Für Bayern-Trainer Thomas Tuchel ist die Sache klar. "Zwei konnten das Niveau nicht halten: Der Platz und der Schiedsrichter. Note sechs von der ersten Minute an", sagte er am Mittwochabend nach dem Aus seiner Mannschaft in der Champions League gegen Manchester City ins Dazn-Mikrofon. Ansonsten? "Ich bin sehr zufrieden."
Diese Ansicht dürfte der neue Mann an der Seitenlinie des Rekordmeisters exklusiv haben. Ein Blick in die Gesichter seiner Vorgesetzten, Sportvorstand Hasan Salihamidžić und Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn, nach Abpfiff genügte. Zufriedenheit ist dieser Tage an der Säbener Straße ein Fremdwort.
Der Wechsel zu Thomas Tuchel hat nichts gebracht
Nach dem Aus im DFB-Pokal und in der Champions League ist für den FC Bayern in dieser Spielzeit nur noch die Deutsche Meisterschaft möglich – und auch die ist noch lange nicht sicher. Nur ein einziger Titel in einer Saison? Das ist für die erfolgsverwöhnten Münchener eigentlich nicht einmal ein Minimalziel.
Sicher ist nach vier Wochen Thomas Tuchel an der Isar dagegen: Der Austausch des Trainers durch die Bayern-Bosse hat nicht den gewünschten Erfolg gebracht, im Gegenteil. Die Krise bei den Bayern hat sich nach dem Nagelsmann-Aus sogar noch deutlich verschärft.
Das wissen auch Hasan Salihamidžić und Oliver Kahn – und sie wissen, dass bei der Suche nach den Verantwortlichen für die Misere nun auch sie verstärkt ins Blickfeld geraten.
Am Morgen nach dem Ausscheiden in der Champions League machten Tweets des norwegischen Ex-Bundesliga-Profis Jan Aage Fjørtoft, der nun unter anderem als TV-Experte und Kolumnist sein Geld verdient, die Runde. Schon vor dem Spiel raunte er von "bedeutenden Neuigkeiten, die es in den kommenden Tagen aus dem deutschen Fußball" geben werde, um an diesem Donnerstagmorgen konkret zu werden. "Mir wurde mitgeteilt, dass es einen 'laufenden Prozess' gebe und es nur 'eine Frage' der Zeit sei, bis Bayern-CEO Oliver Kahn aus dem Amt entfernt werde." Für Salihamidžić gelte das nicht, er sei schließlich "ein Mann von Uli Hoeneß". Und der Ex-Boss sei einer der Kandidaten, die den Posten von Oliver Kahn einnehmen könnten, ebenso wie Klubpräsident Herbert Hainer oder Ex-Bayern-Spieler Philipp Lahm.
Wackeln Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić?
Woher Fjørtoft all das wissen will? Unklar. Fest steht aber: Die Thesen des Norwegers sind gewissermaßen der Startschuss für eine äußerst unruhige Zeit beim "Mia san mia"-Klub. Die Rufe nach einer Ablösung von Kahn (und Salihamidžić) werden lauter und die Argumente für eine baldige Trennung größer. Es sind vor allem drei Punkte, die sich Oliver Kahn vorwerfen lassen muss – und die im Grunde auch für Salihamidžić gelten, denn das Führungsduo trifft viele seiner Entscheidungen im engen Austausch:
- Transferpolitik: Abräumer David Alaba ließen die Bosse ziehen, ebenso wie Torjäger Robert Lewandowski – würdige Nachfolger gab es nicht, trotz Transferausgaben von weit mehr als 100 Millionen Euro. Vor allem die Offensiv-Abteilung des Rekordmeisters liegt seither brach. Einen echten Kracher zu verpflichten, gelang den Bayern nicht.
- Kommunikation: An der Außendarstellung hapert es bei den Bayern gewaltig. Kahn und Salihamidžić flüchten sich seit Wochen in Allgemeinplätze ("Konzentration dem, was wir noch erreichen können", "Wir arbeiten für den Klub und versuchen, das Beste zu tun"). Vor allem Salihamidžić ist Unsicherheit im Umgang mit der Öffentlichkeit immer wieder anzumerken, während Kahn sich selbst als reflektiert sieht, um dann doch wiederholt impulsiv zu reagieren. Bezeichnend: Nach dem enttäuschenden Bundesliga-1:1 gegen die TSG Hoffenheim am Wochenende gingen beide erst einmal auf Tauschstation.
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- Trainerwechsel: Ex-Coach Julian Nagelsmann kostete 2021 eine Rekordablöse – und wurde doch geschasst und durch Thomas Tuchel ersetzt. Es folgten das Ausscheiden in zwei Wettbewerben und allenfalls eine gleichbleibende Leistung in der Bundesliga. Die vollmundigen Versprechungen Kahns und Hasan Salihamidžić', durch den neuen Trainer kurzfristig bessere Leistungen und die selbst gesteckten Ziele zu erreichen, ließen sich nicht halten. Daneben stellten sich neben sportlichen auch Stilfragen rund um den Trainerwechsel.
Hinzu kommt, dass sich die Bayern in alter Tradition etliche Nebenschauplätze leisten (von Serge Gnabrys Fashion-Week-Trip und der Trennung von Torwarttrainer Toni Tapalović über die "Maulwurf-Affäre" und ein Interview von Manuel Neuer bis hin zum Kabinen-Zoff zwischen Sadio Mané und Leroy Sané sowie dem umstrittenen Joshua-Kimmich-Jubel gegen den SC Freiburg). All das brachte Unruhe in den Verein und letztlich auf den Platz. Und weder Kahn noch Salihamidžić gelang es, Führung zu übernehmen und den Fokus wieder auf das Sportliche zu lenken.
Fans des FC Bayern München protestieren
Man könnte es ihnen an der Säbener Straße verzeihen, wenn es wenigstens Erfolge gäbe. So aber bleibt die Feststellung: Am Ende zählen im Fußball Titel – und hier fällt die Bilanz für Bayern-Verhältnisse in der Ägide Kahn ernüchternd aus. Anfang 2020 kam der frühere Nationalkeeper in den Vorstand und konnte sich gleich in der ersten Saison über das Triple freuen. Seit seiner Übernahme als Boss 2021 sind jedoch nur zwei pflichtschuldige Meistertitel hinzugekommen und auch in diesem Jahr wird es maximal für die Schale reichen – das ist auf Dauer zu wenig für die Ansprüche der Bayern.

Der Gegenwind für die Bosse wird stärker. "Ziele dürfen verfehlt werden – Werte des Vereins nicht! Führungspolitik hinterfragen", prangte am Mittwochabend auf einem nicht zu übersehenden Fan-Plakat in der Südkurve des Münchener Stadions.
Kahn kündigte nach dem Spiel an, dass man sich angesichts der bisherigen Saisonbilanz "viele, viele Fragen stellen" werde. Gut möglich, dass Vereinspräsident Herbert Hainer bereits Antworten hat – und es schon bald "bedeutende Neuigkeiten" aus dem deutschen Fußball gibt.