Die Spiele fangen ja gleich gut an. Wie bewerten Sie denn diese ganze Internet-Thematik und die Zensur der Gastgeber?
Ich war überrascht und Präsident Rogge war es auch, aber Nachkarten bringt nichts. Es hat Fortschritte gegeben, und wir hoffen, dass es weitere Fortschritte gibt. Beide Parteien arbeiten lösungsorientiert und wollen gute Spiele organisieren. Im übrigen gibt es vor den Spielen immer Last-Minute-Probleme, aber die Internet-Situation war ein ernsthaftes Problem.
Zur Person
Thomas Bach wurde am 29. Dezember 1953 in Würzburg geboren. Als Sportler feierte er in den Siebzigerjahren zahlreiche Erfolge als Florettfechter. Mit der Mannschaft wurde er 1976 in Montreal Olympiasieger und 1977 in Buenos Aires. Nach seiner aktiven Laufbahn machte der studierte Jurist Karriere als Sportfunktioniär. Von September 2000 bis August 2004 und seit Februar 2006 ist Bach ehrenamtlicher Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Außerdem wurde er im Mai 2006 ebenfalls ehrenamtlichen zum Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes gewählt.
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt erlaubt das IOC dafür den Athleten, in Peking erstmals ein auf der Webseite geführtes, einsehbares Tagebuch oder Journal zu veröffentlichen…
Das war eine Entscheidung im Interesse der Athleten. Wir haben uns an das veränderte Kommunikationsumfeld angepasst. Das ist ein zusätzliches Forum, in dem die Athleten ihre Meinung äußern können. Bisher habe ich dazu nur Positives von den Athleten gehört.
Wie viel Sommermärchen steckt denn in den Peking-Spielen?
Das Wort Sommermärchen ist überstrapaziert und konturlos. Ich erwarte hervorragende Spiele und hoffe auf einen fairen Wettkampf. Gerade nach den ganzen politischen Diskussionen im Vorfeld der Spiele ist es ein Wert an sich, dass sich alle 205 Länder der Welt an einem Ort versammeln und ein friedliches Fest feiern.
Wie friedlich dieses Fest werden wird ist noch eine Frage. Die Sicherheitsparanoia der Gastgeber könnte sich negativ auf die Stimmung auswirken…
Jeder Olympia-Gastgeber muss die Balance zwischen größtmöglicher Sicherheit und der Wahrung der olympischen Atmosphäre finden. Das ist eine schwierige Gratwanderung. Das fängt bei der Kleidung des Sicherheitspersonals an und hört bei der Interpretation des Sicherheitsanspruchs auf. Keine einfache Sache, aber ich bin überzeugt, dass es den Chinesen gelingen wird, das richtige Gleichgewicht zu finden.
Trotzdem drohen die chinesischen Spiele eine gigantische Propaganda- Show zu werden. Wie viele atmosphärische Störungen befürchten Sie?
Zum einen sind es keine chinesischen Spiele, es sind Olympische Spiele in China. Zum anderen sind die Regeln klar. Auch der chinesische Staatschef darf zum Beispiel bei der Eröffnungsfeier nur den vom IOC vorgegebenen Satz vortragen. Ansonsten ist es legitim, dass ein Land bei Olympia seine reiche Tradition und Kultur darstellen will.
Nochmal: Mit wie viel Sorge betrachten Sie diese Dualität zwischen befürchteten Militärspielen und Sportspektakel unter den olympischen Ringen?
Diese Dualität wird sich auflösen. Man muss stark darauf achten, dass die Rolle der Spiele, die sie in politischer und sozialer Hinsicht übernehmen können, mit ihren Möglichkeiten und Grenzen richtig dargestellt wird. Wenn das olympische Feuer brennt, übernimmt der Sport, und die Faszination Olympische Spiele gewinnt.
Wie werden diese Spiele China und wie werden sie das IOC verändern?
China hat das IOC bisher nicht verändert. Man sollte die Spiele nicht überfrachten. Olympia trägt zu einer Öffnung Chinas bei und wird eine nachhaltige Wirkung auf die Gesellschaft dort haben. Dafür garantieren allein schon die 25.000 anwesenden Journalisten aus aller Welt. Und beim IOC müssen wir die Grenzen der politischen und sozialen Möglichkeiten der Olympischen Spiele noch klarer herausarbeiten und kommunizieren.
IOC-Präsident Rogge gab zu, das IOC müsse seine Position in der Menschenrechtsfrage überprüfen....
Die Öffnung Chinas dient auch der Menschenrechtssituation. Lassen sie es mich so sagen: Wenn die Spiele nicht in China stattfänden, würden wir so intensiv über die Menschenrechtsfrage gar nicht diskutieren.
Inwieweit sehen Sie dann den Sport als politischen Entwicklungshelfer?
Der Sport kann Entwicklungen sozialer und politischer Art bestenfalls unterstützen, er kann sie nicht bewerkstelligen. Man muss das realistisch betrachten. Wir können Zeichen setzen, aber politische Entwicklungen können nur aus einem Land selbst kommen und nicht von außen herangetragen werden.
Also ist das IOC doch nicht so unpolitisch, wie es sich immer so gern darstellt?
Das IOC kann nicht unpolitisch sein, aber die olympische Bewegung muss weiter versuchen, politische Neutralität zu wahren. Sonst kann sie leicht ins Fahrwasser jeder politischen Krise geraten.
Immerhin hat der DOSB dem IOC durch sein vorzeitiges Bekenntnis zu Olympia, der Kritik an der Menschenrechtslage in China und das Fordern von unbegrenzter Meinungsfreiheit überall den Weg gewiesen. Wie viel Genugtuung bringt Ihnen diese Vorreiterrolle?
Mir geht es zunächst um die Athleten. Der Sport muss Brücken bauen und darf keine Mauern errichten.
Und was muss der deutsche Sport in Peking leisten?
Wir haben in der deutschen Olympia-Mannschaft drei Ziele. Wir wollen erfolgreich sein und den Abwärtstrend bei Sommerspielen seit Barcelona 1992 stoppen. Wir wollen zeigen, dass Leistung und Moral vereinbar sind und nur saubere Erfolge, und wir wollen gute Botschafter Deutschlands sein.
Und warum halten sich die deutschen Leistungsplaner mit Medaillenprognosen zurück?
Medaillenprognosen erinnern mich an Kaffeesatzleserei. Das funktioniert nur in manchen Sportarten. Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass der Abwärtstrend gestoppt wird. Im Übrigen geht es bei Olympischen Spielen nicht nur um das Zählen von Medaillen.
Durch die Last-Minute-Qualifikation der deutschen Basketballer hat sich die Zahl der deutschen Mannschaften in Peking auf acht erhöht, so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Einmalige Ausnahme oder nachhaltige Renaissance?
Das ist ein Riesenerfolg, und er zeigt die Breite, die wir haben. Es ist für die Atmosphäre in der gesamten Olympia-Mannschaft sehr gut. Man trifft sich bei den Spielen und feuert die Kollegen zusammen an.
Sie selbst sind in Peking als multifunktionaler Sportpolitiker unterwegs. DOSB-Präsident, IOC-Vizepräsident, Vorsitzender der IOC- Disziplinar-Kommission und Vorsitzender der juristischen Kommission im IOC. Wie fühlen Sie sich als olympischer Oberstaatsanwalt?
Ich schlafe sehr gut. Man muss es nehmen, wie es kommt. Der DOSB wird abgedeckt durch den Chef de Mission und die Mannschaftsleitung, in der juristischen Kommission ist kaum mit Arbeit zu rechnen, und in der Disziplinar-Kommission muss man sehen. Die Tätigkeit als Vorsitzender der IOC-Disziplinar-Kommission ist ein wichtiger Teil unseres entschlossenen Kampfes gegen Doping, der mir besonders am Herzen liegt.
Juan Antonio Samaranch könnte Sie sich spätestens 2013 als IOC- Präsident vorstellen, auch Jacques Rogge spricht Ihnen alle Qualitäten zu, sein Nachfolger zu werden. Wie bereit sind Sie, die Weltregierung des Sports anzuführen?
Das ist eine Gespensterdiskussion. Jacques Rogge und ich sind viele Wege gemeinsam gegangen, und er kann sich auch in seiner zweiten Amtszeit meiner absoluten Loyalität gewiss sein. Davon abgesehen ist es sehr ehrenvoll für den deutschen Sport und für mich, wenn unsere Arbeit so positiv bewertet wird.