Ertls Olympia-Tagebuch Muss man mit 144 km/h rodeln?

stern.de-Kolumnistin Martina Ertl ist entsetzt über den Unfalltod des georgischen Rodlers. Sie fordert die Funktionäre zum Umdenken auf.

Der Unfall-Tod des Georgiers Nodar Kumaritaschwili beim Rodeltraining liegt nun als Schatten über diesen Spielen. Der als schnellste Rodelbahn der Welt gepriesene Eiskanal hat seine Opfer. Neben dem Rodler aus Georgien, der bei 144 Stundenkilometer in einer Kurve die Kontrolle über sein Sportgerät verlor und gegen die Bahnbegrenzung geschleudert wurde, musste bereits eine rumänische Rodlerin nach einem Sturz in die Klinik eingeliefert werden. Insgesamt gab es rund ein Dutzend Stürze auf der Bahn; sogar der Spitzenkönner und Goldfavorit Armin Zöggeler kam auf der gerade wegen ihrer Geschwindigkeitspotentiale anspruchsvollen Bahn zu Fall.

Martina Ertl

Die ehemalige deutsche Weltklasse-Skirennläuferin Martina Ertl schreibt in ihrer täglichen Kolumne "Après Ski" auf stern.de direkt aus Vancouver von den Olympischen Winterspielen. Um die Jahrtausendwende gehörte Martina Ertl mehr als zehn Jahre zu den weltweit besten Athletinnen im alpinen Rennzirkus. Sie gewann drei olympische Medaillen und wurde zweimal Weltmeisterin. In den Jahren 1996 und 1998 konnte sie jeweils die Riesenslalom-Disziplinenwertung des Skiweltcups für sich entscheiden. Insgesamt gewann sie 14 Weltcuprennen in drei verschiedenen Disziplinen. In allen fünf alpinen Disziplinen erzielte sie mindestens einen Podestplatz.

Muss man mit 144 Stundenkilometern rodeln ?

Ich glaube, dass man diesen Tod neben der tiefen Trauer um einen Menschen als Mahnung und Anfang eines neuen Dialogs zwischen Funktionären und Sportlern begreifen sollte. Es ist wohl offensichtlich an der Zeit, innezuhalten und nachzudenken. Diese Forderung ist übrigens nicht neu und keineswegs an dem jetzigen, tragischen Ereignis entzündet. Auch in diesem Weltcup-Winter gab es immer wieder Wettkampfumstände, die Athleten veranlasst haben, Kritik zu üben - Kritik an Wettkampfstarts und Wettkampfdurchführungen bei schlechten Wetterbedingungen, an mangelnden Präparationen von Wettkampfstätten, schlechten Pistenverhältnissen und ähnlich schlechten Rahmenbedingungen, die letztlich erhebliches Potential für Verletzungen des Sportlers beinhalten.

Das furchtbare Ereignis in Vancouver potenziert die Erkenntnis: Es muss ein Schlussstrich gezogen werden unter die sich immer schneller drehende Spirale von möglichst spektakulären Wettkämpfen, dem einen oder anderen Diktat der Hüter von TV-Sendeplätzen muss man nun beherzt entgegenstehen. Wenn der Wind an einer Skisprungschanze zu sehr bläst, muss man seinem gesunden Menschenverstand folgen, nicht den Gedanken an die Einschaltquote.

Guten Sport, spannenden Sport, herausragende Leistungen, all das wird haben, auch wenn man die Grenzen mehr akzeptiert. Ich wünsche mir für diese Spiele und für die Zukunft, dass man mit den Dingen achtsamer umgeht.

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