch die gefährliche Mitte und James arbeitete konsequent nach hinten. Als Ergebnis stand hinten die Null wie bei Huub Stevens.
Trotzdem spielten sich die Bayern – vor allem in der ersten Halbzeit Gnabry über rechts – diverse Male gefährlich ins letzte Drittel der Heimmannschaft. Das sollte Hoffnung für das Rückspiel geben. In der zweiten Halbzeit versandeten diese Vorstöße jedoch bereits knapp hinter der Mittellinie, so dass Liverpool immer mehr Druck aufbauen konnte. Besonders Kingsley Coman merkte man die Verletzungspausen auf diesem höchsten Niveau an – und dass könnte auch jetzt wieder das Zünglein an der Waage sein, wirkt der Franzose doch gerade noch so fit. Am Mittwochabend muss der FCB hier in Form der Mittelfeldstrategen Thiago und James sowie der beiden Flügel-Duos eine bessere Balance herstellen, denn ein Tor brauchen sie garantiert, eher zwei oder drei. Keiner kann das Trio aus Mane-Firminho-Salah über 90 Minuten komplett ausschalten. Für Klopp ist es also ganz einfach: So spielen wie immer.
So wird das Rückspiel laufen
Niko Kovac wird als Pragmatiker wieder eine defensivere, aggressivere Grundhaltung wählen, als in anderen Heimspielen in der Allianz Arena. Trotzdem werden die Bayern mehr nach vorne spielen und stärker ins Gegenpressing gehen. Kovac wird auf einen schwachen Pass des nicht immer erstklassigen Liverpooler Mittelfeldes spekulieren oder auf eine Standardsituation hoffen. Besonders in letzteren liegt eine kleine Geheimwaffe verborgen, denn gerade Martinez und Hummels sind bei James-Ecken brutal gefährlich. Erinnert man sich an das Real Madrid-Spiel, als Vidal das 2:0 per Elfmeter auf dem Fuß hatte, könnte vielleicht sogar ein 1:0 zur Halbzeitpause zu wenig sein.
Trotzdem sollten sich die Bayern auch durch einen Rückstand nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ihre Bank, wie man gegen Hertha im Pokal oder jüngst gegen Wolfsburg gesehen hat, genügt höchsten Ansprüchen. Ribery, Sanches und Goretzka/Coman sind auch in der letzten Viertelstunde noch für Tore gut. Gerade Ribery könnte hier zum X-Faktor werden, da seine Dribblings meistens nur klappen, wenn der Gegner bereits in den Seilen hängt. Pal Dardai sagte nach der Pokalniederlage nicht umsonst: "Ich glaube, der Matchwinner war Ribéry. Das war nach seiner Einwechslung schwierig zu verteidigen. Dann hatten wir oft Chaos-Momente."
Wer ist Favorit? Und wie endet das Spiel?
Vor dem Hinspiel war ich sehr, sehr skeptisch. Zum einen hatte Liverpool das Momentum auf ihrer Seite, vergleichbar mit den Bayern 2012: Zweiter in der Liga, unglücklich das CL-Finale verloren, Trainer behalten und Team verstärkt – wer könnte diesen Klub aufhalten? Auf der anderen Seite die Bayern: Neuer Trainer, wenig verstärktes, altes Team, Unruhe und Probleme in der Spielstruktur. Eigentlich waren wir noch nicht bereit für einen Gegner vom Kaliber Liverpool. Doch Kovac und die Mannschaft straften die Kritiker Lügen, in dem sie seinen, für Bayern-Verhältnisse ungewohnten Verteidigungsplan zweikampfstark und kämpferisch ohne Tadel umsetzte. Waren Klopp und Co. vor dem Hinspiel noch leichter Favorit gewesen, so ist das Spiel nun ein Spiel auf Augenhöhe. Wenn Müller spielen dürfte, wären die Bayern gar favorisiert. Trotzdem tippe ich auf einen 3:2 Heimsieg – mit dem entscheidenden Tor in der 94. Minute.
Noch mehr Prognose zum Spiel gibt es beim Roundtable des miasanrot.de-Blogs, bei dem ich zusammen mit Justin und Steffen aus der Miasanrot-Redaktion und Martin Schneider von der Süddeutschen Zeitung die Fragen zum Spiel ausgiebig diskutiere. Nachzulesen ist das hier.
