Das Abschneiden der deutschen Mannschaft muss man als durchwachsen bezeichnen, das Team schnitt fast genauso ab wie vor vier Jahren in Peking. Zwar ist die Vorgabe des DSOB mit 86 angestrebten Medaillen utopisch, doch verbessert hat sich das Team auch nicht. Insgesamt gab es mit 44 Medaillen drei mehr als in Peking, dafür aber 5 goldene weniger. Schon vor und während der Spiele mahnten einzelne Athleten wie Fechterin Imke Duplitzer oder Bahnrad-Sprinter Maximilian Levy die Mittel der Sportförderung und die undurchsichtige Verteilung des Geldes in ihren Sportarten an. stern.de blickt auf die Spiele in London zurück und sagt, wie die deutsche Mannschaft in den verschiedenen Disziplinen abschnitt.
Das Kreuz mit den Schwimmern
Erinnern Sie sich noch an die Olympischen Spiele 1932 in Los Angeles? Es waren die letzten Spiele, bei denen deutsche Schwimmer keine Medaille gewannen. Lange sah es so aus, als würden die deutschen Schwimmer dieses desaströse Ergebnis in London wiederholen. Am Ende gab es doch noch einen Erfolg. Thomas Lurz gewann Silber über zehn Kilometer im Freiwasserschwimmen im Hydepark zwischen Entendreck und Goldfischen. Dennoch bleibt die Bilanz der Beckenschwimmer katastrophal. Die beiden Stars, Paul Biedermann und Britta Steffen, brachten nicht die Leistung, die man von ihnen erwarten konnte. Vor allem für Biedermann, der bei der WM 2009 die Weltrekorde über 200 und 400 Meter Freistil aufstellte und einen gewissen Michael Phelps hinter sich ließ, ist das bitter. London sollten seine Spiele werden. Für Rio de Janeiro wird es nicht mehr reichen. Der einzige deutsche Weltklasseschwimmer ist dann 30 Jahre alt. Bei seiner Freundin Britta Steffen liegt der Fall anders. Sie hat in Peking zwei Goldmedaillen gewonnen und in London nach dem Aus im Halbfinale über 100 Meter Freistil den Eindruck erweckt, als wäre sie nur noch als Touristin unterwegs. Dafür hat sie viel Kritik eingesteckt. Im Finale über 50 Meter fehlten ihr sieben Hundertstel zu Bronze – da hat Steffen sich noch einmal aufgebäumt und Pech gehabt. Doch selbst wenn Steffen und Biedermann eine Medaille gewonnen hätten, käme man um einen Befund nicht herum: Die deutschen Schwimmer haben endgültig den Anschluss an die Weltspitze verloren. Bei den Frauen schaffte es nur Steffen in einen Endlauf. Die Bilanz der Männer kommt nicht ganz so katastrophal daher. Die beiden Deibler-Brüder und Helge Meeuw haben respektable Ergebnisse erreicht. Auch die Lagen- und die Freistilstaffeln schafften es ins Finale und wurden jeweils Sechste. Doch um die Lage schön zureden, reichen die Ergebnisse nicht aus. In Training und Taktik hinken die Deutschen offensichtlich hinterher. Wie kann es sein, dass mit Paul Biedermann einer der besten Schwimmer der Welt nicht in Lage ist mitzuhalten? Wie kann es sein, dass die Leistungen der deutschen Schwimmer bei den deutschen Meisterschaften und den Europameisterschaften durch die Bank besser waren als bei Olympia? Wie kann es sein, dass die Taktikvorgaben für Biedermann und die Freistilstaffel der Frauen voll in die Hose gingen? Es war eine gewaltige Blamage, der DSV hat kollektiv versagt. Nach Auffassung von Dirk Lange, dem im vergangenen November geschassten Bundestrainer, der jetzt die südafrikanischen Schwimmer betreut, werde nicht effizient genug trainiert und es fehle an Geld. Olympia hat bewiesen, dass an Langes Einschätzung etwas Wahres dran ist.
Im Wasser klappt es nicht, aber auf dem Wasser
Kanuten fristen in der Regel ein wenig beachtetes Dasein. Aber offensichtlich ist es gar nicht so verkehrt, denn in dieser Ruhe scheint die Kraft des Deutschen Kanuverbandes (DKV) zu liegen. Gäbe es die Kanuten nicht, der Medaillenspiegel wäre deutlich trostloser. Sie fischten aus dem Dorney Lake in Eton raus, was es zu holen gab. Dreimal Gold: Sebastian Brendel im Canadier, Franziska Weber und Tina Dietze im Zweier-Kajak und Peter Kretschmer und Kurt Kuschela im Zweier-Kanadier. Dazu eine Silber- und zwei Bronzemedaillen. Der Deutsche Kanu-Verband (DKV) ist damit der erfolgreichste Verband im deutschen Team. "Wir haben kein Geheimnis", erklärt Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanu-Verbandes (DKV), "wir stellen hohe Ansprüche an uns selber." Das System Kanu funktioniert simpel und effizient. Der Rennsport konzentriert sich an wenigen Standorten. Die neuen Olympiasieger kommen aus Potsdam, die anderen Medaillengewinner von London sind in Magdeburg, Leipzig, Mannheim und Essen zu Hause. Zudem ist Berlin ein Zentrum. Das Großprojekt London hat der DKV langfristig und akribisch vorbereitet. Im Oktober 2010 begann die Olympia-Vorbereitung. "Die wichtigsten Athleten sind Vollprofis", sagt Sportdirektor Jens Kahl. "In den meisten Sportarten geht es nicht, ohne dass man Profi ist. Sonst kann man nicht in der Weltspitze mithalten", sagt Canadier-Olympiasieger Sebastian Brendel. Zudem wurden die Kanuten immer und immer wieder zu Wettkämpfen beordert. Erst mussten sie sich bei der WM 2011 beweisen, dann im Weltcup und nur wer international unter den ersten Drei landen konnte, durfte mit nach London. Zudem holte man sich in Trainingsmethodik und Bootsbau wissenschaftliche Unterstützung von drei Instituten und Universitäten. Und auch sonst waren die deutschen Sportler mit Boot gut unterwegs. Neben der Silbermedaille für Slalomkanute Sideris Tasiadis, konnte sich der Deutsche Ruderverband im Vergleich zu Peking deutlich verbessern. Das Gold für den Deutschland-Achter war von Beginn an fest eingeplant, der Sieg des Männer-Doppelvierers war eine willkommene Überraschung, garniert mit der silbernen Medaille des Doppel-Vierers der Frauen.
Das Spiel mit dem Runden
Was haben Handball, Fußball und Basketball gemeinsam? Alles sind Ballsportarten, richtig. Was haben sie noch gemeinsam? In keiner dieser äußerst beliebten Ballspielformen ist bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London eine deutsche Mannschaft an den Start gegangen. Die deutsche Bilanz im Ballsport musste daher zwangsläufig schon vor den Spielen als unterirdisch bezeichnet werden. Für das deutsche Team gingen dafür aber Volleyballer, Beachvolleyballer, Tischtennis-Herren und -Damen sowie die Hockey-Teams an den Start. Für diese magere Startquote waren die Erfolge durchaus vorzeigbar. Die Beachvolleyballer Julius Brink und Jonas Reckermann gewannen mit weltklasse Leistungen die Goldmedaille. Sie sorgten damit für eines der größten emotionalen Highlights aus deutscher Sicht. Die Hockey-Herren sicherten sich Gold. Die Tischtennis-Herren konnten mit zwei Bronzemedaillen - einer im Team und eine für Dimitrij Ovtcharow im Einzel - ebenfalls überzeugen.
Nervöse Musketiere
Auf eine war Verlass: Britta Heidemann, Olympiasiegerin von 2008, frühere Welt- und Europameisterin, gelang der größte Erfolg für die deutschen Fechter in London. Die Kölner Degenfechterin gewann die Silbermedaille im Einzel. Auch das Team der Florettfechter holte Bronze. Es hätte sogar mehr sein können, wenn die Kampfrichter im Halbfinale gegen Japan nicht eine umstrittene Entscheidung getroffen hätten – aber das war es auch schon. Für eine große Fechtnation wie Deutschland ist das höchstens eine durchwachsene Bilanz. Es war mehr drin. Im Einzel scheiterten alle Florettfechter kläglich. Benjamin Kleibrink, Olympiasieger von Peking, gelang nur ein enttäuschender 18. Platz, auch Peter Joppich und Sebastian Bachmann schnitten kaum besser ab. Und Säbelfechter Nicolas Limabch, Weltranglistenerster, galt vor den Spielen als Medaillengarant, doch er scheiterte im Viertelfinale. Die Degenmannschaft der Frauen und das Team der Säbelfechter – sie alle brachten nicht ihre Leistung. Heidemann legte in einem Interview danach den Finger in die Wunde: "Die Professionalität müsste an einigen Stellen noch weiter gestärkt werden. Wir brauchen gute Trainer, wir brauchen dringend auch eine professionelle Organisation der gesamten Rahmenbedingungen und Abläufe. Das können die Trainer nicht nebenher erledigen, was derzeit der Fall ist. Außerdem brauchen wir mehr Nachwuchs, um breiter aufgestelltes Training organisieren zu können." Auch im deutschen Fechten muss in Zukunft einiges passieren.
Ross und Reiter
Auf die deutschen Reiter ist bei Olympia immer Verlass. Das war diesmal nicht anders. Die Vielseitigkeitsreiter sorgten in der ansonsten oft mauen ersten Woche für die Lichtblicke aus deutscher Sicht. Die Reiter Ingrid Klimke, Sandra Auffarth, Michael Jung, Dirk Schrade und Peter Thomsen gewannen im Team Gold. Michael Jung ritt auch im Einzel zum Sieg, und mit Sandra Auffarth stand noch eine weitere Deutsche auf dem Treppchen, sie holte sich nach einer starken Kür Bronze. Damit waren die deutschen Reiter schon so gut wie im Soll. In der zweiten Woche traten die Dressur- und Springreiter an. In der Dressur gewannen Helen Langehanenberg, Kristina Sprehe und Dorothee Schneider mit der Mannschaft Silber. Der deutsche Bundestrainer Jonny Hilberath sprach von "großartigen Leistungen". Das junge und neue Team habe sich phantastisch auf dem olympischen Parkett bewährt, lobte der Bundestrainer weiter. Nicht so erfreulich lief es für die sonst so verwöhnten Springreiter. Meredith Michaels-Beerbaum und Co. blieben komplett ohne Medaillen, damit stand am Ende das schlechteste Olympia-Ergebnis der deutschen Springreiter seit 1928.
Schneller, höher, weiter
Das altehrwürdige Motto vom "Citius, altius, fortius" hatten sich die deutschen Leichtathleten in London so richtig zur Brust genommen - und in die Tat umgesetzt. Am Ende stand mit acht Medaillen soviel Edelmetall für das 77-köpfige DLV-Aufgebot zu Buche, wie zuvor in Sydney 2000, Athen 2004 und Peking 2008 zusammen. Allen voran strahlte das Gold von Diskus-As Robert Harting. Dem Hünen aus Berlin hatte man "Gold-Favorit" ins Stammbuch geschrieben und der Zwei-Meter-Mann machte vor, wie man Druck aushält – und in Gold verwandelt. DLV-Präsident Clemens Prokop: "Mit seinem Willen zum Siegen ist er ein Vorbild." Besonders nervenstark, wenn auch aus anderem Grund, mussten Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf und Hammerwerferin Betty Heidler sein. Konfuse Kampfrichter und Computerausfälle verzögerten die Entscheidungen in ihren Disziplinen, bis es zum Happy End für die beiden schließlich Silber (Schwarzkopf) und Bronze (Heidler) gab. Den Auftakt für die erfolgreiche Bilanz der Leichtathleten hatte Kugelstoßer David Storl gemacht. Der 22-jährige Welt- und Europameister verpasste Gold nur um drei Zentimeter. Bei den Frauen machte es die amtierende Europameisterin, Nadine Kleinert, ungleich schlechter. Die 36-Jährige scheiterte überraschend bereits in der Qualifikation. Silber und Bronze holten Björn Otto und Raphael Holzdeppe, die eine 16-jährige Medaillenflaute im Stabhochsprung beendeten, und Linda Stahl, die Bronze im Speerwurf gewann. So glänzend sich die Bilanz der deutschen Leichtathleten in London also liest, es gab auch Schattenseiten. Auf der Bahn lief es, abgesehen von Platz fünf für die Sprinterinnen sowie den Rängen sieben und acht durch die Hindernisläuferinnen Antje Möldner-Schmidt und Gesa-Felicitas Krause, für die Deutschen gar nicht. Leichtathletik-Cheftrainer Idriss Gonschinska resümierte trocken: "Auch wenn unsere Sprinter in Jamaika trainieren würden, würden sie nicht 9,85 Sekunden laufen." Im Leichtathletik-Medaillenspiegel von London belegt das DLV-Team nun den siebten Platz, 2008 war man abgeschlagen auf Rang 38 gelandet.
Guter Abgang für die Turner
Vor vier Jahren in Peking landeten die deutschen Turner im Mannschaftswettbewerb auf einem guten vierten Platz. Diesmal, so die Zielsetzung des Bundestrainers Andreas Hirsch vor den Spielen, sollte es Teambronze werden. Diese Erwartungen wurden deutlich verfehlt, Fabian Hambüchen, Philipp Boy, Marcel Nguyen und Co. landeten auf einem enttäuschenden siebten Platz. Speziell Boy blieb hinter seinen Erwartungen. Dennoch verliefen die Olympischen Spiele in London für Trainer Hirsch mehr als zufriedenstellend. "Ich bin sehr stolz auf meine Jungs." Das kann er trotz des misslungenen Teamauftrittes auch sein, denn unter dem Strich stehen für die Turner drei Silbermedaillen in den Einzelwettbewerben zu Buche, die für die erfolgreichsten Sommerspiele seit langem sorgten. Es waren vor allem die Spiele des Marcel Nguyen. Er sorgte für die positive Überraschung im deutschen Lager und turnte seinem Mannschaftskameraden Hambüchen deutlich den Rang ab. Mit zwei gewonnenen Silbermedaillen, die er sowohl im Mehrkampf als auch im Einzel am Barren holte, avancierte Nguyen endgültig zum neuen deutschen Turnstar. Doch auch Hambüchen, der in Peking die einzige deutsche Medaille (Bronze) für die Turner holte, präsentierte sich stark. Am Reck zeigte er im Einzelfinale eine fantastische Performance, die goldverdächtig war. Pech nur, dass kurz darauf der Niederländer Epke Zonderland ans Gerät ging und die Übung seines Lebens turnte. Aus Hambüchens sicher geglaubtem Gold wurde Silber, was ihn trotzdem freute: "Das war mein größter Sieg." Die deutschen Gymnastinnen blieben ohne jede Medaille. Im Gruppen-Wettbewerb kam das Quintett des Deutschen Turner-Bundes auf den neunten Platz und verpasste damit denkbar knapp die Endrunde der besten Acht. "Wir haben eine tolle Mannschaft", sagte Bundestrainerin Ulla Koch, "aber wir haben einfach zu viele vermeidbare Fehler gemacht. Das ärgert mich." Die deutschen Damen ließen in einer durchwachsenen Vorstellung vor allem am Schwebebalken und beim Sprung eingeplante Punkte. Im Einzelwettbewerb lag der Fokus noch einmal auf der 37-jährigen Oksana Chusovitina. Die Weltklasse-Turnerin nahm zum sechsten Mal an Olympischen Spielen teil, konnte sich beim Sprung jedoch nicht in die Medaillenränge vorkämpfen und landete auf Rang Fünf.
Das Beste zum Schluss
Sport ist zum Glück kein rein ökonomisches Unterfangen, sondern zeichnet sich immer durch viel Unberechenbarkeit, große Gefühle und kleine Wunder aus. Bilanzen muss man ziehen. Aber zum Schluss der Olympischen Spiele bleibt uns nur noch auf all die anderen deutschen Sieger zu zeigen, die überraschend oder auch vorhersehbar eine Medaille gewannen. Da waren zum Beispiel die deutschen Judoka , die erfolgreich abschnitten. Ole Bischof und Kerstin Thiele gewannen Silber, Andreas Tölzer und Dimitri Peters Bronze, ein ziemlich gute Ausbeute für die Kämpfer des "sanften Weges". Nicht zu vergessen die Taekwondo-Meisterin Helena Fromm, die Bronze erkämpft. Oder die Radfahrer. Tony Martin gewinnt schwer angeschlagen Silber im Zeitfahren genau wie Judith Arndt bei den Frauen. Im Bahnrad holen Kristina Vogel und Miriam Welt auf kuriose Weise Gold, zwei Mal werden ihre Gegnerinnen disqualifiziert. Manchmal spielt Göttin Fortuna die entscheidende Rolle. Maximilian Levy gewinnt ebenfalls im Bahnrad Silber und Bronze im Teamsprint. Zu den Radfahrern gehört auch Sabine Spitz, die 40-jährige stürzt auf dem Weg zu Gold auf der steilen Steinpiste, schafft es im Cross-Country aber zu Silber. Für einen tösenden Schlussakkord sorgen die Hockey-Herren. Ihre Gold-Party auf der MS Deutschland gerät ein wenig wild, aber die Jungs von Trainer Markus Weise sind wohl erzogen und entschuldigen sich. Eine Goldmedaille muss eben krachend gefeiert werden.