Boxen Dr. Klitschko kennt keine Gnade

von Kay Auster, Gelsenkirchen
Es war einer der größten Kämpfe, die die Boxwelt je gesehen hat - zumindest, was die Zahl der Fans am Ring betrifft: 60.000 Menschen "auf Schalke" verfolgten, wie Weltmeister Wladimir Klitschko seinen Herausforderer Ruslan Chagaev nach allen Regeln der Boxkunst sezierte.

Den, falls überhaupt noch nötigen, letzten Beweis seiner Klasse lieferte Wladimir Klitschko am Samstagabend vor 60.000 Zuschauern in der Veltins-Arena in Gelsenkirchen. Der Kampf war das größte Box-Spektakel seit 70 Jahren. 1939 hatten mal knapp 70.000 Zuschauer in Stuttgart den Sieg von Box-Legende Max Schmeling gegen Adolf Heuser live erlebt. Schon Klitschkos Einmarsch zum Ring hatte bereits etwas Beeindruckendes, geradezu Heroisches. Allein an dem entschlossenen Ausdruck in seinem Gesicht konnte man bereits den absoluten Willen des 33-Jährigen erkennen, diesen Kampf für sich zu entscheiden.

Den 15 Zentimeter kleineren Ruslan Chagaev konnte Klitschko im Ring von Beginn an bändigen. Viele Treffer brachte der "weiße Tyson" aus Usbekistan in den neun geboxten Runden bei seinem Kontrahenten nicht an. Dank eines erbarmungslosen Jabs mit der linken Führhand konnte Klitschko seinerseits den insgesamt zwar nicht gut eingestellten, aber mutigen Neu-Schalker (seit vergangenem Mittwoch offizielles Mitglied des FC Schalke 04) mit harten Treffern attackieren. Chagaev konnte hingegen seine Schnelligkeit zu keinem Zeitpunkt ausspielen und überhaupt keine Wirkungstreffer setzen. Stattdessen kassierte er selbst Schlag um Schlag. Tosender Jubel bei guten Treffern vom sieben Kilogramm schwereren Klitschko. Immer wieder Anfeuerungsrufe von den Rängen.

Die Menge "auf Schalke" war von Beginn an in Feierlaune. Während des Kampfes kam man sich vor wie bei einer Partie des ortsansässigen Bundesligavereins. Sogar die aus Zeiten der Fußball-Europameisterschaft bekannte Stadionhymne „Seven Nation Army“ der White Stripes hallte von den Zuschauerrängen durch das weite Rund.

Überhaupt war alles irgendwie eher Fußball und für Boxen dann wohl auch zu weit und zu hoch. Die Fans, die direkt unter dem Dach saßen, hatten gar keine andere Wahl, als das Kampfgeschehen über die großen Monitore zu verfolgen, denn sie waren mindestens 60 Meter weg vom Geschehen im Ring. Der Stimmung aber tat das keinen Abbruch. Auch die vereinzelten Promis am Ring hatten ihren Spaß. Ob Lothar Matthäus, Heino, Dolly Buster, Verona Poth, Uschi Glas oder Oliver Pocher, samt neuer Freundin Sandy Meyer-Wölden - sie alle fanden Gefallen am Großraum-Boxen.

Was hatte es nicht alles für Geschichten im Vorfeld dieses Kampfes gegeben: Der WBA-Weltmeistergürtel Ruslan Chagaevs stand am Kampfabend nicht zur Disposition. Der in Panama ansässige Verband hatte nur einige Stunden vor dem Fight eine Titelvereinigung abgelehnt. Ohnehin nur durch Absagen anderer Boxer zustande gekommen, war zudem von einer möglichen Ansteckungsgefahr für Klitschko durch Hepatitis B bei Chagaev die Rede. Michael Ehner, Chagaevs behandelnder Arzt, dementierte jedoch ein Infektionsrisiko: "Ruslan ist und war nicht krank", erklärte Lehner.

Bei der Therapie von Hepatitis B spritzt man einmal wöchentlich Interferon oder man schluckt täglich Nukleosid- bzw. Nukleotidanaloga wie etwa Entecavir oder Telbivudin. Klingt ziemlich kompliziert, doch Dr. Wladimir Klitschko, ukrainischer Wunderdoktor und Profiboxer, empfahl Chagaev am Kampfabend in Gelsenkirchen eine alternative Behandlungsmethode: neun Mal drei Minuten lang möglichst feste ins Gesicht schlagen. Dem Gegner in der zweiten Runde bereits einen Hieb mit Urgewalt durch die Deckung jagen und ihn auf den Ringboden schicken. Der Patient merkt zunächst nichts mehr und müsste eigentlich bereits da stationär behandelt werden.

Zu Beginn der zehnten Runde war dann auch Schluss für Chagaev - ein paar kassierte Schläge zu viel. Ein Cut über dem linken Auge. Er gab nach Rücksprache mit seinem Trainer Michael Timm auf - seine erste Niederlage im 26. Profi-Kampf. Am Ende zeigte sich Wladimir Klitschko schließlich als international anerkannte Koryphäe auf dem Gebiet der boxerischen Allgemeinmedizin und diagnostizierte: "Chagaev war gut, ich war besser."

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