Herr Ballack, nach dem EM-Aus 2004 und Rudi Völlers Rücktritt schien die Nationalelf am Boden - seitdem hat Jürgen Klinsmann die Stimmung auf verblüffende Weise gedreht. Was ist das Besondere am neuen Bundestrainer?
Ganz bestimmt, dass Jürgen diese positive, optimistische Sicht hat. Die Abläufe sind aufgelockert, wir sind nicht eingeengt zwischen Mittagessen, Schlafen, Training. Wir können auch mal raus aus dem Hotel - man nimmt ein bisschen mehr am Leben teil. Das erntet man vielleicht im Spiel. Beim 2 : 2 gegen Argentinien haben sich die Jungs ja sichtbar wohlgefühlt auf dem Platz.
Sie saßen krank zu Hause.
Ja, aber es hat richtig Spaß gemacht zuzuschauen.
Ist es leichter geworden, bei der Nationalmannschaft zu sein ?
Leichter nicht. Aber es ist cooler geworden.
Cooler?
Cooler ist ein gutes Wort. Man ist sich bewusster, was es heißt, in diesem Kreis dabei zu sein. Wir haben ein freieres Gefühl. Aber wenn es auf den Platz geht, ist trotzdem Konzentration angesagt.
Wie weit ist das Team in seiner Entwicklung?
Wir gehen gerade über von der Anfangseuphorie in eine Phase des Bestätigens. Die Erwartungen verschieben sich jetzt, die Mannschaft muss wachsen. Jetzt wird die Zeit kommen, in der sich entscheidet: Wer bleibt dabei? Wie gut ist der Kader wirklich? Ehrlich gesagt, für mich ist die WM 2006 noch weit weg.
Die so oft beschriebene Revolution ist also zunächst vor allem eine gefühlte Revolution.
Man muss abwarten, wie stabil wir sind. In einer jungen Truppe wie der unseren ist die Dynamik unheimlich groß. Die Stimmung kann dich beflügeln, aber sie kann auch schnell kippen. Da sind jetzt viele junge Leute dabei, die wollen nach vorne, die sind noch unverbraucht, die haben einfach Bock, etwas zu reißen.
Genau das gefällt den Fans. Plötzlich verströmt die Nationalelf Abenteuergeist.
Das ist auch schön. Aber...
Aber?
Euphorisch unterzugehen bringt nichts. Natürlich prägt das Auftreten der jungen Spieler das Gesicht der Mannschaft, die Generation 30 plus ist kaum noch vertreten. Aber wir wollen die Spiele vor allem gewinnen. Wer gewinnt, hat die Argumente auf seiner Seite.
Sie sind mit 28 Jahren schon ein alter Hase.
Deswegen bin ich jetzt auch in einer absoluten Führungsrolle.
Dieser Satz wäre Ihnen vor zwei, drei Jahren so nicht über die Lippen gekommen.
Damals waren auch noch viel mehr erfahrene Spieler dabei. Jetzt bin ich Kapitän. Und befinde mich in einem sehr guten Fußball-Alter - man hat sich vieles erarbeitet und trotzdem noch eine Zukunft. Aber es stimmt: Der Schritt ist jetzt gekommen. Für mich war das sehr gut. Ich habe ihn angenommen.
Macht Ihnen das Spaß: Platzhirsch sein?
Es gibt mir sicher noch ein paar Prozente an Motivation, an Kitzel. Kapitän sein ist etwas Besonderes. Es ist eine andere Rolle, als wenn du als Spieler vor allem schaust, dass du dich durchsetzt. Ich habe plötzlich Verantwortung auch für andere. Ich glaube, das pusht sogar. Es gibt ja auch schwere Tage. An denen man morgens aufsteht, und denkt: Oh, heute wird's zäh. Da hilft die Binde. Am Anfang ist das Gefühl sehr intensiv.
Und was für ein Gefühl ist das, demnächst mit der deutschen Elf bei der WM das ganze Land aus der Lethargie reißen zu müssen?
Wir sehen das ja nicht so. Auch wenn unser Sport in Deutschland die Nummer eins ist, die Leute Kraft schöpfen und stolz sind, wenn wir gewinnen. Es stimmt, manchmal ist der Fußball das Zünglein an der Waage, und ein Erfolg kann entscheiden, ob die Waage zum Positiven kippt. Aber wir interpretieren da nicht so viel rein.
Weil es auf dem Feld lähmen könnte?
Das ist Typsache. Ich sehe das so: Der Fußball ist eh schon dermaßen komplex, in all seinen Facetten, dass es reicht, sich darauf zu konzentrieren.
Wie bereitet Klinsmann die Mannschaft auf die großen Erwartungen vor?
Jürgen ist ein sehr begeisterungsfähiger Mensch. Auf dem Platz hat er früher auch immer seine Gefühle ausgelebt, und das versucht er nun auf uns zu übertragen, um den letzten Funken rauszukitzeln.
Ich möchte bei meinen Jungs Weitwinkel statt Tunnelblick, sagt er.
Ja, er macht uns immer wieder bewusst, dass die 50 000, 60 000 Leute im Stadion ganz genau spüren, mit welcher Leidenschaft wir Spieler bei der Sache sind. Und dass ganz allein daraus sogar eine Dynamik entstehen kann im ganzen Land.
Sie selbst muten sich viel zu. Als Werbeheld haben Sie Oliver Kahn abgelöst, der Name Michael Ballack ist zur Marke geworden. Ist Ihnen schon bewusst, dass Sie bei der WM 2006 das sein werden, was Franz Beckenbauer bei der WM 1974 war - der Kopf der DFB-Elf, die Ikone der Deutschen?
Was damals war, weiß ich nicht - ich war ja noch gar nicht auf der Welt. Es wird bestimmt gegenüber 74 einen viel größeren Rummel geben, der uns alle erwartet. Ich will das sportlich nehmen.
Haben Sie noch nie gedacht: Uiuiui, da kommt was auf mich zu?
Nee, ich bin kein Typ, der viel grübelt. Sicher wird vieles aufgebauscht werden, und es wird für mich darum gehen, einen klaren Kopf zu bewahren. Ich glaube, meine Art wird mir dabei helfen.
Gibt es nicht Tage, an denen Sie denken: Es ist manchmal verdammt schwer, Michael Ballack zu sein?
Das Schwerste ist für mich eigentlich, ganz banal, mich am Tag nach einem harten Spiel noch mal damit beschäftigen zu müssen, es zu analysieren. Ich bin da gedanklich schon beim nächsten Spiel.
Nach der Asienreise haben die drei Jung-Nationalspieler Owomoyela, Schulz und Engelhardt auf die Frage ...
... die haben sich gut an die Absprache gehalten ...
... welcher Kollege sie am meisten beeindruckt habe, unabhängig voneinander geantwortet: Michael Ballack.
Als ich das las, dachte ich: Prima, dass es für die Jungs okay war bei der Nationalmannschaft. Persönlich freute es mich, dass man bei allem sportlichen Standing auch als Mensch Wirkung hinterlassen hat. Das ist schön.
Welche Jungen beeindrucken denn Sie?
Der Robert Huth zum Beispiel: ein kerniger Typ. Man merkt den Jungs an, die im Ausland spielen, dass sie Ziele, dass sie Geduld haben. Auch der Basti Schweinsteiger hat sich sehr gut entwickelt.
Sie meinen Ihren Mitspieler beim FC Bayern und in der Nationalelf, der mitunter noch den Ball vertändelt. Mit dem gehen Sie nicht immer gnädig um.
Eben. Das ist ja nicht bösartig gemeint, das hilft ihm. Das haben wir früher alle selbst erfahren. Es ist eine Frage des Kopfes, zu erkennen, wann der richtige Zeitpunkt für den Pass ist. Das ist Schule, durch die man gehen muss.
Und Sie sind sein Lehrer.
Ich will ihm nur helfen. Der Basti hat zwar seinen eigenen Willen, ist aber bereit, etwas anzunehmen. Er musste sich bei Bayern durchsetzen, das ist nicht so einfach. Die meisten Talente scheitern daran, leider.
Mit Ihrem Klub sind Sie trotz der Niederlage in Bielefeld in der Bundesliga vorne, nun stehen die Partien gegen Arsenal London in der Champions League an. Was bedeutet dieses Match für den FC Bayern?
Ein Weiterkommen würde uns wahnsinnig helfen. Erst war mal ganz wichtig, dass wir uns nach der Winterpause in der Bundesliga oben festgesetzt haben. Wenn wir jetzt Arsenal ausschalten, gibt das noch mal einen Extremschub. Es wird eng und schwer. Aber es wäre wahrscheinlich der entscheidende Schritt auf dem Weg zu einer echten Spitzenmannschaft.
Ist der neue Trainer Felix Magath wirklich schon angekommen?
Angekommen ja. Man merkt, Magath weiß, was er will. Aber er ist schon noch auf der Suche, er schaut sich genau an, auf wen er setzen kann. Das ist ein Prozess.
Wenn Arsenal für schneidend scharfes Angriffsspiel steht - was ist das Einzigartige an Magaths FC Bayern?
Die Kombination aus verschiedenen Qualitäten. Auch wenn wir in Bielefeld 1 : 3 verloren haben: Wir stehen wieder dafür, dass wir die Spiele einfach "nur" gewinnen.
Das wäre die uralte Bayern-Stärke.
Ja. Dass man warten kann. Und daran glaubt, dass es immer wieder klappt.
Dieses arrogante Mir-san-mir-Gefühl der Bayern, ist das wirklich wieder da?
Ich finde das normal, dieses Gefühl zu verkörpern. Das ist sogar Grundvoraussetzung, wenn man bei Bayern spielt: Dass man nicht an sich zweifelt. Aber sicher ist unser Team noch am Reifen, da ist nicht alles ausgereizt.
Magath hofft, dass sich im Team von selbst eine starke Hierarchie herausbildet. Sie sind in der Nationalelf die überragende Figur - und beim FC Bayern?
So einfach ist das hier nicht. Bei Bayern treffen viel mehr gestandene Profis aufeinander. Wer nach München kommt, hat seine berechtigten Ansprüche. Viele Neue kommen als Stars. Da muss jeder genau einschätzen, wie er sich positioniert, da gibt es viele Eitelkeiten. Dieses Team ist ein kompliziertes Gebilde - viel komplizierter, als es zurzeit die Nationalelf ist.
Liegt es vielleicht daran, dass Sie in den ersten beiden Jahren vom Klubvorstand oft kritisiert wurden - und jetzt erst gelobt, da man Sie für eine Vertragsverlängerung über 2006 hinaus gewinnen will?
Von Trainer Ottmar Hitzfeld hatte ich immer Rückendeckung, genauso wie jetzt von Magath. Aber natürlich bleibt was im Gedächtnis hängen. Das ist ja ganz klar.
Sie machten nie einen Hehl daraus, eines Tages ins Ausland wechseln zu wollen. Nehmen Sie denn das Angebot des DFB wahr, bei Länderspielreisen Sprachkurse zu belegen, Spanisch etwa? Gibt's das?
Das wusste ich ja noch gar nicht. Ich dachte, manche sind bei der Nationalmannschaft, um Deutsch zu lernen.