Wenn am Mittwochabend (21 Uhr) im altehrwürdigen "Stadio Artemio Franchi" von Florenz das Testspiel zwischen Italien und Deutschland angepfiffen wird, dürfte Oliver Kahn daheim in München mit einem mulmigen Gefühl vor dem Fernsehgerät sitzen. Wegen einer Oberschenkelverletzung ist Klinsmanns "1A-Torwart" im ersten (und zugleich richtungweisenden) Länderspiel des WM-Jahres zum Nichtstun verurteilt. Aber es ist nicht so sehr der zwickende Muskel, der schmerzt. Was den ehrgeizigen "Tor-Titan" der Bayern viel mehr wurmt, ist die Tatsache, dass Konkurrent Jens Lehmann 100 Tage vor dem WM-Eröffnungsspiel weiter kräftig Eigenwerbung betreiben kann.
Und das nicht zum ersten Mal. In den vergangenen Wochen sammelte der deutsche Torhüter von Arsenal London auch auf höchster Vereinsebene im Fernduell mit Kahn Pluspunkte. Beim Champions-League-Match der "Gunners" in Madrid beispielsweise sorgte Lehmann mit seiner fehlerlosen Vorstellung maßgeblich für den ersten Sieg einer englischen Fußball-Mannschaft im Estadio Santiago Bernabeu.
Lehmann auch auf der Insel zunehmend respektiert
Und Kahn? Der saß zeitgleich verletzt und zähneknirschend auf der Tribüne der Allianz-Arena und musste mit anschauen, wie Ersatzmann Rensing das 1:1 im Prestigeduell gegen den AC Milan in der zweiten Hälfte festhielt. Ausgerechnet bei einem K.o.-Spiel in der "Königsklasse" zu fehlen, tut doppelt weh. Es ist nicht so, dass Kahn in Sachen 'WM-Stammplatz' seine Felle langsam davonschwimmen sieht, aber auch er wird realisiert haben, dass ihm sein Intimfeind so dicht wie vielleicht noch nie im Nacken sitzt.
"Ich glaube an Statistiken, sie sagen viel über den wahren Leistungsstand aus. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass ich bei der WM spiele", sagt Lehmann gewohnt selbstbewusst. Und hat derzeit auch allen Grund dazu. Denn auch auf der Insel fliegen "Leemän" neuerdings die Sympathien zu. "Er war der Fels in der Brandung", schrieb der angesehene Londoner "Telegraph" und lobte nach dem Sieg bei Real Madrid den einst ungeliebten Deutschen, der sowohl seinen Trainer Arsene Wenger als auch die kritischen britischen Zuschauer zunehmend überzeugt.
Kahn läuft die Zeit weg
In der Premier League attestierten ihm die Experten zuletzt "Weltklasseleistungen" - wie bei der 0:1-Niederlage gegen den FC Liverpool, als Lehmann sogar einen Elfmeter parierte und reihenweise Großchancen vereitelte. Britischen Zeitungen wählten den Keeper danach übereinstimmend zum Mann des Tages. "Es war unglaublich zu sehen, was er alles gehalten hat", staunte auch Liverpools Trainer Rafael Benitez.
Im Testspiel gegen die offensivstarken Italiener um Super-Torjäger Luca Toni bekommt Kahns großer Rivale nun also erneut eine Riesenchance serviert, an der Vormachtstellung des Bayern-Torwarts im Gehäuse der Nationalmannschaft zu rütteln. Die Rotation des Bundestrainers wollte es so, dass Lehmann beim respektablen 0:0 gegen Frankreich im Dezember auch schon im Tor stand - und als mitspielender Schlussmann mit einer exzellenten Strafraumbeherrschung beste Kritiken erntete. Für "King Kahn" wird es höchste Zeit, den Golfschläger aus der Hand zu legen und zwischen die Pfosten zurückzukehren. Noch 100 Tage...