Von Bescheidenheit keine Spur. Olympia-Medaillen in zehn Radsport-Disziplinen lautet das ehrgeizige Ziel des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) für London. "Wir sind in 15 von 18 Disziplinen vertreten - in zehn rechnen wir uns Medaillen aus", sagte Verbands-Sportdirektor Patrick Moster. Auf dem BDR-Wunschzettel stehen mindestens drei Goldmedaillen, die zunächst die Zeitfahrer Tony Martin und Judith Arndt (Leipzig) auf der Straße holen könnten. Beide sind in ihrer Spezialdisziplin amtierende Weltmeister.
Allerdings steht hinter Martin nach seinem Handbruch während der Tour de France ein großes Fragezeichen. Ganz nach oben sollen nach der BDR-Hochrechnung auch die Teamsprinter auf der Bahn und Roger Kluge im erstmals ausgetragenen Omnium-Wettbewerb klettern. Gelingt der Coup, würde der BDR seine Ausbeute von Peking (1-1-1) weit übertreffen.
Trotz der gravierenden Verletzung bleibt Gold der große Martin-Traum. Im 44 Kilometer langen Zeitfahren durch die Londoner City wird er es wahrscheinlich in erster Linie mit dem Olympiasieger von Peking, Fabian Cancellara (Schweiz), und dem dreifachen Bahn-Olympiasieger und Tour-Topfavoriten Bradley Wiggins (England) zu tun bekommen. Kommen die beiden Konkurrenten gesund aus der Tour, dürften sie deutliche Vorteile gegenüber dem Wahlschweizer haben.
Cancellara, der sich von einem vierfachen Schlüsselbeinbruch im Frühjahr erholen musste, stellt sogar die Tour hinter seine London-Ambitionen. Das tut auch Martin, der ähnlich wie der Schweizer im April einen schweren Trainingsunfall mit Gesichtsverletzungen erlitt. Die Zwangspause hätte aber auch in beiden Fällen ihr Gutes gehabt, meinte Martins Betreuer Rolf Aldag. "Beide werden in London erholter am Start stehen als viele andere." Allerdings wiegt das neue Handicap von Martin schwer.
Die Aussichten auf der Bahn sind oft auch ein Vabanque-Spiel. Bei der letzten WM in Melbourne wurde das Teamsprint-Team mit René Enders (Erfurt), Maximilian Levy (Cottbus) und Stefan Nimke (Schwerin) disqualifiziert, der Straßenprofi Roger Kluge (Cottbus) hatte zwar in Astana den Weltcup im Omnium geholt, war in Melbourne aber nicht am Start. Dafür überraschten dort Miriam Welte/Kristina Vogel (Otterbach/Erfurt) mit WM-Gold im Teamsprint.
Fraglich ist, ob die Mountainbike-Olympiasiegerin von Peking noch einmal den Sprung aufs Treppchen schafft. Die 40-jährige Sabine Spitz hatte in den vergangenen Jahren mehrere gesundheitliche Rückschläge zu verkraften, ist aber voller Hoffnung. Zu Hause in Murg-Niederhof hat sie sich sogar markante Passagen der Olympia-Rennstrecke nachbauen lassen. Überraschungs-Europameister Moritz Milaz (Freiburg) hat Außenseiterchancen.