Nun war es also passiert, ein Unentschieden, drei Gegentore. Deutschland schien schlagbar, nicht nur, weil die Ukraine kurz vor Schluss die große Chance zum 4:3 vertat. Der Bundestrainer aber lachte, als er nach dem Spiel im Olympiastadion von Kiew zur Analyse schritt. Das 3:3 hatte ihm offenbar Spaß gemacht.
Kein deutscher Journalist, so hatte Löw am Morgen vor dem Spiel gemutmaßt, werde diesmal die Startelf vorhersagen. Er behielt Recht, Christian Träsch und Dennis Aogo auf den Außenbahnen im Mittelfeld hatte niemand voraus gesehen, ebenso wenig eine Dreier-Abwehrkette. Am kommenden Dienstag gegen die Niederlande dürfte Löws Anfangsformation weniger erratisch ausfallen – und vier Abwehrspieler enthalten, die dann auch in der Abwehr spielen.
Dass Joachim Löw seinem neuen System mit minimierter (und damit überforderter) Abwehr und mit überfülltem Mittelfeld auch nach der Pause treu blieb, überraschte dann noch mal. Gomez und Götze spielten weiterhin weitgehend wirkungslos, Özil misslang viel, Khedira nichts mehr, da er nach 45 Minuten ausgewechselt wurde. Zuvor war er auf der Sechser-Position viel gelaufen, ohne das Spiel zu prägen.
Doch man hatte nicht den Eindruck, dass das deutsche Spiel am Personal scheiterte. Die Mannschaft war schlicht überfordert durch den wenige Stunden zuvor verordneten, nie geübten Systemwechsel. Das Umschalten in die Defensive verzögerte sich, das Angriffsspiel selbst wirkte gleichzeitig aber weder drückender noch ertragreicher als sonst.
Deutschlands Ausgleichstore in Hälfte zwei fielen dann auch noch einer Ecke und durch einen sicher nicht unhaltbaren Fernschuss – spielerisch ging wenig an diesem kalten Abend in Kiew. Dafür brachte das Eröffnungsspiel der neuen, weitläufigen Arena dann eben jene Erkenntnis, mit der die CDU im Bundestagswahlkampf 1957 bereits die SPD auf Distanz gehalten hatte: "Keine Experimente". Deutschlands Wirtschaft lief gut damals, Ende der 50er Jahre, es ging voran, Besserung war sicht- und fühlbar. Genau wie im Spiel der deutschen Nationalmannschaft, das sich in den vergangenen Jahren so gut entwickelt hat. Niemals hätten die Deutschen 1957 ihrer sozialen Marktwirtschaft abgeschworen. Niemals wird wohl auch Löw ein Experiment wie das gegen die Ukraine 2012 in einem wichtigen Spiel wiederholen.
Löw: "Bei Toni liefen die Fäden zusammen"
Doch er verteidigte es, stellte in seiner Bewertung „eine klare Dominanz unserer Mannschaft“ fest und wusste nicht, „warum wir zur Halbzeit mit zwei Toren hinten lagen“. Das sagte Löw – und fand dann doch noch eine Antwort. "Wir wurden zweimal nach Standardsituationen ausgekontert, haben den Konter nach eigenem Eckball nicht sofort unterbunden." So fielen nach Löws Ansicht die Gegentore nicht aus systemischen Gründen. Sie seien auch nicht von den Abwehrspielern Hummels, Boateng und Badstuber ermöglicht worden. Löw: "Die drei haben das schon auch oft sehr gut gemacht. Die Probleme hatten wir irgendwo anders, aber nicht in der Dreierkette."
Das bewertete Löw genau wie seine Spieler in der Mixed Zone, und wie diese vergaß auch er zu erwähnen, dass sich die Ukraine ja durchaus mehr Chancen erarbeitet hatte als jene beiden erfolgreich abgeschlossenen Konter nach Ecken und den Weitschuss zum 3:1. Man konnte ihm also nicht ganz folgen bei der Verteidigung der Dreier-Kette.
Den Zwischenspieler Toni Kroos hingegen hatte wohl jeder der 69720 Zuschauer im neu eröffneten Olympiastadion so spielen sehen, wie es Löw beoachtete: "Bei Toni liefen die Fäden zusammen, er war stets im Spiel, immer anspielbar."
Man kann ihn sich kaum mehr wegdenken aus der deutschen Mannschaft, diesen diesmal sehr guten Toni Kroos. Das Angebot im Mittelfeld übersteigt die Nachfrage in der Nationalmannschaft deutlich, und gegen Holland stößt nun auch noch der fabelhafte Marco Reus dazu. Podolski (in der aktuellen Form) und Schürrle, Götze und Özil, Kroos und Schweinsteiger, Khedira und Lars und Sven Bender – absolut erstklassig kann Löw da wohl besetzen, selbst wenn es bis zur Europameisterschaft im Juni noch Verletzungen geben sollte.
Bei der Abwehr ist man ein halbes Jahr vor EM-Beginn noch nicht so euphorisch. Das neue System hat daran nichts geändert.