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Investoren im Fußball Forscher: "Fußball ist ein Markt der permanenten Überinvestition"

Erik ten Hag, Trainer von Manchester United feiert mit Lisandro Martinez und Antony den pGewinn des englischen Liga-Cups. 
Erik ten Hag, Trainer von Manchester United feiert mit Lisandro Martinez und Antony den Gewinn des englischen Liga-Cups. Der Verein soll ebenfalls zum Verkauf stehen.
© Julian Finney / Getty Images
Christoph Breuer forscht an der Sporthochschule Köln zum Fußball-Business. Im Interview erklärt er, warum gerade so viele Vereine zum Verkauf stehen – und warum die Abschaffung von 50+1 die Geldsorgen der Vereine nicht lösen würde.

Herr Breuer, aktuell wird über den Verkauf gleich mehrerer Top-Fußballclubs gemunkelt: Manchester United, Tottenham Hotspur – und auch Liverpool ist immer mal wieder im Gespräch. Warum gerade jetzt?
Sicher hat der unfreiwillige Rückzug von Roman Abramowitsch beim FC Chelsea ein paar Diskussionen ausgelöst – aber so eindeutig lässt sich das nicht sagen. Einen konkreten Auslöser jedenfalls gab es nicht. Es scheint, dass die finanziellen Bedingungen gerade einfach günstig sind. Das sehen zum Beispiel viele amerikanische Investoren so. In China wird das aber interessanterweise komplett anders bewertet.

Weshalb?
Chinesische Investoren waren sehr aktiv auf dem italienischen Fußballmarkt und haben Anteile an mehreren Top-Clubs gekauft, darunter Inter Mailand und AC Mailand – allerdings waren die Investitionen kaum strategisch durchdacht. Das war eher ein politisches Projekt. China wollte über Jahre hinweg ein großer Player im Fußball werden. Da machte es sich für vermögende Chinesen natürlich gut, in den europäischen Clubfußball zu investieren. Ein ökonomisches Kalkül stand da weniger im Vordergrund. Es ging für die Investoren darum, die eigene Reputation in China zu stärken. Aktuell verfolgt die chinesische Regierung aber nicht mehr so intensiv politische Ziele im Weltfußball. In der Folge ist auch das Interesse chinesischer Investoren zurückgegangen.

Wodurch zeichnet sich denn der Markt für Fußball-Investoren aus?
Fußball ist ein Markt der permanenten Überinvestition. Wir haben hier sogenannte Rattenrennen, also Wettbewerbe, bei denen Ressourcen systematisch verschwendet werden: Die Fußballindustrie funktioniert anders als die übrige Wirtschaft. Die Wettbewerbsregeln besagen, dass es auch Verlierer geben muss beziehungsweise die Anzahl an Gewinnern begrenzt ist. Zugleich gibt es immer viel mehr Vereine mit dem gleichen sportlichen Ziel, als dafür Qualifikationsplätze zur Verfügung stehen. 18 Vereine wollen nicht aus der Bundesliga absteigen – es gibt aber per Definition zwei bis drei Absteiger. Das führt dazu, dass Vereine systematisch mehr in Spieler investieren müssen, als dass es sich betriebswirtschaftlich im Durchschnitt lohnen würde. Geld ist daher permanent knapp – zumindest bei den allermeisten Vereinen – und Geldgeber sind stets gesucht. Das ist aber nur die eine Seite.

Und die andere?
Das Produkt ist sehr attraktiv geworden und hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem normalen Wirtschaftsgut entwickelt. In anderen Branchen würde man sich nicht darüber wundern, dass viele Investoren interessiert sind. Beim Fußball ist das aber etwas anderes, weil es extrem unterschiedliche Investorentypen gibt. Wir haben zwar auch klassische Private Equity-Geldgeber, die an einer finanziellen Wertsteigerung interessiert sind. Wir haben aber auch andere Investoren, die sich zum Beispiel soziale Anerkennung schaffen wollen oder solche, die als Mäzene auftreten.

Viele der europäischen Top-Clubs schreiben zwei- bis dreistellige Millionenverluste im Jahr. Wie kann das für Investoren interessant sein – selbst wenn sie Mäzene oder der saudische Staatsfonds sind?
Wenn man die klassischen ökonomischen Renditeziele als Maßstab anlegt, kann es durchaus rational sein. Die Investoren gehen davon aus, dass die Branche weiter boomt. Der Fußball ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker gewachsen als der durchschnittliche Markt. Es mehreren sich zwar die Anzeichen, dass das nicht anhält. Doch wenn Investoren Effizienzgewinne erzielen, kann es sich dennoch für sie lohnen. Zum Beispiel durch Verbundvorteile, die entstehen, wenn sie mehrere Vereine besitzen. Dann können sie beispielsweise die Vermarktungs- oder Spielertransferstrategie für alle Vereine bündeln. Das sehen wir schon bei der City Group oder bei Red Bull mit ihren Farmteams. Aber auch dort sind die Skalenvorteile noch lange nicht ausgeschöpft. Dazu gibt es noch Economies of Scope.

Wie sehr hängen der sportliche Erfolg eines Clubs und das Wachstum des Unternehmenswerts voneinander ab?
Die Bewertung von Fußballvereinen ist schwieriger als die von normalen Wirtschaftsunternehmen. Das liegt daran, dass ein großer Teil der Bewertung intangibel ist – sie also vom Markenwert des Vereins abhängt. Zum anderen besteht das Anlagevermögen fast ausschließlich aus Spieler-Marktwerten, die aber nur kurzfristige Verträge haben. Daher ist es sehr schwierig, vergleichbare Werte zu schaffen.

Woran orientieren sich Investoren denn, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen. Irgendwelche Kennziffern muss es doch geben?
Investoren lassen sich da nicht wirklich in die Karten schauen. Gerade bei Investoren aus dem Nahen Osten ist aber davon auszugehen, dass nicht alles auf Heller und Pfennig durchgerechnet ist. Das ist auch nicht so wichtig, denn da geht es um soziale Anerkennung, Sicherheitsinteressen und den Markteintritt.

Sie sagen also, dass es Bewertungsunterschiede je nach Herkunft der Investoren gibt?
Ja, definitiv. Die westlichen Investoren, meistens aus den USA, treten eher als typische Finanzinvestoren auf. Das sind diejenigen, die an einer Wertsteigerung des Vereins interessiert sind. Die Investoren aus dem Nahen Osten sind eher an Reputation und Imagepflege interessiert. Das bedeutet auch ein anderes Investitionsverhalten. Es muss sich wirtschaftlich nicht mehr lohnen, einen Spieler zu verpflichten.

Werden wir mal konkret: Wenn Borussia Dortmund Erling Haaland für 20 Mio. Euro einkauft und für 60 Millionen weiterverkauft, ist das Geschäftsmodell offensichtlich. Aber sobald ein Spieler bei Vereinen wie Manchester City spielt, wechselt er normalerweise nicht mehr für eine noch höhere Summen zu anderen Clubs. Wie lautet die Rechnung dann?
Das ist auf den ersten Blick natürlich ein Minusgeschäft. Man darf aber nicht vergessen, dass Erling Haaland mit seinen Toren auf den Markenwert von Manchester City einzahlt. Das ist zwar abstrakt, aber ganz klar: Bei einem solchen Transfer bleibt definitiv etwas hängen. Und nicht zuletzt steigen bei einem Transfer von absoluten Topstars wie Messi und Ronaldo auch die Trikotverkäufe sowie Social Media-Kontakte massiv, so dass sich selbst Transfers der höchsten Kategorie rechnen können.

Lohnt es sich bei diesen Summen überhaupt, in die europäische Spitze zu investieren? Vieles hängt doch vom Zufall ab. Bei Paris St. Germain spielen Lionel Messi, Neymar und Kylian Mbappé im Sturm und trotzdem gab es bislang keinen Champions League-Titel…
Betriebswirtschaftlich lohnt sich das aber nicht immer. Es gibt Studien für den deutschen Fußball, wonach es am vernünftigsten wäre, die Mannschaft um Platz sechs oder sieben mitspielen zu lassen. Alles andere erfordert überproportional hohe Investitionen mit unsicherem Ausgang.

In Deutschland gibt es wieder eine aufkeimende Diskussion über die Abschaffung der „50+1“-Regel. Vereine dürften Mehrheitsbeteiligungen dann veräußern. Dadurch soll der Rückstand auf die englische und spanische Liga aufgeholt werden. Ist das die Lösung, damit Deutschland oben mitspielen kann?
Nein, ich halte das für einen Trugschluss. Zum einen ist das nur eine Einmalzahlung für die Anteile, woraus nicht automatisch weitere Zahlungen folgen. Zum anderen ist die Lücke mittlerweile viel zu groß. Englische Topclubs verfügen mitunter über Marktwerte von 2 Mrd. Euro. Wenn man dann überlegt, dass der größte deutsche Investor, Lars Windhorst, bei Hertha BSC 370 Mio. Euro über mehrere Jahre investiert hat, dann wird die Lücke deutlich. Das hätte vor 15 Jahren noch gereicht, heute aber nicht mehr.

Frankfurt ist doch letztes Jahr Europa-League-Sieger geworden. In diesem Jahr stehen vier Teams im Achtelfinale der Champions League und drei in der Europa League. So schlecht ist das Abschneiden der deutschen Teams nicht…
Nein, aber dahinter stehen fast immer finanzielle Erfolge, die über die vergangenen Jahre international erzielt wurden. Das vergessen viele. Frankfurt, Union Berlin, Freiburg – alle haben zuletzt international gespielt und sich Stück für Stück entwickelt. Wenn dazu noch ein gutes Konzept kommt, wie bei diesen Vereinen, dann ist so etwas möglich. Auf der anderen Seite sieht man an Traditionsteams wie Schalke oder Hamburg, dass die Korrelation zwischen Geld und Erfolg nicht automatisch gegeben ist. Das zeigen auch unsere Untersuchungen über den Aufwand und Ertrag von Vereinen: Da steht Union Berlin eigentlich immer ganz oben, Schalke ganz unten.

Sie sagen also, dass Geld und Erfolg nicht automatisch einhergehen?
Die Wahrscheinlichkeit für sportlichen Erfolg steigt natürlich mit dem verfügbaren Kapital. Allerdings zeigt sich deutlich, dass es darauf ankommt, wie investiert wird. Mit Investoren-Übernahmen sinkt tendenziell die Effizienz der Clubs. Spannend ist hier auch der Effekt durch die Einführung der Financial Fairplay-Regeln.

Inwiefern?
Vor der Einführung 2011 konnten Investoren quasi so viel investieren, wie sie wollten. Das hat sich ganz deutlich im sportlichen Erfolg niedergeschlagen. Seit der Regel-Einführung ist der Effekt kaum noch messbar. Je stärker also reguliert wird, desto weniger Effekt hat eine Investorenbeteiligung auf den sportlichen Erfolg.

Einige Investorenclubs wollen wahrscheinlich auch deshalb die „Super League“ gründen, in der jede Woche die europäischen Spitzenteams gegeneinander antreten. Das wurde jetzt zwar mehrfach ausgebremst – aber die Idee scheint nicht tot. Was halten Sie davon?
Rein ökonomisch ist die ursprüngliche Idee der Super League vernünftig – dass es also keine Auf- und Absteiger gibt. Genau so sind ja schon die amerikanischen Ligen aufgebaut. Das würde dazu führen, dass es weniger Überinvestitionen gibt und keine systematischen Rattenrennen. Im Übrigen würde dies auch vermeiden, dass große Stadien dort gebaut werden, wo sie nach wenigen Jahren keiner mehr braucht. Aber insgesamt entspricht das nicht unserer Vorstellung einer europäischen Sportkultur

Apropos Sportkultur: Viele Fans klagen, dass der Fußball überkommerzialisiert wurde – und warnen davor, dass sie sich vom Sport abwenden. Bislang zeigen die Zahlen aber etwas anderes. Kann der Fußball überhaupt das Rad zu weit drehen?
Als klassischer Sportfan würde ich auch annehmen, dass es irgendwann zu viel wird. Die empirischen Daten zeigen aber nicht in diese Richtung. Es gibt immer noch genügend Aufmerksamkeit für den Spitzenfußball. Und durch die globale Größe kann sich der Fußball sehr viel erlauben. Ich denke, es geht eher in eine andere Richtung: Dass klassische Traditionsclubs, die nicht auf dieser europäischen Aufmerksamkeitsbühne spielen, es immer schwieriger haben werden. Eine Hertha, ein 1. FC Köln – solche Teams werden von den globalen Einkommenstöpfen abgekoppelt.

Wie meinen Sie das? 
Schauen wir uns das E-Gaming an. Die Jungen stellen sich dort ihre Teams selbst zusammen und wählen ihre Stars oder ganze Mannschaften aus, um eine höhere Gewinnwahrscheinlichkeit zu haben. Das führt dazu, dass viele Kinder nicht nur einen deutschen Lieblingsverein haben, sondern auch einen auf europäischer Ebene. Das verändert Finanzströme in der Zukunft, weil sich beide immer stärker voneinander entkoppeln. Jetzt können Fans zwar sagen, dass sie das alles nicht möchten – dann müssen sie aber damit zurechtkommen, dass ihr Verein dauerhaft nicht um europäische Titel mitspielt.

Und inwiefern sind Ultras ein Problem für die Clubs und ihre Investoren?
Tatsächlich haben Ultras und Geschäftsführungen der Clubs gar nicht so unterschiedliche Interessen – auch wenn das im ersten Moment überraschen mag. Beide wollen Investoren als dritten Akteur in dieser Machtkonstellation eher verhindern. Deswegen werden Clubs in Deutschland auch viel fremdfinanziert über Banken. Das führt aber in erster Linie zu höheren Schulden, nicht unbedingt zu sportlichem Erfolg.

Das Interview erschien zuerst auf capital.de.

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