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Taumelnder Traditionsverein Uerdingen und das Ende der alten Fußball-Bundesrepublik – ein nostalgischer Abgesang

Wolfgang Schäfer und Friedhelm Funkel
Ein Höhepunkt der Vereinsgeschichte: Die Uerdinger Profis Friedhelm Funkel (r.) und Wolfgang Schäfer am 25. Mai 1985 nach dem 2:1 im DFB-Pokal-Finale über den FC Bayern München im Berliner Olympiastadion
© Sven Simon/ / Picture Alliance
Mit seiner Historie zwischen Tristesse und Triumph ist der Fußball in Uerdingen das Symbol einer Ära, in der die Bundesliga ohne Bochum oder den Betzenberg nicht denkbar war – und ohne die hässliche Grotenburg-Kampfbahn eben auch nicht. Zeit für ein paar Erinnerungen.

Zyniker könnten sagen: passt! Denn die Schreckensmeldungen aus Krefeld, die sich um das unmittelbar bevorstehende Aus des berühmtesten Fußballklubs der Stadt drehen, fallen in eine spezielle Fußballzeit.

Eine Zeit, in der sich die größten Vereine des Kontinents hinter dem Rücken ihrer nationalen und internationalen Mitbewerber in einer lukrativen Eliteliga zusammenrotten wollen. In der die Austragungsorte der Europameisterschaft mitten in der Pandemie quer über den Kontinent gestreut werden. In der eine WM im Winter (!) in Katar (!!) stattfinden wird. 

Eine Zeit also, in der sich selbst die treuen Anhänger vermehrt mit Ekel abwenden, weil im Fußballzirkus endgültig die traurigen Clowns übernommen haben. Die Pandemie mit ihren leeren Stadien tat ein Übriges, um diesen Eindruck der Entfremdung zu verstärken.

Der Uerdinger Absturz ist kaum mehr abzuwenden

Nun ist es zwar Zufall, aber doch ein symbolträchtiger, dass dem KFC Uerdingen 05 ausgerechnet jetzt trotz des sportlich geglückten Klassenerhaltes in der 3. Liga das endgültige Ende droht. Der Verein kann die Lizenzauflagen nicht erfüllen, zudem hat sich überraschend der neue Investor schon wieder zurückgezogen. Damit ist selbst ein geplanter Neustart in der Regionalliga nicht realisierbar. Der erst Anfang Mai von den Gläubigern akzeptierte Insolvenzplan sei hinfällig, heißt es in einer Mitteilung des KFC, die Fußball-GmbH werde abgewickelt.

Der finale Absturz scheint kaum mehr abzuwenden. Es wäre das letzte Kapitel einer ehemals ruhmreichen Geschichte. Denn Uerdingens Fußballverein, der früher Bayer 05 Uerdingen hieß, steht für einen 2:1-Sieg über den FC Bayern im DFB-Pokal-Finale 1985. Und für das 7:3 (nach 0:2 im Hinspiel und 1:3-Rückstand zur Halbzeit) gegen Dynamo Dresden, das sogenannte "Wunder von der Grotenburg", im Europapokal der Pokalsieger 1986 – vom Fußballmagazin "11 Freunde" zum "größten Spiel aller Zeiten" gewählt.

Uerdingen steht für Spieler wie Wolfgang und Friedhelm Funkel, Stefan Kuntz, Brian Laudrup oder Matthias Herget, für Oliver Bierhoff, Wolfgang Rolff oder Marcel Witeczek. Für Trainer wie Karl-Heinz Feldkamp, Rolf Schafstall oder Horst Köppel. Und für das wohl berühmteste Maskottchen des deutschen Fußballs, über das ebenfalls "11 Freunde" einst schrieb: "Kein Mas­kott­chen sorgte so oft für Kra­wall wie der legen­däre Gro­ti­fant aus Uer­dingen."

Aber die Namen und Anekdoten deuten es bereits an: Uerdingen steht in seiner tristen Herrlichkeit (oder herrlichen Tristesse) wie kaum ein Verein für die alte Fußball-Bundesrepublik, eine Ära, in der die 1. Liga ohne Spiele in Bochum oder auf dem Betzenberg nicht denkbar war. Und ohne Spiele in der hässlichen und oft nicht mal bis zur Hälfte gefüllten Grotenburg-Kampfbahn zu Uerdingen eben auch nicht.

Angesichts des turbokapitalistischen Gebarens des Profigeschäfts denken nicht nur die unverbesserlichen Nostalgiker dieser Tage umso verträumter an diese Vergangenheit zurück, an Oberlippenbärte und Nackenspoiler, an neonfarbene Trainingsanzüge und rauchende Übungsleiter.

Weniger kompliziert, vielleicht auch weniger verachtenswert, kommt ihnen diese Zeit dann vor und Uerdingen erscheint in dieser Retrospektive schnell als Sinnbild. Dass der Verein schon vor über zwei Jahrzehnten in die Drittklassigkeit stürzte und es danach nur weiter bergab ging, dass die letzten Jahre geprägt waren von Querelen um den inzwischen abgetretenen Investor Michail Ponomarew – dass Uerdingen also längst viel besser als Prototyp für einen schlecht geführten Traditionsverein funktioniert, spielt in der nostalgischen Verklärung zunächst nur eine untergeordnete Rolle – hier geht es um ein Gefühl, nicht um Fakten.

Folklore schießt keine Tore

Und weil der gemeine Fußballfan nur höchst selten jener oben erwähnte Zyniker ist, sondern hoffnungsloser Romantiker, macht ihn das Uerdinger Schicksal betroffen – auch, weil er von Hamburg über Bremen bis Gelsenkirchen inzwischen mit der ständigen Angst leben muss, dass ihm eines gar nicht allzu fernen Tages ein vergleichbares Verderben blühen könnte. Denn eine große und sture Fanbasis und jede Menge Patina auf dem Wappen reichen heute längst nicht mehr aus, um dauerhaft oben mitzuspielen oder gar größere Inkompetenzen der Vereinsführung wettzumachen. Das kann man irgendwie schade finden, aber es wird sich nicht mehr ändern: Folklore schießt keine Tore.

Wie es nun weitergeht, darüber werde der DFB-Spielausschuss  "im Laufe der nächsten Wochen" beraten, teilt der Deutsche Fußball-Bund mit. In einer Erklärung heißt es: "Eine offizielle Entscheidung im Zulassungsverfahren kann der DFB als zuständiger Ligaträger zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht bekannt geben."

Wie auch immer diese Entscheidung ausfällt: Der Profifußball in Uerdingen wird nicht mehr zu retten sein. Für ihn besteht "keine Fortführungsprognose", wie der Verein selbst es formuliert. Kurz gesagt: Er ist am Ende. Genau wie die Zeit, für die er steht.

tim

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