Schlendert man durch die Straßen von Vancouver und Whistler, so fällt einem immer wieder das Emblem dieser Spiele in die Augen, das zwangsläufig seinen Weg auf T-Shirts, Basecaps, Flaschenöffnern und Frühstücksdecken gefunden hat. Dieses Emblem zog schon sehr früh meine Aufmerksamkeit an, da es einen sofort an die Steine von Stonehenge erinnert. Die Assoziation war nicht trügerisch, da das Emblem tatsächlich auch eine Steinskulptur zeigt, nämlich eine Steinformation der Ureinwohner, der Inuits. Steinskulpturen gingen damals auch in die Schriftsprache ein und so steht dieses Symbol zugleich für das Wort "Ilanaaq", das mit Freund übersetzt wird.
Gelungener Brückenschlag zu den Ureinwohnern
Der Brückenschlag zu den Ureinwohnern gelang auch bei den olympischen Medaillen. Die kanadische Künstlerin Corinne Hunt erstellte die Designs für die rund 600 zu vergebenen Medaillen. Im Stile der Inuit-Kunst ist darauf ein Orca-Wal dargestellt, die Medaille selbst ist nicht glatt und eben, sondern wellig und symbolisiert so in wundervoller Art und Weise das Lebenselement des Tieres.
Das Maskottchen der Spiele rundet den Versuch ab, die Spiele mit den historischen Wurzeln des Gastgeberlandes zu verbinden: Quatchi - ein mit einem Ledergewand bekleidetes Wesen aus den Wäldern, halb Mensch, halb Affe entspringt den Fabeln der Alten.
Martina Ertl
Die ehemalige deutsche Weltklasse-Skirennläuferin Martina Ertl schreibt in ihrer täglichen Kolumne "Après Ski" auf stern.de direkt aus Vancouver von den Olympischen Winterspielen. Um die Jahrtausendwende gehörte Martina Ertl mehr als zehn Jahre zu den weltweit besten Athletinnen im alpinen Rennzirkus. Sie gewann drei olympische Medaillen und wurde zweimal Weltmeisterin. In den Jahren 1996 und 1998 konnte sie jeweils die Riesenslalom-Disziplinenwertung des Skiweltcups für sich entscheiden. Insgesamt gewann sie 14 Weltcuprennen in drei verschiedenen Disziplinen. In allen fünf alpinen Disziplinen erzielte sie mindestens einen Podestplatz.
Ich unterstütze das Bemühen sehr, Verbindungen mit der früheren Zeit zu schaffen; es kann unter anderem uns Menschen der Gegenwart durchaus helfen, Dinge auf den Prüfstand zu stellen, Entwicklungen zu überdenken, wieder auf die Wurzeln zu kommen.
Die Befürchtung ist jedoch berechtigt, dass diese Dinge vielleicht doch nur ein wenig Kosmetik sind und umsatzorientiertem Marketingdenken entsprungen sind, als dass sie ernsthaft zu Ende gedacht werden sollen. Darin aber läge nicht nur ein Reiz, sondern vor allem der Sinn.
Die kleinen Steinskulpturen auf den olympischen Plastiktellern ? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Ein kleines Stück Übermut
Ich glaube, dass der Blick zu den Vorfahren und in die vergangene Zeit vor allem dazu dienen sollte, moderne und eben auch olympische Entwicklungen in ihrer Fehlerhaftigkeit zu erkennen und dann auch zu korrigieren. Auch die olympischen Wurzeln selbst führen auf diesen Weg. Gerade von den Göttern Griechenlands wurde Übermut hart bestraft.
Ist der Eiskanal von Vancouver nicht ein kleines Stück Übermut, auf das die Strafe bitter folgte? Sollte der olympische Geist im Sinne des Ilanaaq-Symbols nicht mehr auf der freundschaftlichen Begegnung als auf "schneller-höher-weiter" liegen ?
Sollten wir nicht endlich mal über den Rand des Plastik-Tellers schauen, anstatt in bloßen Gesten stecken zu bleiben?
Viele Grüße
Martina Ertl