FUSSBALL »Es ist sinnlos, auf die Spieler einzudreschen«

Deutschland hat verloren. Fürchterlich verloren. 1:5 gegen England. Die höchste Heimniederlage seit 70 Jahren. Die schöne Stimmung um die Nationalmannschaft ist dahin. Und nun kriechen all die Schlaumeier wieder aus ihren Löchern. Die Bundesliga, sagen sie, lebe nur vom Glanz, den die Ausländer versprühten. Deutschland habe keine Weltklassespieler, weil Legionäre den einheimischen Talenten die Plätze wegnehmen würden. Diese Ausländerdiskussion nervt mich. Denn gute Spieler setzen sich immer durch - egal, wie viele Konkurrenten sie auf ihrer Position haben und woher die kommen.

Keine Katastrophe

Das 1:5 gegen England ist ein Debakel, aber keine Katastrophe. Ich bin mir absolut sicher, dass Deutschland sich für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr qualifizieren wird. Zwar nicht mehr über den direkten Weg, aber in den Play-offs gegen die Ukraine oder Weißrussland werden wir uns durchsetzen.In Ungarn gab es für das DFB-Team einen 5:2-Sieg, gegen England nun diese bittere Niederlage. Genau dazwischen liegt die Leistungsstärke dieser Mannschaft: Sie genügt noch nicht den Ansprüchen an ein Weltklasseteam, aber sie reicht aus, um an der WM teilzunehmen.

Blackouts

Die Partie gegen England ist deshalb nur eine Momentaufnahme. Eine schlimme, aber keine vernichtende. Vor dem Spiel habe ich gesagt: »Wie kann England in Deutschland gewinnen? Das ist in 100 Jahren nicht passiert.« Ich wollte damit das Selbstvertrauen unserer Spieler stärken. Zehn Minuten lang sah es ja auch so aus, als würden sie an sich glauben. Dann erlebten die Spieler jedoch einen Blackout nach dem anderen. Aber ich bin ganz sicher: Dass dies Team kollektiv versagt, wird hoffentlich ein einmaliger Ausrutscher bleiben.

Unerfahrenheit

In diesem Spiel zeigte sich allerdings, wie unerfahren einige der neuen Nationalspieler sind. Der Schalker Jörg Böhme war gegen Superstar David Beckham überfordert. Böhme oder Freiburgs Sebastian Kehl müssen international noch viel dazulernen. Das spricht nicht gegen ihre Klasse; das ist ein natürlicher Prozess im Fußball. Es reicht nun mal nicht aus, ein Jahr lang in der Bundesliga beeindruckend aufzutreten. Erst wenn sich ein Profi mindestens zwei Jahre lang im Europacup behauptet hat, kann er auch in einer solch entscheidenden Partie wie gegen England bestehen.

Fördern und fordern

Deswegen hat es keinen Sinn, auf die Spieler einzudreschen. Deisler oder Ballack, die in dieser Begegnung zugegebenermaßen schlecht waren, gehören zu den Besten, die wir haben. Auf sie müssen wir weiter setzen, sie fördern und fordern.

Dass sich Geduld mit jungen, begabten Spielern lohnt, zeigt doch der Fall Michael Owen. Gegen Deutschland schoss der Liverpooler Stürmer drei Tore. Jetzt wird er von allen gefeiert. Aber in dieser Weltklasseform spielt der 21-Jährige erst seit drei, vier Monaten. In den Jahren zuvor wurde er von den englischen Medien niedergemacht, weil er den hohen Ansprüchen nicht zu genügen schien. Seine Trainer hielten an ihm fest. Dass ein Talent mal einen Einbruch erlebt, gehört eben zu seiner Entwicklung. Aufstrebende Spieler wie Deisler oder Ballack dürfen deshalb nicht gleich in Frage gestellt werden.

Völler unterstützen

Ich jedenfalls lasse mir durch so ein Spiel nicht den Glauben an die Zukunft dieser Mannschaft nehmen. Sie hat zudem mit Rudi Völler den richtigen Mann auf der Bank. Er hat nach dem peinlichen EM-Aus in den Niederlanden mit seinem behutsamen Neuaufbau für eine Aufbruchstimmung gesorgt. Und Völler ist endlich ein Nationaltrainer, der konstruktiv mit den Vereinen zusammenarbeitet. Deshalb werden wir vom FC Bayern ihn gerade in dieser schwierigen Situation unterstützen.

Ruhig weiterarbeiten

Völler und sein Assistent Michael Skibbe sollten sich von den Besserwissern nicht beirren lassen. Sie müssen ganz ruhig weiterarbeiten. Der von ihnen eingeschlagene Kurs ist der richtige. Sie sollen den Weg mit den jungen Spielern weiterverfolgen - von mir aus sogar noch konsequenter. Deutschland baut nicht eine Nationalmannschaft für die kommenden zwölf Monate auf. Das wichtigste Ziel ist die WM 2006 im eigenen Land. Bis dahin müssen wir eine Mannschaft geformt haben, die uns würdig vertritt. Und das heißt: Sie muss zu den besten fünf oder sechs Teams in der Welt gehören.

Bierhoff - Das war¿s

Deshalb bekomme ich einen roten Kopf vor Ärger, wenn ich diese rückwärtsgerichteten Forderungen nach erfahrenen und älteren Spielern höre. Basta damit! Das ist totaler Blödsinn. Völler sollte zum Beispiel einem Mann wie Oliver Bierhoff sagen: Das war¿s. Denn solche Spieler brauchen wir nicht mehr, sie helfen uns nicht weiter. Man tut Bierhoff keinen Gefallen, ihn weiterhin mitzuschleppen. Er hat seine Verdienste, aber seine Zeit ist abgelaufen. Nach dem England-Spiel hat er sich erneut darüber beschwert, dass er nicht berücksichtigt wurde. Das ist aus seiner Sicht zwar verständlich, aber er belastet damit die Mannschaft. Das muss aufhören.

Kahn als Kapitän

Und ich kann auch diese leidige Kapitänsdiskussion nicht mehr hören. Bierhoff hat keine Ansprüche mehr zu stellen. Er gehörte beim AC Mailand zuletzt nicht zur Stammelf. Er wurde jetzt dort aussortiert und wechselte zum AS Monaco. Ein Spielführer muss aber unumstritten sein. Das ist Bierhoff schon lange nicht mehr. Er sollte endlich freiwillig auf das Amt verzichten.

Damit könnte sich Oliver Kahn noch stärker als Führungsfigur entfalten. Wenn Bierhoff nicht spielt, trägt Oliver Kahn zwar die Kapitänsbinde. Aber er hat die Nationalspieler noch nicht so im Griff wie seine Klubkollegen beim FC Bayern. Er muss in den kommenden Monaten die Nationalmannschaft viel entschiedener führen. Oliver Kahn ist ein wahrer Champion. Und so einen braucht die Nationalelf als ihren Anführer.

Oliver Kahn ist auch einer, der weiß, wie man solche herben Niederlagen als Chance nutzt. Der Triumph des FC Bayern in der vergangenen Saison begann mit einem Desaster: mit der 0:3-Pleite in der Champions League gegen Lyon. Unser Präsident Franz Beckenbauer kanzelte die Spieler ab. Doch nach dieser vernichtenden Kritik zeigte sich, dass die Mannschaft intakt war. Sie verlor in der Champions League kein einziges Spiel mehr. Am Ende gewann sie sogar den Titel.

Es sind eben solche Momente, die eine große Mannschaft heranwachsen lassen. Für die Nationalelf könnte die Geburtsstunde eines solchen Teams ausgerechnet das 1:5 gegen England sein.

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