Vielleicht nahm alles schon vor vier Monaten in München seinen Anfang. Deutschland hatte seinerzeit 0:1 gegen Argentinien verloren, und nach dem Testspiel gesellte sich ein vermeintlicher Nobody zum Weltstar. Thomas Müller, 20 Jahre alt und zuvor in seinem ersten Länderspiel nach 66 Minuten ausgewechselt, nahm neben Diego Maradona Platz. Der Trainer der Argentinier schaute kurz und verließ dann das Podium, er dachte offenbar, dort habe ein Praktikant aus der Arena-Bewirtung die große Bühne gesucht. Müller jedenfalls war Maradona nicht bekannt.
Der 49 Jahre alte Teamchef der Südamerikaner hätte sich das Gesicht des Kontrahenten besser einprägen sollen, er hätte die Seinen gestern dann einstellen können auf den größten Shootingstar der globalen Titelkämpfe in Südafrika und vielleicht hätte er den Lauf der Dinge beeinflussen können. So aber traf Müller zum 1:0, bereitete das 3:0 im Sitzen mit einem feinen Pass auf Lukas Podolski vor und war neben Bastian Schweinsteiger bester Mann auf dem Feld.
Doch weil Triumph und Drama im Fußball allzu oft dicht beieinander liegen, hat diese einmalige Geschichte gestern in Kapstadt auch eine schmerzhafte Personalie namens Müller zutage gefördert. Im Halbfinale am Mittwoch in Durban ist der Münchner gesperrt.
Die gelbe Karte war eine harte Entscheidung
Das Dilemma hatte sich schon in der 36. Minute des Spiels ereignet. Argentiniens seltsam uninspirierter Superstar Lionel Messi hatte den Ball wegspringen lassen, Müller verpatzte die Annahme und bekam den Ball an Brust und Arm. Freistoß ja, aber Gelb war eine überaus harte Entscheidung von Schiedsrichter Ravshan Irmatow (Usbekistan) für die keinesfalls mutwillige Handlung des Matchwinners. Doch während Bundestrainer Joachim Löw nach der Weltklasseleistung des Münchners leicht betrübt war ("Es ist schade, dass er uns nun im Halbfinale fehlt"), war der Protagonist offenbar immer noch berauscht vom Auftritt der gesamten Mannschaft. "Wenn ich Torschützenkönig werden will, muss ich auf meine Kollegen hoffen, dass sie im Halbfinale alles richtig machen, dann kann ich im Finale vielleicht noch mal treffen", sagte Müller. Und lächelte.
Es war dieses unbeschwerte Grinsen eines Jungstars, der offenbar völlig mit sich im Reinen ist. Andere würden vielleicht durchdrehen angesichts der auf sie immer wieder aufs Neue einprasselnden emotionalen Höhepunkte. Aber Müller, der bereits seit einem halben Jahr mit Jugendfreundin Lisa verheiratet ist, bleibt immer derart cool, dass der geneigte Betrachter meinen könnte, dieser Typ habe locker und leicht schon 100 Länderspiele absolviert.
"Das ist natürlich Wahnsinn"
"Die Viertelfinalpartie war erst sein siebtes Spiel für Deutschland, und es war nach der Gala im Achtelfinale gegen England mindestens genauso gut. "Das ist natürlich Wahnsinn, was hier abgelaufen ist", fasste Müller hinterher treffend zusammen. "Wenn man Argentinien hier 4:0 vom Platz fegt, muss man selbst erst mal nach Worten suchen. Das war eindeutig wieder eine Mannschaftsleistung. Wir spielen alle voll am Limit, jeder haut sich für die Sache rein und was jeder persönlich abruft, ist Wahnsinn."
Möglicherweise liegt darin auch der Mutmacher für das Halbfinale am Mittwoch verborgen: Nun kommt eben der nächste rein, vermutlich wird Löw auf den Hamburger Piotr Trochowski setzen, der den Kollegen im bisherigen Turnierverlauf schon dreimal ablöste. Die Zeit für einen neuen Helden scheint jedenfalls günstig.
Mit freundlicher Genehmigung von WELT ONLINE