Am liebsten hätte sich Armin Veh an diesem schwülwarmen Abend wohl alle Knöpfe seines blütenweißen Hemdes aufgerissen. Bis Mitternacht herrschten Saunatemperaturen in der Volkswagen-Arena, mit der der 48-Jährige Fußballlehrer doch so ungute Erfahrungen verbindet. "Die schmucklosen Holzbänke in der Gästekabine habe ich nicht in bester Erinnerung", gestand er kürzlich, der bekanntlich nach einem 1:4 eben in Wolfsburg von seinen Amtspflichten beim VfB Stuttgart entbunden wurde.
Und nun diese triumphale Rückkehr: Der Meistertrainer von 2007 lieferte mit dem aktuellen Titelträger gleich ein Meisterstück ab. Das 2:0 (0:0) gegen seinen Ex-Verein verdiente nicht nur das Prädikat sehr sehenswert, sondern schürte sichtbar die Emotionen des in Augsburg geborenen Übungsleiters. "Ich bin zwar schon fast 20 Jahre Trainer, doch es verhält sich wie bei einem Künstler, der 1000-mal auf der Bühne stand: Man ist immer nervös. Nur man darf es ja nicht mehr zeigen."
Freunde für immer
Erst weit nach Schlusspfiff fielen die Gefühlsbeschränkungen des gelassener und gereift wirkenden Meistertrainers, der aus seiner alten Verbundenheit zum VfB Stuttgart keinen Hehl machte. Erst entschuldigte er sich scherzend bei seinem früheren Ex-Spieler und heutigem Trainerkollegen Markus Babbel ("Ich war nicht loyal zu Dir, weil ich Dich damals als Spieler aussortiert habe"), dann umarmte er innig VfB-Manager Horst Heldt ("Er wird immer ein Freund bleiben"), am Ende war sogar ein Zeit für ein Schwätzchen auf schwäbisch mit Sportdirektor Jochen Schneider.
So offen Veh mit seiner Vergangenheit umging nach einem attraktiven, weil tempo- und spannungsgeladenen Eröffnungsspiel, so verschlossen zeigte er sich bei der Frage nach den Ambitionen seiner von Felix Magath in Personal und System unverändert gelassenen Meistermannschaft. "Zehn Vereine wollen in den internationalen Wettbewerb. Darunter befindet sich der VfB und wir." Nicht einmal Vorgänger Magath hätte doch die Titelverteidigung als Ziel ausgegeben.
Magisches Dreieck
Das mag ja sein, doch Fakt ist, dass Veh im Hauen und Stechen um die Spitzenplätze der Liga mit seinem neuen Arbeitgeber ein paar Vorteile auf seiner Seite hat. Etwa leitete er eine körperliche und mental überaus starke und dazu eingespielte Elf an, in der drei Einzelkönner jederzeit für die magischen meisterlichen Momente gut sind. Eben das magische Wölfe-Dreieck mit Spielmacher Zvjezdan Misimovic, Edin Dzeko, Grafite, das in den letzten acht Bundesliga-Spielen nunmehr alle Wolfsburger Tore erzielte. Und auch diesmal wie selbstverständlich die packende Partie entschied. Wie der Bosnier Misimovic, 27, mit einem gefühlvollen Schlenzer das 1:0 vollbrachte, war mehr formidabel (71.). Wie der Brasilianer Grafite dann den Nationalspieler Serdar Tasci überlief und zum 2:0 vollstreckte, war fantastisch (82.).
"Eine überragende individuelle Klasse", bescheinigte auch Babbel diesem Triumvirat. Der Bosnier Dzeko hätte ansonsten auch getroffen, wäre nicht Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann so gut aufgelegt gewesen. So hielt sich die Stuttgarter Trauer über den ersten Rückschlag in Grenzen. "Bei solchen Klassetoren kann ich keine Schuldzuweisungen aussprechen", konstatierte Babbel, während Heldt unaufgeregt resümierte: "Wir hätten gerne was mitgenommen, aber wir haben zweite Halbzeit für zu wenig Entlastung gesorgt." Was wiederum damit zu tun hat, dass die von Heldt erst kurz vor Ligastart gelockten Millionen-Männer noch mit ein paar Anpassungsschwierigkeiten zu kämpfen hatten.
Euphorie in Wolfsburg
Der russische Stürmerstar Pawel Pogrebnjak war zwar stets bemüht und wirkte bisweilen auch torgefährlich, doch ohne die rechte Bindung zu seinen Mitspielern. "Das kommt jetzt mit der Zeit. Er hat mir gut gefallen", sagte Heldt. Auch Rückkehrer Aliaksandr Hleb deutete sein riesiges spielerisches Potenzial an, doch mangelt es beim Weißrussen noch an elementaren körperlichen Voraussetzungen. "Es war klar, dass er abbauen würde. Ihm fehlt die Kraft", sagte Babbel. Und so hatte sein Team eben nicht die Klasse, die speziell Matchwinner Misimovic beim ersten Bundesligator der neuen Spielzeit verkörperte.
"Wir haben halt sehr gute Fußballer in unseren Reihen. Und man hat schon gesehen, dass wir jetzt ein bisschen anders Fußball spielen." Weniger mit langen Bällen, mehr mit Kurzpasskombinationen. Er persönlich hoffe noch, dass sein linker Prachtschuss nun keine Eintagsfliege bleibe. Allein zur möglichen Titelverteidigung mochte der gebürtige Münchner wenig bis gar nichts sagen: "Die Bayern bleiben haushoher Favorit." Weiter ging da im Überschwang nur Geschäftsführer Jürgen Marbach: "Das war eine tolle weltweite Werbung für den VfL Wolfsburg. Ich bin sehr happy. Ich bin zwar kein Mathegenie, aber wenn man unter die ersten Fünf kommen will, gehören die Platze eins und zwei doch auch dazu, oder?"