Wenn in Deutschland Tagebücher entdeckt werden, lohnt sich aus Erfahrung die skeptische Frage: "Sind die echt?" Zumindest das ist im Falle der am Mittwoch in der "Sportbild" veröffentlichten Aufzeichnungen eines Vertrauten von Jürgen Klinsmann über dessen Zeit als Hertha-Coach inzwischen beantwortet. Aus seiner Entourage wurde die Authentizität bestätigt.
Ansonsten jedoch bleibt ein großes Rätsel, was in Gottes Namen dazu führen konnten, das dieses Tagebuch den Weg an die Öffentlichkeit finden konnte. Denn es wird dazu führen, dass zumindest hier in Deutschland kein Klub auch nur noch im Ansatz mehr daran denken wird, Jürgen Klinsmann zu verpflichten, in welcher Funktion auch immer. Der frühere Bundestrainer hat in Berlin nichts hinterlassen außer verbrannter Erde.
Alle inkompetent, verlogen, faul oder gierig – außer Klinsmann
Sucht man ein Motto für Klinsmanns Erinnerungen an seine Zeit als Hertha-Trainer, dann stünde sie wohl unter der Überschrift: Alle inkompetent, verlogen, faul oder gierig – außer Klinsmann.
Kaum ein Eintrag ohne Vorwürfe und Anschuldigungen, mal mokiert sich Klinsmanns Ghostwriter über die schlechte medizinische Betreuung, mal über die abwesende Geschäftsführung beim Closing Dinner für Klinsmanns Bestellung zum Aufsichtsrat und mal über die Weigerung des Klubs, Klinsmanns Sohn Jonathan wieder zurück zur Hertha zu holen.
Besonders jedoch hat Klinsmann aber Geschäftsführer Michael Preetz im Visier, den er mit schon beinahe pathologischem Eifer verfolgt und dem er "katastrophale Versäumnisse in allen Bereichen" unterstellt.

Jürgen Klinsmann: völlig verzerrte Eigenwahrnehmung, Hybris und Gier
Natürlich ist das Tagebuch an vielen Stellen in seiner Selbstverliebtheit auch unfreiwillig urkomisch. Etwa, wenn mehrfach über die mangelnde Hilfe des Klubs bei der Wohnungssuche gejammert wird. Oder wenn fehlende "Lobbyarbeit bei den Schiedsrichtern" im Spiel gegen Bayern München beklagt wird. Und dann ist da auch noch das hier: "Das Highlight des Florida Trainingslagers war für alle Beteiligten sicher der Abend auf dem Boot von Lars Windhorst" schreibt Klinsmanns Protokollant, eine Einschätzung, die der Ex-Coach und sein Umfeld exklusiv haben dürften.
Entlarvend ist die mehrseitige Abrechnung vor allem deshalb, weil Klinsmann mit diesen Erinnerungen wenig über die Hertha-Führung und viel über sich selbst erzählt. Über seine völlig verzerrte Eigenwahrnehmung, seine Hybris und Gier, und aus alledem resultierend: seine skurrile Fehleinschätzung, er könne bei einem traditionsreichen und etablierten Bundesligaklub mal eben sämtliche gewachsene Strukturen zertrümmern, ohne Rücksichtnahme und Respekt.
Er zog es vor, seinen Ruf als radikaler Reformer und hemmungsloser Umkrempler zu pflegen
Mag sein, dass die Hertha im Herbst in schlechtem Zustand war. Mag auch sein, dass der Klub seit Jahren unter eingefahrenen Strukturen leidet. Aber es wurde eben auch schnell klar, dass sich Klinsmann nie wirklich für die Stadt und den Klub interessiert hat. Schon auf der allerersten Pressekonferenz hatte Klinsmann wenig Mühe unternommen, den Eindruck zu zerstreuen, er sei ausschließlich vom Investor Lars Windhorst ins Traineramt bugsiert worden.
Dabei wäre es damals ein Leichtes gewesen, Geschäftsführer Michael Preetz, der direkt neben ihm saß und über dessen vermeintliche Entmachtung durch Windhorst anschließend viel geschrieben wurden, den Rücken zu stärken. Aber Klinsmann zog es vor, seinen Ruf als radikaler Reformer und hemmungsloser Umkrempler etablierter Strukturen zu pflegen, mit einem Tross von Assistenten und einer Fülle von inhaltsleeren Business-Floskeln wie jener, er verstehe sich nur "als Dienstleister der Spieler".
Für den Klub sind die Tagebücher ein echtes Ärgernis. Die Veröffentlichungen schädigt jedoch vor allem Jürgen Klinsmann. Schon weil sich nun jeder eine naheliegende Frage stellt: Welcher Klub soll eigentlich noch einen Coach verpflichten, der sich zunächst bei Nacht und Nebel vom Acker macht und dessen Indiskretionen anschließend den Weg in die Boulevard-Presse finden