Interview mit Rudi Völler "Ich bin völlig unabhängig"

Ohne Sorge um seine persönliche Zukunft geht Teamchef Rudi Völler ins EM-Turnier. In einem Interview spricht der Teamchef vor dem Schweiz-Spiel über die EM-Chancen und seinen Traum von der WM 2006.

Das Interview mit dem Teamchef führten Jens Mende und Klaus Bergmann von der dpa. Am kommenden Sonntag in Kaiserslautern gegen Ungarn betreut Rudi Völler zum 50. Mal die DFB-Auswahl.

Sie stehen in Kaiserslautern vor Ihrem 50. Spiel als Teamchef, ist diese Zahl für Sie etwas Besonderes?

Völler: "Weniger die Zahl, aber die Dauer. Vier Jahre Teamchef oder auch Trainer eines Vereins zu sein, ist in der heutigen Zeit schon sehr lange. Gerade weil wir wissen, dass die Zeiten eines Sepp Herberger oder eines Helmut Schön vorbei sind."

Werden Sie vor diesem Jubiläum kurz zurückblicken?

Völler: "Nein, das nicht. Aber es wird einem bewusst, wie schnell alles vorbei geht. Jetzt kommt schon mein zweites Turnier, zwei Qualifikationen haben wir erfolgreich gespielt - und trotzdem hast du das Gefühl, es ist unglaublich schnell vorbei gegangen."

Sie sind 2000 ohne Erfahrung zufällig Teamchef geworden. Fühlen Sie sich mit 50 Spielen jetzt als richtiger Trainer?

Völler: "Natürlich macht man nach vier Jahren einige Dinge anders. Man lernt aus Fehlern. Es ist noch wichtiger geworden, dass man einen Dialog mit den Spielern findet."

Welche Länderspiele sind am meisten haften geblieben?

Völler: "Es gab sehr viel Positives, aber auch Nackenschläge. Letztendlich sind die beiden Ukraine-Spiele am wichtigsten gewesen. Danach ging es nach oben, auch wenn wir noch einige Mal nicht so gespielt haben, wie wir uns das wünschen."

Sie stellen die WM-Relegation noch über das WM-Finale 2002?

Völler: "Für uns alle, für die Gruppe und auch für mich waren die Ukraine-Spiele ganz wichtig. Es ist ja ein Unterschied, welche Rolle du bei einer WM spielst, oder ob du überhaupt dabei bist. Das war meine Warnung für alle Spieler bei der EM-Qualifikation, wir wollten uns den Druck einer Relegation nicht noch einmal antun. Das ist ja wie Abstiegskampf hoch drei."

Haben Sie ihre bisherigen Spiele als Teamchef als Kassette oder DVD im Schrank stehen und greifen immer mal wieder danach?

Völler: "Natürlich habe ich viele Kassetten zu Hause."

Wie oft haben Sie sich das WM-Finale angeschaut?

Völler: "Ich habe nach unser Rückkehr aus Japan nochmal kurz reingeguckt, aber sonst nicht mehr. Die Kassetten benutze ich zur Spielvorbereitung."

Ihre Bilanz fällt positiv aus, nur zwei Pflichtspiele haben Sie in Ihrer Amtszeit verloren. Zählt das am meisten?

Völler: "Das Wichtige sind natürlich die Qualifikationsspiele und die Turniere selbst. Wir haben zwei Qualifikationen geschafft und sind bis ins WM-Finale gekommen. Jetzt gucken wir mal, wie die vierte Probe ausfällt. Wir haben aber auch wie zuletzt in Rumänien gemerkt, dass es klassische Freundschaftsspiele nicht mehr gibt."

Sepp Herberger hat es als Rekord-Trainer auf 167 Spiele gebracht. Wie viele haben Sie sich vorgenommen?

Völler: "So viele wie bei Herberger werden es mit Sicherheit nicht. Das waren andere Zeiten. Da hat man nicht nur lange Verträge gehabt, sondern einfach lange im Verband gearbeitet. Ich habe noch Vertrag bis 2006."

Könnte es auch eine Konstellation geben, dass schon nach der EM-Vorrunde mit 53 Spielen abrupt Schluss ist?

Völler: "Ich bin völlig unabhängig in diesem Geschäft. Deshalb sehe ich das auch völlig gelassen. Mein Ziel ist die WM 2006. Wie es dann weiter geht, ob als Teamchef oder mit irgendetwas anderem, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht."

Ist das ein wichtiger Vorteil, so arbeiten zu können in dem Wissen, dass man nur mit sich selbst im Reinen sein muss?

Völler: "Klar, das ist wichtig in dem Job, dass man Dinge tun und Entscheidungen treffen kann, ohne das Gefühl zu haben, du musst Rücksichten nehmen. Wenn man für die wichtigste Mannschaft in Deutschland verantwortlich ist, muss das auch so sein. Du musst hin und wieder Entscheidungen treffen, die unbequem sind, die nicht jedem gefallen und die auch nicht jeder nachvollziehen kann."

Im Jubiläumsspiel treffen Sie auf Ungarn mit Lothar Matthäus. Ihn hatten viele als Bundestrainer auf der Rechnung, Sie auch?

Völler: "Als Bundestrainer nicht unbedingt, aber dass er die Trainer-Laufbahn einschlägt, war mir immer klar. Er hat immer viel Positives im Mannschaftskreis beigetragen, um erfolgreich zu sein."

Was unterscheidet Matthäus von Völler?

Völler: "Ich weiß nicht, wie er arbeitet, da muss jeder seine Linie finden. Wir haben nicht den großen Kontakt. Aber wenn wir uns mal treffen oder telefonieren, ist es immer herzlich. Ich bin überzeugt, dass er lange in dem Geschäft bleiben wird und auch noch sehr erfolgreich im Vereinsfußball arbeiten wird."

Matthäus will mit Ungarn zur WM 2006, für Sie ist es der Höhepunkt schlechthin. Ist die EM daher nur eine Durchgangsstation?

Völler: "Das Wort Durchgangsstation allein geht schon nicht, dafür ist die EM zu wichtig. Da ist auch die Zeitspanne zu groß. Zwei Jahre im Sport sind Lichtjahre. Wir müssen eine gute EM spielen, um auch für die nächsten beiden Jahre einen gewissen Optimismus in der Bevölkerung zu haben, dass wir eine gute WM in Deutschland spielen können. Davon bin ich überzeugt. Wir haben schon jetzt relativ viele junge Spieler dabei, die bis 2006 nochmal einen Schritt nach vorn machen werden."

Die Gefahr des Vorrunden-Aus-ist bei einer EM größer als bei einer WM. Belastet das zusätzlich?

Völler: "Nein. Das war ja vor vier Jahren auch so in der Gruppe mit England, Rumänien und Portugal, dass es dich da mal erwischen kann. Das war ja nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem war die Art und Weise des Ausscheidens."

Egal, wo Sie hinkommen, auch nach einem 1:5 in Rumänien, Sie werden gefeiert wie ein Popstar. Wie erklären und empfinden Sie das?

Völler: "Erklären kann ich es auch nicht, aber ich kann es gut einschätzen. Ich bilde mir nichts darauf ein, aber ich freue mich natürlich, weil es sicherlich das eine oder andere auch vereinfacht."

Nach dem Rumänien-Debakel gab es auch Kritik an Ihren Entscheidungen

Völler: "Das ist normal in dem Geschäft. Fehler müssen angesprochen werden, aber man darf auch sagen, wenn man es etwas anders sieht. Das habe ich nach dem Rumänien-Spiel getan; zwei Tage in den Bunker eingeschlossen, dann geht es wieder raus, dann wird gekämpft. Wenn man das Gefühl hat, jetzt wird es etwas extrem, muss man dagegen halten. Da musst du dich wehren."

Sie haben dann eingeräumt, dass Sie sich vielleicht zu intensiv vor die Spieler gestellt hatten?

Völler: "Es ist ja teilweise so rüber gekommen, als hätte ich alles auf mich bezogen. Das war nicht so. Natürlich habe ich einige Dinge gemacht, die ich so nicht mehr machen würde. Erst einmal würde ich gar nicht mehr im April spielen. Dass ich gesagt habe, ich bin von den Spielern enttäuscht, ist etwas zu kurz gekommen. Das wäre auch gegen meine Prinzipien, jetzt den einen oder anderen Spieler in die Pfanne zu hauen."

Weil man Rudi Völler fast alles verzeiht, können Sie sich mehr vor die Mannschaft stellen. Ein Vorteil?

Völler: "Unabhängig von der Beliebtheit, das ist einfach meine Art. Dafür gibt es ja andere, von denen die Spieler hart kritisiert werden."

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