Urplötzlich ist "Gold-Lena" nur noch Olympia-Touristin. "Für mich sind die Olympischen Spiele beendet. Ich werde die Staffel nicht laufen. Ich bin vom Kopf her ganz schön müde". Magdalena Neuner spricht diese Worte nur wenige Stunden nach ihrem größten Triumph, der zweiten Goldmedaille. Von nun an will sie sich aufs Daumen-Drücken für die anderen Mädels in der Staffel beschränken. Martina Beck, Andrea Henkel, Bronze-Medaillengewinnerin Simone Hauswald und Kati Wilhelm sollen und müssen es nun richten. "Ich gönne ihnen die Medaille von Herzen", gibt Neuner ihren Kolleginnen noch mit auf den Weg.
Trainer Uwe Müssiggang zeigt großes Verständnis für die Entscheidung seines besten Schützlings. "Das ist weder eine Ego-Nummer noch eine große Geste, sondern sehr fair", verteidigt er die bisher herausragende deutsche Athletin in Vancouver. Schließlich habe Neuner bei den Winterspielen mit zweimal Gold und einmal Silber alles erreicht. Von Neuners Seite aus sei es der richtige Entschluss. "Sie ist sehr, sehr reif geworden." Neuner hingegen ahnt bereits, dass der begeisterte Fan ihre Entscheidung mit Verwunderung aufnehmen könnte. "Für mich haben sich mehr als alle Träume erfüllt. Für mich ist es die richtige Entscheidung. Es muss ja keiner verstehen". Es klingt wie eine Rechtfertigung.
"Hut ab vor ihrer Entscheidung"
Der Sinneswandel kommt überraschend. Hatte sich Neuner nach ihrem zweiten Olympiagold noch "ganz einfach auf die Staffel gefreut", ist das wenig später ganz anders. "Ich habe den Mädels gesagt, dass ich auf meinen Startplatz verzichten werde, weil ich meine Medaillen schon gewonnen habe", erklärt sie knapp sieben Stunden später. "Es gibt noch drei bei uns in der Mannschaft, die keine Medaille haben. Am schönsten ist es für das ganze Team, wenn jede eine Medaille mit heim nimmt." Die Reaktion der Kolleginnen, erzählt Neuner und lächelt sogar dabei, sei eher so gewesen, dass "sie gesagt haben: Stark von dir."
"Das hat es noch nie gegeben, dass eine zweimalige Olympiasiegerin auf einen Start in der Staffel verzichtet. Hut ab vor ihrer Entscheidung", meint Edelmetall-Kollegin Hauswald. Die Sprint-Vize-Weltmeisterin hatte bei Neuners zweitem Triumph Bronze gewonnen. "Ich kann es verstehen, die Lena hatte in den letzten Tagen einigen Rummel zu überstehen."
Aus anderen Sportarten gibt es dagegen auch Unverständnis für Neuners Entscheidung. "Wenn man die Möglichkeit hat, noch mehr Siege zu holen, dann sollte man die meiner Ansicht nach wahrnehmen. Ich weiß nicht, ob sie sich da im Nachhinein nicht ärgert", stellt der viermalige Bob-Olympiasieger Kevin Kuske fest. "Das muss man jederzeit akzeptieren", meint dagegen Langlauf-Chef Jochen Behle, der Neuner vor den Winterspielen sogar angeboten hatten, in seiner Frauen-Staffel dabei zu sein.
Neuners Olympia-Kritik
Schon bei der Siegerehrung auf der "Medals Plaza" hatte Deutschlands Biathlon-Glamour-Girl nachdenklich auf dem Siegerpodest gestanden. "Irgendwie fällt es schwer, sich zu freuen", sagt sie später und lächelt gequält. Auch unmittelbar nach dem zweiten Sieg, den sie erst durch ein fehlerfreies letztes Schießen perfekt gemacht hatte, zeigt die 23-Jährige ihre Emotionen kaum. Stattdessen übt sie sich gar als scharfe Olympia- Kritikerin. "Ich finde es schade, dass in Deutschland immer nur Gold zählt", sagt sie. Und auch die kanadischen Olympia-Veranstalter bekommen ihr Fett weg: "Auf Deutsch gesagt, man wird hier eigentlich nur herumgezerrt, herumgereicht. Man wird schlimmer behandelt, als ein Schaf, das zum Schlachten geführt wird."
In der Loipe und am Schießstand hatte sie vorher hingegen aufgetrumpft. "Hey, hallo da vorne, ihr wollt doch auch, dass ihr umfallt", beschreibt sie ihre Vorgehensweise am Schießstand. Nachdem sie stehend die letzten fünf Scheiben abgeräumt hatte, ging es zusammen mit Hauswald und der späteren Silbermedaillen-Gewinnerin Olga Saizewa aus Russland auf die letzten der 12,5 Kilometer. "Ich habe nur innerlich gerufen, Lena nimm mich mit", sagte Hauswald nach dem Rennen. "Und ich habe immer gedacht, hey Simi bleib da", meinte Neuner.
Olympia-Genuss steht im Vordergrund
Nun freut sich Neuner vor allem auf Freizeit. Denn die will sie nutzen, um die zweite Olympia-Woche privat zu genießen. Sie wolle unbedingt noch bei den alpinen Skiwettbewerben vorbeischauen. "Außerdem soll Vancouver wunderschön sein. Und wenn man schon einmal in der Nähe ist, sollte man es sich auch anschauen." Einmal wird die Wallgauerin aber doch noch die große Olympia-Bühne betreten. "Bei der Abschlussfeier bin ich definitiv dabei. Darauf freue ich mich riesig." Wer weiß, vielleicht trägt sie dann sogar die deutsche Fahne.