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P. Köster: Kabinenpredigt Stuttgarter Exzesse – wenn Ordner zu Hooligans werden

P. Köster: Kabinenpredigt: Stuttgarter Exzesse –  wenn Ordner zu Hooligans werden
© Twitter Fanhilfe Mönchengladbach
Kaum sind wieder Zuschauer in den Stadien, kommt es zu Auseinandersetzungen. Ein Handy-Video aus Stuttgart zeigt: Nicht immer sind die Fans schuld.

Es sind verstörende Szenen, festgehalten in einem sieben Sekunden langen Handyvideo, gefilmt am Samstagabend nach der Bundesligapartie zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Mönchengladbach. Zu sehen ist eine Gruppe von Ordnern, die in einem Tribünenausgang des Stuttgarter Stadions auf Gladbacher Fans eindrischt und eintritt. Mühsam versuchen sich die Anhänger vor den Schlägen zu schützen, was auch deshalb misslingt, weil es sich bei den Ordnern ganz offensichtlich um geübte Kampfsportler handelt.

Präzise Dokumentation der Verfehlungen von Ordnern

Als die Fanhilfe Mönchengladbach, eine ehrenamtliche Organisation, die den Borussia-Fans in Konflikten mit der Polizei zur Seite steht, dieses Video in den sozialen Medien veröffentlichte, war die Empörung groß. Was vor allem daran lag, dass ein zufällig gefilmtes Video selten so präzise Verfehlungen von Ordnern dokumentiert und zudem wenig Spielraum für die Vermutung zulässt, dass der kurze Clip wieder einmal nur die Notwehr unschuldig in Not geratener Ordnungskräfte gegen randalierende Fans zeigt.

Tut er nämlich nicht. Inzwischen lassen zahlreiche Zeugenaussagen, unabhängig voneinander getätigt, ein ziemlich präzises Bild zu, was sich im Gladbacher Block zugetragen hat. Zwei Borussia-Anhänger, die sich untereinander in die Haare gerieten. Eine Gruppe von Ordnern des Dienstleisters SDS (Eigenwerbung "Wir sorgen dafür, dass Sie und Ihre Gäste sich jederzeit wohl und rundumsicher fühlen") die relativ rüde in den Block drängte. Einige Gladbacher, die etwas bockig nicht sofort den Weg freimachten, als die Ordner sie in Richtung Ausgang drängten. Und schließlich die Prügelexzesse, die für mehrere Menschen mit Verletzungen und dem Hauptleidtragenden mit einer inzwischen auch ärztlich dokumentierten Schädelprellung durch zahlreiche Schläge endeten.

Vorfälle wie diesen in Stuttgart gibt es weitaus häufiger als öffentlich bekannt. Bevor die Pandemie durch Geisterspiele den Kontakt zwischen Fans und Ordnungskräften selten werden ließ, gab es nahezu an jedem Spieltag Berichte über körperliche Auseinandersetzungen, oft durch Fans eingeleitet, nicht selten aber auch durch Sicherheitsleute provoziert. Die Chance, dass die Anhänger in anschließenden Gerichtsverfahren Recht bekommen, ist angesichts deren meist schlechten Leumunds nicht groß. Aber immer noch wahrscheinlicher als in juristischer Konfrontation mit Polizisten. Kommt es hier zu einer Anzeige, folgt in der Regel umgehend eine Retourkutsche via Gegenanzeige, vor Gericht wird den Aussagen der Polizeibeamten dann oft höheres Gewicht beigemessen.

Umso wichtiger ist nun, dass es im Stuttgarter Fall Konsequenzen gibt. Inzwischen läuft die Aufarbeitung der Vorfälle. Die Videoaufnahmen der Stadionkameras werden von der Stuttgarter Polizei gesichtet. Zudem hat der VfB als Gastgeber eine Prüfung zugesichert, konnte sich allerdings der klassischen Reflexe nicht erwehren. Eine erste Stellungnahme sprach so unscharf von den "Auseinandersetzungen im Gästeblock", bei denen "es Verletzte gab", dass der Eindruck entstehen konnte, hier hätten Fans mal wieder die Konfrontation gesucht. Dass sich der Klub nicht einmal zu Genesungswünschen für die verletzten Anhänger bequemen konnte, passte da ins Bild.

Wie eine Hooligan-Truppe auf der Suche nach dem nächsten Ackermatch

Dabei hätte der Klubs nichts riskiert, hätte er zumindest anerkannt, dass das Verhalten der Ordner auch dann nicht akzeptabel wäre, wenn es zuvor Auseinandersetzungen mit Anhängern gegeben hätte. Gezielte Fausthiebe gegen den Kopf, dazu Tritte aus der zweiten Reihe, in professioneller Ruhe ausgeführt, sind für Sicherheitskräfte in jedem Fall tabu – Ordner haben ja eine klar definierte Aufgabe im Stadion und dürfen sich nicht gebärden wie eine ordinäre Hooligan-Truppe auf der Suche nach dem nächsten Ackermatch.

Die Gladbacher Fanhilfe schätzt die Chancen, die Ordner juristisch belangen zu können, als aussichtsreich ein. Was der Sicherheitsfirma SDS noch mächtig Kopfschmerzen bereiten wird – so wie dem von Ordnern malträtierten Gladbacher Anhänger. 

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