Britta Steffen schwamm aus dem Schatten an das hellste Licht des Sports. Noch im Wasser formuliert sie das Wort "unglaublich", fassungslos geht die rechte Hand an den Kopf. Zaghaftes Winken dann bei der Siegerehrung, tiefes Durchatmen bei der Nationalhymne, schließlich das bestätigende leichte Nicken: Ja, es ist Wirklichkeit, ich bin Weltrekordlerin. In 53,30 Sekunden stellte die Berlinerin die Schwimmwelt auf den Kopf und machte einen Kindheitstraum wahr. "Ich habe mir immer ausgemalt, schnellste Schwimmerin der Welt zu sein", gibt sie glückstrahlend zu.
Sie ist es! Aus dem größten Talent des deutschen Schwimmsports seit Franziska van Almsick ist die Welt schnellste Kraulerin über 100 Meter geworden. Eine fast schon ewige Verliererin schreibt in Budapest ein neues Kapitel Sportgeschichte: "Ich habe mir gesagt, mal schauen, wofür es reicht. Es ist wirklich absolut unglaublich." So richtig realisiert sie es erst, als ihr Trainer Norbert Warnatzsch sie nach langem Warten in die Arme nimmt und sie "ganz dolle" drückt.
Tiefschläge ohne Ende
Sie sind gemeinsam an einem Zwischenziel. Nach einer Leidenszeit, die Britta Steffen und ihrem Umfeld vieles abfordert. Vor allem Geduld. Immer wieder war sie auf dem Sprung, das, was ihr Können versprach, in Gold und Rekorde umzusetzen. Doch genauso stetig kamen die Nackenschläge, die jetzt 22-Jährige geißelte sich, wenn sie im Wasser nicht gut war, auch als "schlechten Menschen". Körper und Geist harmonierten nicht, "ich habe nicht an mich geglaubt".
Es gab viele Tiefpunkte im Leben und im sportlichen Tun der Britta Steffen. Als Franziska van Almsick am 3. August 2002 in Berlin Weltrekord über 200 m Freistil erzielt, war Britta Steffen stille Beobachterin. Und fühlte: "Das kann ich auch." Zulassen konnte sie es nicht, noch nicht. Es mussten erst weitere Tiefschläge kommen wie beispielsweise in Sydney oder 2004 in Athen: "Da durfte ich zwei Mal im Staffel-Vorlauf antreten. Das hat mir definitiv nicht gereicht."
Staffel-Weltrekord als Motivationskick
Persönliche Probleme ließen sie resignieren. Nach den Spielen 2004 wollte sie ihr Talent wegwerfen. Warnatzsch, der auch Franziska van Almsick wieder an das Licht holte, widersetzte sich. Gemeinsam wagten sie den Neuanfang, aber erst nach einem Jahr Zwangspause, in der eine Psychologin der Schwimmerin beibrachte, die Leistung im Becken vom Menschen Britta Steffen trennen zu können. Und irgendwann hieß es nicht mehr, ein schlechtes Mädchen zu sein, wenn die Zeiten über 100 oder 200 m Freistil nicht gut waren.
"Es ist Wahnsinn, der blanke Wahnsinn." Warnatzsch, der 59- Jährige, hat es ihr "so von Herzen gegönnt". Er wusste immer, was Britta Steffen im Becken drauf hat. "Aber an so etwas habe ich keine Gedanken zugelassen." Doch spätestens seit den "fliegend" gemessenen 52,66 beim Staffel-Weltrekordrennen am Montag fühlte Warnatzsch, was drin ist: "Es war klar, dass sie auch im Einzel schnell sein würde."
Die Parallelen sind verblüffend. Auch eine Franziska van Almsick war leer, ausgebrannt, verunsichert, als sie zu Warnatzsch kam. Er machte den Neubeginn möglich, der mit einem Staffel- und einem Einzel-Weltrekord bei der Heim-EM 2002 in Berlin gipfelte. Der krönende Abschluss, der Olympiasieg, blieb beiden jedoch verwehrt.
Bescheiden, geradeaus, ehrlich
Den will jetzt Britta Steffen: "Mein Ziel sind die Spiele 2008. Da will ich vorn mitschwimmen." Doch zwei Jahre seien im Sport eine lange Zeit, "außerdem muss ich mich erstmal für Peking qualifizieren". Warnatzsch zweifelt hieran kaum, ist sich mit Sportdirektor Örjan Madsen in der Einschätzung einig: Steffens Körper ist für das Schwimmen wie geschaffen. Warnatzsch: "Gertenschlank, aber trotzdem definiert, sie hat ein ideales Kraft-Last-Verhältnis." Die psychischen Möglichkeiten hat sich die Weltrekordlerin selbst erarbeitet: "Ich bin froh, dass ich so viele Niederlagen erlitten habe", sagt Britta Steffen - bescheiden, gerade heraus, ehrlich.