
Der TV-Moderator, Übersetzer und Schriftsteller Arthúr Bollason ist ein prominenter Vermittler isländischer Kultur in Deutschland. Zuletzt erschien von ihm "Das Island-Lesebuch" im Mana-Verlag.
Hat jemals ein so kleines Land wie Island an einer WM teilgenommen?
Arthúr Bollason: Island ist die erste Nation mit weniger als einer Million Einwohnern, die sich für eine WM qualifiziert hat. Dabei haben wir nur 350.000 Einwohner. Es ist also ein historischer Augenblick in der Fußball-Geschichte, wenn Island bei der WM auftritt.
Sind im Kader nicht vor allem Spieler, die außerhalb Islands unter Vertrag stehen?
Unsere Spieler sind keine Amateure, sondern alle professionelle Fußballer in anderen Ländern. Aber man muss berücksichtigen, dass sie eine sehr starke Mannschaft bilden. Die Jungs kennen sich seit vielen Jahren und sind alte Freunde. Neun von ihnen spielten bereits in der U21-Auswahl und halten seitdem zusammen.
Gibt es in Island überhaupt eine Art Bundesliga?
Es gibt eine erste Liga. Aber das sind alles Amateure. Es gibt praktisch keinen Isländer, der vom Fußballspielen in Island lebt. Unsere Profis spielen alle bei anderen europäischen Vereinen.
Was schweißt dann die Nationalmannschaft besonders zusammen?
Wir Isländer haben ein ausgeprägtes Nationalgefühl. Sie verstehen sich als Botschafter des Volkes, wenn sie in Russland auftreten. Wie kein anderes Team wird unsere Mannschaft von zu Hause aus unterstützt. Das gibt ihnen enormen Auftrieb. Verglichen mit anderen Mannschaften ist die Stimmung in der isländischen einfach bombastisch.
Wenn die isländische Mannschaft spielt, kommt dann in Reykjavik das öffentliche Leben zum Erliegen?
Das erste Spiel der isländischen Mannschaft findet am Samstag statt, das ist ideal. Es wird Public Viewing in Reykjavik auf einem Platz neben dem Canopy Hotel geben, wo Tausende von Zuschauern erwartet werden…
… das hört sich nach einem heißen Wochenende an?
Bei einem Nicht-Verlieren des Spieles wird ein großes Volksfest im Lande ausbrechen. Denn die Erfahrung zeigt, dass Isländer solche Feste spontan ins Leben rufen, wenn unsere Nationalelf gegen eine große Fußballnation unentschieden spielt oder gewinnt. Es könnte alles passieren.

Island trifft am Samstag in Moskau auf die Argentinier…
… Argentinien ist ein sehr harter Brocken, aber dadurch, dass ich mit unserem Torwart Hannes Þór Halldórsson um einige Ecken verwandt bin, vertraue ich ihm blind. Und ich habe die berechtigte Hoffnung, dass er die Traumschüsse von Messi abwehren wird.
Mit welchem Ergebnis rechnen Sie beim ersten Spiel?
Mit isländischem Optimismus tippe ich auf ein Unentschieden.
Und wie tippt die gefühlte Mehrheit der Isländer?
Die Isländer haben einen sehr starken Zusammenhalt und setzen auf einen Sieg gegen Argentinien. Meine Landsleute glauben an das Wunder von Moskau.
Bei der EM 2016 war Island das Überraschungsteam. Die Fans unterstützten ihre Mannschaft mit Hu! Hu! Hu!-Rufen. Wie kam es zu dem Schlachtruf?
Wir können nicht leugnen, dass wir die Hu!-Rufe von einer schottischen Mannschaft übernommen haben. Nur haben wir sie auf Wikingerart verwandelt und berühmt gemacht. Eine Schotte war es auch, der den Fußball im wörtlichen Sinne vor gut 100 Jahren nach Island brachte. Er arbeitete in einer Druckerei und hatte einen ledernen Fußball in seinem Gepäck. Mit seinen Kollegen begann er zu kicken.
Der erste internationale Fußball-Profi war Albert Guðmundsson…
… der spielte in den späten 40er und 50er Jahren für den FC Arsenal, den AC Mailand und französische Erstliga-Vereine. Später wurde er Großhändler und Politiker in Island, trat in die konservative Unabhängigkeitspartei ein und war erst Finanz- und später Industrieminister.
Letzte Frage: Werden die Isländer 2018 Weltmeister?
Ich drücke meinen Leuten die Daumen und hoffe, dass sie weiterkommen. Es würde mir schon genügen, wenn die Isländer die Weltmeister der Herzen werden.
Interview: Till Bartels
