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Nationalmannschaft 2014 Erst Gurkentruppe, jetzt Generation Glamour

Im März pfiffen Fans das DFB-Team aus, weil sie mit dem Sieg (!) gegen Chile unzufrieden waren. Ende 2014 haben sich die Weltmeister zu Glamour-Stars entwickelt. Rückblick auf ein Jahr des Wahnsinns.
Von Felix Haas

Joachim Löw sitzt nach dem letzten Länderspiel des Jahres beseelt im ARD-Studio. Kommentator Steffen Simon faselte zuvor etwas von "versöhnlichem Jahresabschluss", es klang, als sei die Nationalmannschaft bei der WM im Achtelfinale rausgeflogen. Doch Löw interessiert ein solch seltsamer Nebenton nicht mehr, er überhört so etwas mittlerweile einfach. Löw sagt das einzig richtige: "Ich denke, dass man sich keinen besseren Jahresabschluss wünschen kann." Man kann erahnen, welche Bilder vor Löws innerem Auge entlangrasen. Es würde nicht verwundern, wenn Löw einfach sagte: "Was für ein Jahr, was für ein Trip."

Löw, seine Mannschaft, die einzelnen Spieler - sie alle haben eine große Entwicklung durchgemacht. Zu Jahresbeginn hießen sie noch "die unvollendete Generation", Fans und Öffentlichkeit blickten voller Skepsis auf die Nationalelf. Nun sind Löw, Schweinsteiger, Özil und Co. gefragte Glamour-Stars, Medien und Fans reißen sich um sie. Die Entwicklung begann an einem kalten Wintertag in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena. Und da lief gar nicht alles rund ...

1 - Medienkritik und Zweifel

Stuttgart, der 5. März, das erste Länderspiel des Jahres: Feurige Chilenen heizen der DFB-Elf ganz schön ein, jagen sie über den Platz, zwingen sie zu unangenehmen Zweikämpfen. Am Ende steht dennoch ein 1:0-Sieg, Mario Götze vollendet die einzige starke Kombination des Abends. Die Zuschauer sind dennoch unzufrieden. Sie erwarten mehr im WM-Jahr und pfeifen die Stars aus. Per Mertesacker spricht anschließend von einer "Lehrstunde". "Die Welt" schreibt: "Mit solchen Leistungen ist die WM schnell vorbei". Der Tenor bei den Fans (trotz des Sieges): Diese Gurkentruppe wird (wieder) kein Weltmeister.

2 - Trainingslager und Verletzungen

Südtirol, Ende Mai: Die Bundesliga-Saison ist beendet, Neuer, Lahm, Schweinsteiger - die großen Hoffnungsträger der WM hängen durch, plagen sich mit Verletzungen. Die Mannschaft bereitet sich konzentriert auf ihre Aufgaben vor. Doch in den Medien und bei den Fans bleibt die Skepsis. Mit Marco Reus verletzt sich der nächste Hoffnungsträger schwer, in den Testspielen überzeugt Löws Elf nur bedingt. Stern-Reporter Mathias Schneider berichtet von vor Ort und beruhigt: "Grund zur Sorge? Natürlich nicht. Maue Testspiele gehören zur deutschen Tradition."

3 - WM wie im Rausch

Was folgt, ist das vollendete Sommermärchen. Im Rückblick weiß jeder: Besser hätte die WM kaum laufen können. Ein 4:0-Startsieg gegen Portugal, danach ein kleiner Durchhänger, zwei, drei mittelmäßige Partien, das musste so sein, gehört zum Fußball. Im Viertelfinale das abgezockte Spiel gegen Frankreich, dann das unfassbare Halbfinale gegen Brasilien und das erlösende Finale. Die Mannschaft, die Fans - für alle verlief der Monat wie im Rausch. Und neue Helden erklommen das Podest im Maracana und reckten den WM-Pokal in die Höhe.

4 - Die Geburt der Glamour-Kicker

Die Helden kehren zurück und sind gefragt wie nie. Zunächst jubeln sie auf der Fanmeile vor zigtausenden Fans, feiern sich und den Erfolg, ein kurzer Moment der Ekstase im Leben der Fußballprofis. Später im Jahr entern sie die roten Teppiche der Nation, lassen sich vom Bundespräsidenten ehren, verzücken Fans bei der Filmpremiere. Beim Bambi, bei den Laureus Awards - überall triumphieren die Weltmeister. Früher gab es vereinzelt Sprechchöre für einzelne Spieler, wenn die Mannschaft aus ihrem Bus ausstieg. Heute kreischen die Fans wie bei Popstars. Die Spieler haben Millionen Follower auf Twitter und Facebook. Schweinsteiger turtelt mit einer neuen Freundin? Manuel Neuer trennt sich? Mandy Capristo zieht bei Mesut Özil aus? Die Nationalspieler füllen die Klatschspalten, die "Bild"-Zeitung widmet den persönlichen Belangen mehrere Titelseiten. Christoph Kramer, den vor der WM kaum einer kannte, ziert die Titelseite der "11 Freunde" und gibt ein großes Interview im Spiegel. "Die Welt" schreibt von der "Generation Glamour".

5 - Schwierigkeiten - und ein versöhnlicher Abschluss

Auf dem grünen Rasen haben die Glamour-Stars nach der WM ihre lieben Probleme. Nach wenigen Tagen in der EM-Qualifikation im Oktober (0:2 gegen Polen, 1:1 gegen Irland) kehren die kritischen Stimmen zurück. Zur Diskrepanz zwischen Weltmeistertitel und Alltagsschwierigkeiten schreibt die "Bild": "Jogi, ihr macht uns ir(r)e!". Das letzte Länderspiel des Jahres gegen Spanien steht unter schlechten Vorzeichen. Viele WM-Stars fallen aus, die zweite Garde muss ran. Doch am Ende steht ein Sieg im Prestigeduell. Da sitzt Löw also im ARD-Studio und sagt: "Insgesamt war das Jahr fantastisch. Wir sind Weltmeister. Dieses Gefühl bleibt natürlich."

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